SCHIFFAHRT / ATOMFRACHTER Bombe in Beton
Mit einem lahmen Dampfschiff mäßiger Tonnage steuern Deutschlands Schiffbauer das Jahr 2000 an -- und vorerst rote Zahlen.
Der Betrieb des Schiffes wird jedes Jahr drei Millionen Mark Zuschuß erfordern. Sein kühn geschwungener Rumpf faßt gerade 12 000 Tonnen Ladung -- die Hälfte dessen, was ein normales Frachtschiff gleicher Größe transportiert. Seine Höchstgeschwindigkeit, 16 Knoten, ist so bemessen daß jedes neuere Handelsschiff ihm davonfährt.
Dennoch ist es der modernste Frachtdampfer der Welt: NS "Otto Hahn"; NS ist eine in Seemannshandbüchern neue Klassifikation, Kürzel für "Nuclear Ship" -- Atomschiff.
Am Freilag dieser Woche soll die "Otto Hahn", erstmals vom eigenen Atomreaktor angetrieben, von Kiel aus in See gehen. Forschungsminister Gerhard Stoltenberg und 200 weitere Prominente werden bei der Premiere an Bord sein. Und am Signalmast des schornsteinlosen Schiffes wird, wie sich der britische "Guardian" metaphorisch ausdrückte. "die Flagge des deutschen Optimismus" wehen (in Wahrheit ein Reederei-Wimpel: Atomsymbol auf blau-gelbem Grund).
Das 172 Meter lange weiße Schiff, unter der Baunummer 1103 von den Kieler Howaldts-Werken gefertigt, soll nur nebenher Erz transportieren. Es ist vor allem ein schwimmendes Labor -- Probestück und Pionier für eine Flotte rentabler Atomfrachter, die mutmaßlich schon im kommenden Jahrzehnt auf Kiel gelegt werden.
Bislang haben erst die Atom-Giganten Rußland und Amerika -- außer einer Armada von Atom-Kriegsschiffen -- je ein reaktorgetriebenes ziviles Schiff vom Stapel gelassen: 1959 wurde der sowjetische Eisbrecher "Lenin" in Dienst gestellt, 1962 der US-Forschungsfrachter "Savannah".
In der friedlichen Atom-Seefahrt dürfen sich demnach die Deutschen Hoffnung machen, frühzeitig und mit beträchtlichem Erfahrungsvorsprung dabeizusein, sobald die Reedereien solche Schiffe in Auftrag geben werden. 56 Millionen Mark wurden in die "Otto Hahn"-Entwicklung investiert. Etwa ein Viertel davon zahlte die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom), den Rest gaben Bonn und die vier norddeutschen Küstenländer.
Kernstück des 11 000-PS-Schiffes ist ein sogenannter fortschrittlicher Druckwasser-Reaktor" der in eine" staubfreien Werkhalle von Männern in weißen Kitteln, Handschuhen und Hauben montiert wurde. Die drei Tonnen Uran-Brennstoff in dem Druckbehälter -- die bei der Atomspaltung freiwerdende Energie erzeugt Dampf, der die Turbine treibt -- würden ausreichen, das Schiff in 500 Tagen neunmal um die Erde reisen zu lassen.
Ein 190 Tonnen schwerer Stahlkessel sowie halbmeterdicke Betonmauern schirmen Mannschaft, Schiff und Häfen gegen die Strahlung der gebremsten Bombe ab. Ein zwiefacher Doppelboden im Schiffsrumpf soll den Reaktor bei Havarie vor Schaden bewahren.
Anfang kommenden Jahres wird die "Otto Hahn" erstmals auf große Fahrt gehen. Außer den 73 Mann Besatzung sollen ständig 35 Wissenschaftler mitreisen. Die Sicherheitsbestimmungen über den Dienst an Bord füllen einen Band vom Format großstädtischer Telephonbücher; und notfalls kann der Wachhabende auf der Brücke einen dicken roten Knopf drücken: Dann geht der Reaktor in anderthalb Sekunden auf Null.
Dennoch wird mit den meisten Staaten, in deren Häfen das Atomschiff festmachen soll, erst noch über Gefahren verhandelt werden müssen -- über die Höhe der Versicherungssumme für etwaige Strahlungsschäden.
Für den norwegischen Erzhafen Narvik, wo NS "Otto Hahn" im kommenden Frühjahr seine erste Erzfracht laden soll, ist die Deckungssumme schon vereinbart: 400 Millionen Mark, das Fünfundzwanzigfache der üblichen Risiko-Summe eines Erzfrachters.