NAHER OSTEN / GUERILLAS Freie Hand
Euer Schlachtfeld ist überall dort, wo Israelis sind", stachelte die "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) ihre 2000 Guerillas an.
Als Schlachtfeld wählte die PFLP bisher dreimal internationale Flughäfen. Der Feind: die israelische Fluggesellschaft "El Al".
Palästinensische Guerillas, die Fedajin*, entführten im Juni vergangenen Jahres eine "El Al"-Boeing 707 von Rom nach Algier. PFLP-Freiwillige feuerten am zweiten Weihnachtstag auf ein "El Al"-Flugzeug in Athen und töteten dabei den Israeli Leon Schirdan.
Vier PFLP-Aktivisten -- darunter die 26jährige Amina Dahbour -- schossen am Dienstag vergangener Woche in Zürich-Kloten mit automatischen Waffen auf eine "El Al"-Boeing 720 B. Der israelische Geheimdienstler Rachamim Mordechai feuerte mit der Pistole zurück und tötete den Attentäter Abdel Mohsen Hassan.
Aus Furcht vor einem israelischen Vergeltungsschlag suchten die arabischen Regierungen augenblicklich Deckung. Libanons Premier Karami und Ägyptens Pressesprecher Zaijat beteuerten noch am Dienstag, sie seien für solche Kommando-Unternehmen nicht verantwortlich.
Kurz zuvor noch hatten die meisten arabischen Staatsmänner die Palästina-Guerillas umworben. Ägyptens Staatschef Nasser, Jordaniens König Hussein, Algeriens Staatspräsident Boumedienne und Iraks Diktator Bakr empfingen den palästinensischen Ober-Guerilla Jasir Arafat (genannt Abu Ammar) wie einen Regierungschef. Alle versprachen Hilfe, Boumedienne steckte Arafat einen Blankoscheck zu.
Elektroingenieur Arafat, der vor zehn Jahren einige Semester an der Technischen Hochschule in Stuttgart studiert hat, führt die größte palästinensische Widerstandsorganisation, die El Fatah. Seit Anfang des Monats ist er auch Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). El Fatah und PLO kämpfen -- mit etwa 30 kleineren Gruppen -- vor allem gegen die Israelis in den besetzten Gebieten. Die PFLP operiert vorwiegend im Ausland.
Abu Ammar, "Idol der arabischen Massen" ("Newsweek"), wurde unter den Arabern populärer als Alt-Führer Nasser. Diese Popularität verdankt er den palästinensischen Guerillas. Vom Juni 1967 bis zum Ende des vergangenen Jahres meldete die israelische Armee 1287 "Grenzzwischenfälle und Zusammenstöße" mit Palästina-Partisanen. 281 Israelis starben, 1115 wurden verletzt.
* "Fedajin" kommt vom arabischen Wort für "opfern" und bezeichnet Soldaten, die sich selbst opfern oder an einem Selbstmordunternehmen teilnehmen.
"Die Männer der Kommandos sind die Helden der arabischen Welt geworden", schrieb "Le Monde". Sie zeigen, was 100 Millionen Araber von ihren Soldaten in drei Kriegen gegen Israel vergebens erhofften: Mut und Opferbereitschaft.
Etwa 80 Prozent der Fedajin, die durch die Waffenstillstandslinien in israelisch besetztes Gebiet einsickern, werden von den Israelis entdeckt. Seit dem Juni-Krieg fielen über 600 Partisanen in Israel und mehrere hundert unter israelischen Vergeltungsschlägen auf arabischem Gebiet.
Die arabischen Regierungen waren anfangs unsicher, wie sie sich gegenüber der Guerillastreitmacht verhalten sollten. Ihre Territorien wurden immer häufiger Opfer von Vergeltungsaktionen der Israelis. Ägypten und Syrien unterbanden Aktionen der Guerillas; die Kämpfer wichen nach Jordanien und in den Libanon aus.
Mit einem Rachefeldzug gegen den El-Fatah-Stützpunkt Karameh in Rest-Jordanien im März 1968 trieben die Israelis die arabischen Führer vollends ins Lager der Untergrundkämpfer.
Seither läßt der König den Guerillas in seinem Land freie Hand. Husseins Ministerpräsident Talhuni verkündete wenige Stunden nach dem Überfall auf die "El Al"-Maschine in Zürich: "Es ist unsere Pflicht, die Kommandos gewähren zu lassen -- selbst wenn wir uns dabei israelischen Vergeltungsschlägen aussetzen."
Ein Vergeltungsschlag Israels -- der Angriff auf den Beiruter Flughafen nach dem Athener "El Al"-Attentat -- traf den gemäßigten Libanon, in dessen Süden die Fedajin einen Staat im Staat aufbauen.
Anfang des Jahres "bewog die wachsende Opposition von Studenten, Arbeitern und jungen Militärs auch Ägyptens Präsidenten Nasser, sich mit den Palästinensern zu liieren. Nasser: "Die Entwicklung der palästinensischen Widerstandsorganisationen, die zunehmende Bedeutung ihrer Rolle und die Eskalation ihrer Operationen sind die wichtigsten Marksteine seit dem Juni-Krieg."
"Nasser glaubt es seinem Volk schuldig zu sein", stellte "Le Monde" fest, "sich palästinensischer zu geben, als er es je war. Das ist zweifellos ein neues Element."
Auch in Israel ist ein neues Element zu beobachten. "Newsweek"-Redakteur Arnaud de Borchgrave, der in diesem Monat Nasser und Eschkol interviewte, berichtete in der vergangenen Woche, daß sich einige israelische Führer bereits überlegen, ob sie nicht über die Köpfe der schwachen arabischen Regierungen hinweg mit den Fedajins verhandeln sollen -- was Außenminister Eban in einem SPIEGEL-Gespräch im Januar noch ausdrücklich abgelehnt hatte.
Erster Kontaktsucher zu den Partisanen: Israels Verteidigungsminister Mosche Dajan.
Er bot dem palästinensischen Guerilla Ah, 20, der in Wadi Kelt in israelische Gefangenschaft geraten war, die Freilassung an: "Ich lasse dich nach Jordanien zurück, wenn du ein Zusammentreffen zwischen mir und Jassir Arafat arrangierst."
Erst war All unentschlossen, dann besann er sich: "Sie sind nicht einfach Mosche Dajan, Sie sind auch Mitglied der zionistischen Regierung. Es geht nicht."
Nach dem Zürcher Attentat drohte der abgewiesene Dajan den Arabern wieder an, was er schon vor einem Vergeltungsschlag auf Nilbrücken in Ägypten prophezeit hatte: "Wenn wir Aktionen gegen sie unternehmen, dann werden wir sie an der Stelle treffen, wo es sie am meisten schmerzt und wo es uns am besten paßt."