GESELLSCHAFT / KOLLE Hände frei
"Millionen lesen mich", verkündet Oswalt Kolle gern und ohne falsche Scham. Doch der erfolgreichste Nachtaufklärer der Nation kann auch diskret sein: Seine Lesergemeinde erfuhr nicht, daß staatliche Instanzen ein Stück Kolle wegen jugendgefährdenden Inhalts aus dem Verkehr ziehen wollten.
Das machte erst der Hamburger Sexualforscher Professor Hans Giese publik, allerdings auch nur in der Fachwelt der Berufs- und Amateur-Sexologen. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit erschien darüber jüngst eine von Giese herausgegebene Dokumentation*.
Das Bundesfamilienministerium hatte, unterstützt vom bayrischen Staatsministerium des Innern, vor eineinhalb Jahren bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften beantragt, eine Ausgabe der "Neuen Revue" wegen eines Kolle-Beitrags über "Die sexuellen Zärtlichkeiten" zu indizieren. Die Antragsteller entrüsteten sich: "Kolle doziert hier in aller Ausführlichkeit über Sexualtechnik, insbesondere über Positionen beim Geschlechtsakt."
Das war nicht übertrieben. Kolles beanstandete Bett-Betriebsanleitung überließ so gut wie nichts der Phantasie seiner Leserschar. Beispiele:
* "Ob die Frau dabei lieber liegt oder sitzt, während der Mann auf dem Rücken liegt, hängt sehr wesentlich von ihren eigenen körperlichen Gegebenheiten ab ... Sie kann beides ausprobieren oder auch abwechseln."
* Wir wissen, daß diese ,Reithaltung' in den alten Kulturen besonders geschätzt war ... Gegenüber der sogenannten Normalhaltung bietet sie, wenn der Mann leicht erregbar ist und zu vorschneller Ejakulation neigt, einen weiteren Vorteil."
* "Ebenso vorteilhaft ist diese Haltung aber auch, wenn der Mann stark ermüdet ist und trotzdem Wert auf die Vereinigung mit seiner Frau legt."
* "Eine zweite wichtige Grund-Variante ist die sogenannte Seitenlage ... Der Vorteil ist, daß sich die Partner dabei anblicken, daß die Hände frei für Liebkosungen bleiben und keiner das Gewicht des anderen zu tragen hat. Die Frau kann dem Mann aber auch den Rücken zuwenden.
* "Starkleibigkeit hindert nur in ganz extrem krankhaften Fällen am Vollzug, ebenso wie das männliche Glied nur in seltenen krankhaften Fällen wirklich so klein ist, daß die Frau keinerlei Freude am Zusammensein empfindet."
* herauszufinden, welche Position trotzdem beiden Partnern am meisten Genugtuung verschafft und wie man zudem durch Zärtlichkeiten mit den Händen und dem Mund die Bemühungen unterstützen kann."
Den Abschirmdienst gegen die Bundesprüfer versah Sexologe Giese. Vor jedem Kolle-Beitrag stand großgedruckt: "Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. Dr. Hans Giese, Leiter des Instituts f. Sexualforschung an der Universität Hamburg." Und prompt fühlte sich denn auch Kolles gelehrter Hintermann Giese getroffen, als der Indizierungsantrag gegen die Illustrierte gestellt wurde. Der Professor bescheinigte dem bedrohten Kolle-Bilderblatt "zur Vorlage bei der Bundesprüfstelle", daß er den inkriminierten Aufsatz "durchgesehen, korrigiert und zur Veröffentlichung sozusagen ,freigegeben' habe".
* Hans Giese (Herausgeber): "Aufklärung in Illustrierten? -- Zur Thematik Jugendschutz"; in: Beiträge zur Sexualforschung. Heft 44. Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart: 92 Selten; 17 Mark.
Acht weitere Wissenschaftler nahmen nunmehr Kolles Positions-Angaben unter die Lupe. Nur einer, der Sozial-Psychologe Dr. phil. Hans Böttcher aus der Bischofsstadt Münster, ging mit dem Familienministerium konform: Kolle erreiche durch den von ihm entfesselten "Ansturm sexualtechnischer Begriffe" bei Jugendlichen einen erziehungswidrigen Stimulierungseffekt.
Die anderen sieben Wissenschaftler, deren Stellungnahmen und Gutachten Giese "ohne jeglichen Kommentar" wiedergab ("einzig des zeitgeschichtlichen Interesses wegen"), erklärten den Kolle-Bericht für "nicht jugendgefährdend".
Doch weitaus heftiger als den Amateur-Sexologen Kolle verteidigten die Gelehrten ihren Kollegen Giese: In dem Indizierungsantrag hatte das Ministerium auch einen im selben Heft veröffentlichten Bericht über Studenten-Sex bemängelt: Er fuße auf "einer umstrittenen Befragungsaktion des Professor Giese über das Sexualverhalten einer kaum als repräsentativ zu bezeichnenden Anzahl von Studenten".
Einmütig bezichtigten die Giese-Kollegen die Kritiker des Hamburger Sex-Professors der Ignoranz und Inkompetenz:
* Professor Horst Wetterling von der Pädagogischen Hochschule (PH) Osnabrück: "Hier werden also einem Wissenschaftler Zensuren erteilt, ohne daß die Beurteilungsgrundlage vorhanden ist, von der Kompetenz ganz zu schweigen."
* Professor Dr. med. H. H. Tobias Brocher aus Frankfurt: "Diese unbedenkliche Form eines durch nichts gerechtfertigten bösartigen und leichtfertigen wissenschaftlichen Rufmordes oder zumindest des Versuchs hierzu stellt eine moralische Unbedenklichkeit dar."
* Professor Wolfgang Hochheimer. Direktor des Instituts für Pädagogische Psychologie an der PH Berlin: "Die Umfrage-Aktion ... ist wissenschaftlich einwandfrei geplant und durchgeführt."
Und Hochheimer, bei dessen Paarungs-Streifen "Du" Giese beratend mitgewirkt hatte, wußte auch, warum überhaupt das Schreibwerk seines Film-Konkurrenten Kolle (bislang drei Liebes-Lichtspiele; Titel: "Das Wunder der Liebe" in zwei Teilen und "Deine Frau -- das unbekannte Wesen") "einen wirkungsvoll erzieherischen Beitrag leistet" und einen "seriösen Charakter" besitzt: "durch die wissenschaftliche Beratung eines extrem seriösen Fachmannes (Professor Dr. Dr. H. Giese)".
Angesichts der Professoren-Phalanx wankten die Tugendwächter der Bundesprüfstelle und indizierten nicht.
Es wankte aber auch Giese. Er untersagte dem Schützling, sich weiterhin der Giese-Beratung zu berühmen.
Kolle, längst schon berühmter als Giese, hat die Vorspann-Floskel selbstbewußt durch einen gängigen Slogan ersetzt: "Oft kopiert, nie erreicht".