GESELLSCHAFT / ALTEN-STIFTE Reiche Ernte
Einen Lebensabend mit allem Komfort bietet der Unternehmer Dr. Bernhard Drexler, 71, zahlungskräftigen Rentnern. Unweit des Wiesbadener Kurhauses eröffnet er Anfang nächsten Jahres sein "Kurstift Parkstraße", ein Mammut-Altersheim für 300 Pensionäre, die monatlich 750 bis 900 Mark zahlen können.
Drexler will an dem Gewinn teilhaben, den private Bauherren sowie kirchliche und freie Wohlfahrtsverbände der Bundesrepublik sich von dem Fürsorgegeschäft mit alten Leuten versprechen.
Sechs große Alten-Stifte zwischen Hannover und München sind bereits eröffnet, weitere 40 werden gebaut oder geplant. In acht bis 20 Stockwerken enthalten sie jeweils 300 bis 600 Appartements mit Küche, Bad, WC, die als Eigentumswohnungen verkauft oder nach Einzahlung eines zinslosen Darlehens vermietet werden.
Nach den Zeitungsannoncen und Hochglanzbroschüren der Stiftsgründer muß es eine Lust sein, in ihren Heimen zu leben. Sie versprechen Befreiung von der "Last der Hausarbeit" ebenso wie von der "Mühe der Zubereitung Ihrer Mahlzeiten" und verheißen eine "Gemeinschaft freier, unabhängiger Menschen, die die Ernte eines arbeitsreichen Lebens einbringen" (Wohnstift Augustinum, Bad Neuenahr). Sobald für wenigstens 50 Prozent der geplanten Appartements Interessenten gefunden sind, wird die Baugrube ausgehoben.
Die Häuser sind mit Gesellschaftsräumen, Bibliothek, Schwimmbad, Café, Restaurant, Kegelbahn, Bankfiliale, Friseur und Läden ausgestattet. Laut Mietvertrag stehen auch Putzfrau und Krankenschwester ("Etagendame") bereit.
Der Luxus muß jedoch so reichlich bezahlt werden, daß die meisten Rentner der Angestellten- (durchschnittliche Monatsrente: 458 Mark) und Arbeiterrenten-Versicherung (273 Mark) für einen Platz an der Stift-Sonne ausscheiden.
Bei der Haus der Ruhe GmbH in Lindau beispielsweise (Träger: ein Stiftungsverein der katholischen Steyler Mission) kostet das "Wohnrecht"-Darlehen je nach Größe der Appartements (19 bis 58 Quadratmeter) zwischen 21 000 und 64 000 Mark. Obendrein müssen Einzelmieter monatlich 750 Mark, Ehepaare 1200 Mark als Pensionspreis entrichten.
Das Wohnstift Augustinum in Bad Neuenahr (Träger: ein gemeinnütziger Verein, dem die evangelische Innere Mission und das Diakonische Hilfswerk angehören) bescheidet sich mit "Einkaufs"-Darlehen bis 29 000 Mark. Dafür beträgt die Monatsmiete mit Vollpension je nach Wohnraumgröße bis zu 1200 Mark je Person.
Wohlfahrtsverbände und Kirchen wollen mit den neuen Großheimen unter anderem ein Gegengewicht gegenüber jenen privaten Altersherbergen schaffen, die ihr Geschäft rein kommerziell betreiben. 800 private Altersheime in der Bundesrepublik machten schon in den vergangenen Jahren gute Geschäfte mit dem Alter: Die Zahl der Privatplätze verfünffachte sich seit 1962 von rund 6000 auf annähernd 30 000.
Bund und Länder helfen den "Gemeinnützigen" schon seit Jahren mit beträchtlichen Mitteln. Allein der Bund vergab von 1961 bis 1967 rund 130 Millionen Mark für den Bau von 53 139 neuen Heimplätzen für Alte, bis 1971 sind jährlich 40 Millionen Mark eingeplant. Nach dem Vorbild Hessens zogen inzwischen alle Bundesländer mit "Altenplänen" nach.
Solange das Wirtschaftswunder gedieh, gab es in der Bundesrepublik offiziell keine Alten. Sie wurden 1960 entdeckt, als das Statistische Bundesamt erstmals 5,7 Millionen Altersrentner zählte. 21,1 Prozent wirtschafteten als Einzelpersonen, sieben Prozent der Alten-Familien hausten in Notwohnungen, im Keller oder unterm Dach, und 3,7 Prozent lebten in Altersheimen und Krankenhäusern.
Durch die Perfektion der ärztlichen Kunst ist ihre Zahl ständig gewachsen: 1900 erreichten nur 4,9 Prozent der Deutschen das Rentenalter. 1939 waren es 7,3 Prozent, 1967 bereits 12,3 Prozent, und 1980 wird der Gipfel des "Altenkegels" mit 14,1 Prozent der Gesamtbevölkerung erreicht sein: Fünf Millionen Frauen und 2,8 Millionen Männer.
Die Staatsfürsorge für die Alten zählt zu den Gemeinschaftsaufgaben, die Nachkriegsdeutschland bei allem Wohlstand nicht gelöst hat. In den rund 4000 karitativen und kommunalen Altersheimen mit nur 250 000 Plätzen mußten Wartelisten angelegt werden, mit Fristen bis zu drei Jahren. Überdies werden in die Helme mit niedrigen Monatssätzen nur bedürftige alte Leute aufgenommen.
Den Mangelzustand wußten als erste die Besitzer von Ferienpensionen und kleinen Hotels zu nutzen. Sie brauchten ihre nach der Saison leerstehenden Häuser nur für Rentner-Dauergäste einzurichten und hatten ausgesorgt.
