HERBERT WEHNER
HERBERT WEHNER ist, ebenso wie Berlins Bürgermeister Willy Brandt, stellvertretender Parteivorsitzender der SPD. Trotz Willy Brandt ist er immer noch die einflußreichste Figur an der Spitze der deutschen Sozialdemokratie.
Der 57jährige Politiker - er wurde am 11.Juli 1906 als Sohn eines Schuhmachers in Dresden geboren - hat maßgeblich an der Durchsetzung des Bad Godesberger Reformprogramms mitgewirkt. Mit einer aufsehenerregenden Rede am 30. Juni 1960 im Bundestag wurde von ihm die gemeinsame Außenpolitik zwischen Regierung und Opposition eingeleitet, und er hat schließlich, im Winter vergangenen Jahres während der durch die SPIEGEL-Affäre ausgelösten Staatskrise, den allerdings vergeblichen Versuch unternommen, eine Große Koalition von CDU und SPD unter Adenauers Führung zu bilden. Wehner, der seit 1949 den Gesamtdeutschen Ausschuß des Bundestages leitet, war viele Jahre lang erbittertster Kritiker der Kanzler-Politik. Er hat Konrad Adenauer, dessen Wiedervereinigungs-Bekenntnisse er für unglaubwürdig hielt, einmal eine "Nachgeburt des Führers" genannt
und noch 1959 erklärt: "Für uns gibt es keine Gemeinschaft mit den verlogenen Leuten in der Spitze der CDU, die die Einheit Deutschlands schon längst abgeschrieben haben."
Dies war die Sprache Kurt Schumachers, den Herbert Wehner bewunderte und verehrte und der bis zu seinem Tode im Jahre 1952 den ehemaligen Kommunisten Wehner gefördert hat. Die Totenmaske Kurt Schumachers hat noch heute in der Wehner-Wohnung auf dem Bonner Venusberg einen Ehrenplatz.
Aber sowenig sich Wehners Wertschätzung der Persönlichkeit Kurt Schumachers geändert hat, sosehr hat er sich im Laufe der Zeit von der Politik kompromißloser Opposition distanziert, die sein verstorbener Parteiführer und Freund den Sozialdemokraten hinterließ.
Das staatsmännische Format Herbert Wehners wird heute auch von seinen Gegnern in den bürgerlichen Parteien anerkannt, während die Kritiker Wehners in der SPD, die den neuen Kurs ihrer Partei mit seiner Person identifizieren, seit der Bundestagsrede vom Juni 1960 an Zahl und Gewicht zugenommen haben.