SPANIEN / FRANCO-NACHFOLGE Unter Tränen
Die Statisten der "bedeutungsvollsten Episode der spanischen Geschichte in den letzten dreißig Jahren" (Barcelonas "La Vanguardia") erhielten schriftliche Anweisung für ihr Kostüm: "Galauniform oder Frack. Weiße Krawatte. Orden. Schärpen", ließ Cortes-Präsident Iturmendi den Abgeordneten des spanischen Ständeparlaments telegraphieren.
Staatschef Francisco Franco, 76, seit 30 Jahren "Führer von Gottes Gnaden", ließ selber letzten Dienstag göttliche Gnaden zuteil werden: Er nannte der Nation einen Nachfolger; die Cortes wurden zur Entgegennahme des Staatsaktes zusammengerufen.
Der Auftritt des Hauptakteurs dauerte 23 Minuten. Franco sprach mit bebender Stimme, mehrfach von Tränen unterbrochen. Im Bewußtsein seiner Verantwortung "vor Gott und der Geschichte" habe er die Qualitäten des Prinzen Juan Carlos de Borbón y Borbón geprüft und ihn als geeigneten Nachfolger befunden für jene "Zukunft, wenn durch das Gesetz der Natur meine Führung Ihnen fehlen wird".
491 der 519 anwesenden Cortes-Abgeordneten stimmten für Francos Prinzen. 19 wagten ein Nein, neun enthielten sich der Stimme.
Cortes-Präsident Iturmendi hatte für eindrucksvolle Optik gesorgt. Gewöhnlich pflegen die Mitglieder des spanischen Parlaments -- von denen nur ein Fünftel direkt gewählt, alle übrigen ernannt oder delegiert werden, beziehungsweise ex-officio einen Sitz haben -- dem Staatschef per Akklamation zuzustimmen. Diesmal wurden sie namentlich zur Stimmabgabe aufgerufen. Einen Antrag auf geheime Wahl hatte Iturmendi abgelehnt.
Einen Tag später schwor Spaniens künftiger König Juan Carlos, 31, den Treueeid auf Grundgesetz, nationale "Bewegung" und den Caudillo. Die "Schachfigur in Francos Spiel" (so ein spanischer Sozialist) war seit zwanzig Jahren auf ihre Rolle getrimmt worden:
Schon 1948 schickte Vater Don Juan -exilierter Sohn des 1931 gestürzten letzten spanischen Königs, Alfonso XIII. -- Juan Carlos als Vorposten für die eigene Thronbesteigung zur Erziehung nach Spanien.
Unter den wachsamen Augen des Generalissimus machte der Knabe das Abitur, absolvierte die Militärakademien von Zaragoza, Pontevedra und Murcia und wurde Hauptmann aller drei Waffengattungen. Er studierte einige Semester Wirtschaftswissenschaften' Jurisprudenz, Philosophie und Politik. Er durfte in Ministerien hospitieren und bekam vom Caudillo zur Hochzeit mit der Griechenprinzessin Sophie das Schlößchen La Zarzuela in der Nähe des Regierungssitzes El Pardo geschenkt. Auf Militärparaden und Empfängen stand der junge Prinz zur Rechten des alternden Diktators.
Aus portugiesischem Exil verfolgte Vater Don Juan die Entwicklung seines Sprosses mit wachsender Sorge. 1947 hatte Franco die Nation per Referendum für die Wiedereinführung der Monarchie votieren und sich selbst als Führer auf Lebenszeit bestätigen lassen. Er selbst nahm sich das Recht, den nächsten König zu küren.
Don Juan, der eine liberale konstitutionelle Monarchie nach englischem Muster für Spanien anstrebte, hatte danach keine Chance mehr, auf den Thron zu kommen, gab aber die Hoffnung nicht auf.
Zum offenen Eklat zwischen Vater und Sohn kam es im vergangenen .Januar: Juan Carlos, der bis dahin standhaft behauptet hatte, "niemals. niemals würde ich den Thron besteigen, solange mein Vater lebt er ist der König", gab in einem Interview mit dem Chef der regierungsamtlichen Nachrichtenagentur EFE zu verstehen. notfalls wolle er den Thron auch vor seinem Vater besteigen.
In Juan Carlos fand Franco ein gehorsames Instrument. Um es zu bewählen, verprellte er selbst treue Bundesgenossen aus dem Bürgerkrieg: die Carlisten, Anhänger einer rivalisierenden Bourbonen-Sippe. Deren Kronprinz, Carlos Hugo von Bourbon-Parma, hatte ähnlich wie Don Juan eigene Gedanken über eine Monarchie im 20. Jahrhundert -- der Generalissimus verwies ihn und seine Familie im vergangenen Dezember des Landes.
Lange hatte Franco gezögert, eine Nachfolge-Entscheidung zu treffen -- "denn was nach seinem Tod geschieht, ist ihm im Grunde gleichgültig", formulierte ein führender Oppositioneller. "Er möchte nur die Macht bis zu seinem Tod ungestört genießen."
Nun handelte der Königmacher so schnell, daß nicht einmal seine engsten Mitarbeiter Schritt hielten. Informationsminister Frage Iribarne rief vorletzte Woche aufgeregt im Außenministerium an: Man solle Minister Castiella, der gerade zum Staatsbesuch in Washington weilte, die Neuigkeit kabeln, bevor er sie aus den Zeitungen erfahre.
Auch der Erkorene selbst wurde völlig überrascht: Juan Carlos mußte zwecks Entgegennahme seiner neuen Würde eine Segelregatta in der Schweiz absagen.