Im überalterten Berlin (Anteil der Personen über 65 Jahre schon heute 20,5 Prozent) etablierte sich mehr als ein Viertel aller privaten Helme. Mit fünf Mark Anmeldegebühr war jeder dabei; auch untauglichen Aspiranten und rüden Geschäftemachern war die Gewerbefreiheit garantiert. Denn die Durchführungsverordnungen zum Paragraphen 38 der Gewerbeordnung* mit Bestimmungen über die Beaufsichtigung der Heimleiter oder die Mindest-Quadratmeterzahl je Heimbewohner steht in den meisten Bundesländern noch aus.
Skandal-Meldungen über Mißstände in manchen der privaten Altenheime machten in den letzten Jahren denn auch regelmäßig Schlagzeilen. "Schindluder mit Omas und Opas" warf erst kürzlich die katholische
* Paragraph 38 der Gewerbeordnung gibt den Länderregierungen die Rechtsgrundlage, die Geschäfte von privaten Altenheimen, Reisebüros, Pflegeanstalten und Schrotthändlern durch eigene Verordnungen zu regeln.
"Neue Bildpost" privaten Heimbesitzern vor, die "ausgehungerte und schmerzverzerrte" Alte ohne Hilfe sich selbst überlassen und dafür noch "bis zu 750 Mark monatlich" kassiert hätten. Monsignore Franz Müller, Caritas-Direktor und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der freien und öffentlichen Wohlfahrtsverbände, sprach von "Ausbeutung".
Die privaten Altenheimler indes argwöhnen, daß es vor allem ihr wachsender Erfolg ist, der die Karitativen nicht ruhen läßt. "Zum Konkurrenzkampf um die gut zahlende Kundschaft", meint Alois Franz, Zweiter Vorsitzender des Bundesverbandes Privater Altenheime, "gehört der Dolch unter der Kutte."
Durch die neuen Groß-Stifte droht den Kleinunternehmern in der Alten-Branche erstmals seit ihrem Geschäftsaufschwung Gefahr. Sogar einer aus den eigenen Reihen, der Münchner Bauunternehmer Georg Hubmann" ehemaliger Vorsitzer des Landesverbandes Bayern der Privataltenheime, ist auf dem neuen Markt aktiv. Er hatte herausgefunden, daß nicht allen Altenheim-Insassen die enge Tuchfühlung mit zehn bis 40 Bewohnern angenehm ist. Mancher möchte nur versorgt sein und seine Partner frei wählen, anderen Leuten aber unauffällig aus dem Weg gehen können.
In den von Hubmann errichteten Alten-Großbauten ist dafür gesorgt. Seine Senioren-Wohnheim Wetterstein GmbH verkaufte und vermietete seit 1960 allein in München mehr als tausend Alten-Appartements und plant weitere Anlagen in Brühl bei Bonn, Stuttgart und Nürnberg.
Ebenfalls in München zog 1960 der evangelische Pfarrer Georg Rückert das erste "Collegium Augustinum" hoch, ein Zehn-Etagen-Hochhaus mit 550 komfortablen Wohneinheiten, kombiniert mit einer 175-Betten-Vollklinik.
Rückerts zweites "Augustinum" war das inzwischen in städtische Regie übergegangene Wohnstift Rathsberg in Erlangen. Es beherbergt in zwei achtgeschossigen Wohn-Türmen fast 500 Menschen. Mit Unterstützung der Inneren Mission und des Diakonischen Hilfswerks baute Rückert außerdem in Dießen am Ammersee und Bad Neuenahr. Auf dem Programm stehen noch Neuenhain bei Frankfurt, Tübingen, Stuttgart und andere Plätze.
Erich Mende, Spitzenmanager der deutschen Tochter von Investors Overseas Services (IOS), zieht das Altenteil-Geschäft in größtem Stil auf. Seine Gesellschaft will ihre Immobilienfirma Indevco "in den Dienst jener Menschen stellen, die sich einen eigenen ... Alterssitz schaffen wollen Mendes Traumziel: IOS-Altenwohnstifte an allen "klimatisch günstigen Plätzen" der Bundesrepublik und Westeuropas.
Ob bei dem wachsenden Angebot die Rechnung für alle Großvorhaben aufgeht, ist jedoch ungewiß: Die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung ermittelte als Durchschnittseinkommen des Alten-Haushalts 758 Mark -- die Monatsmiete mit Vollpension für eine Person zum Beispiel im Lindauer "Haus der Ruhe".
Überdies möchten viele ältere Menschen überhaupt nicht in ein Altersheim. Als die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) 60- bis 70jährige Rentner nach ihren Wohnwünschen befragte, bekundeten fast 30 Prozent Desinteresse; sie antworteten nicht. Von den restlichen Befragten gaben 49,1 Prozent an, sie seien "vielleicht später interessiert".
Für den Umzug in Schönwettergebiete wird ohnehin nur ein Teil der Alten zu gewinnen sein, weil laut Umfrage der BfA 87 Prozent der Rentner in der Nachbarschaft ihrer Kinder leben möchten. Fachleute glauben daher, daß sich kostspielige Alten-Stifte auf die Dauer nur an besonders günstigen Plätzen rentieren werden, beispielsweise im Bereich großer Städte.
"Im Grunde haben wir schon jetzt ein Überangebot", klagt Altenheim-Verbandsvize Alois Franz und verweist auf die erste Pleite in der Stifts-Branche:
Im vergangenen Jahr wurde das Adalbert-Stifter-Wohnhelm in Waldkraiburg versteigert, ein Neun-Millionen-Projekt, das im Bau steckenblieb. Die Alten, die sich nach Prospekt eingekauft hatten, verloren 1,3 Millionen Mark.