SOWJET-AUTOS Westlicher Chrom
In Seneffe bei Brüssel wurde der erste 1 sowjetische Industrie-Stützpunkt innerhalb der EWG eröffnet: Mit britischen Motoren unter der Haube und auf belgischen Reifen rollen seit Anfang dieses Monats russische Automobile vom Montagefließband.
Joseph Beherman, 54, in Rumänien geborener Belgier, besorgt das Geschäft unter Assistenz russischer Ingenieure und mit russischer Kapitalbeteiligung für das Moskauer Außenhandelsministerium.
Beherman, der auch amerikanische Chrysler und Plymouth, englische Morris und MG sowie französische Facel -Vega montiert, hatte schon seit einigen Jahren die Sowjetmodelle Wolga und Moskwitsch zusammengebaut. Obwohl jedoch beispielsweise der dem Fiat 1100 nachempfundene Moskwitsch in Westdeutschland nur 4200 Mark kostete, florierte der Absatz zunächst nicht.
Die Sowjetmodelle erreichten nicht den Standard westlicher Konkurrenzfabrikate. Vor allem schreckte der Moskwitsch-Verbrauch von zehn bis zwölf Litern bei einer Spitzengeschwindigkeit von allenfalls 115 Stundenkilometern die Käufer ab. So entschloß sich Beherman, statt der gefräßigen sowjetischen Motoren britische Aggregate einzubauen.
Er rüstete den Moskwitsch mit einem Perkins-Dieselmotor aus, der bei einer Höchst- und Dauergeschwindigkeit von 110 Stundenkilometern nur sechs bis acht Liter Treibstoff verbraucht. Den 2,4 -Liter-Wolga, der äußerlich amerikanischen Modellen etwa des Jahrgangs 1954 ähnelt, bestückte Beherman mit einem Rover-Diesel (Spitzengeschwindigkeit: 120 Stundenkilometer).
Um die Wagen noch mehr dem westlichen Geschmack anzugleichen, erhielten sogenannte De-Luxe-Modelle eine Polsterung in europäischen Modefarben, Chromleisten europäischer Herkunft und Englebert-Pneus. Schließlich taufte der rumänische Belgier seine Mischprodukte auch noch um. Der Moskwitsch wurde zum Scaldia (vom lateinischen Wort für Schelde), der Wolga hieß nun Wolga -Dank der Dieselmotoren rückten die Sowjet-Autos in eine andere Klasse auf. Der Wolga-Rover konkurriert etwa mit dem Mercedes 190 Diesel, der Scaldia mit dem 1,8-Liter-Diesel von Peugeot. Beide sind rund 3500 Mark billiger als ihre westlichen Gegenstücke.
Die Umrüstung, vor zwei Jahren zunächst als Experiment und mit geringen Stückzahlen begonnen, brachte Erfolg. Im vergangenen Jahr wurden rund 3000 Russenautos abgesetzt, mehr als doppelt soviel wie 1962. Beherman und seine Sowjet-Geschäftsfreunde hielten daraufhin die Zeit für gekommen, von der zeitraubenden Einzelmontage zum Fließbandverfahren überzugehen.
Der Entschluß lag für Beherman um so näher, als ein anderer Partner ihn vor die Tür gesetzt hatte. Dem Kasseler Henschel-Konzern, der gemeinsam mit Beherman in der Nähe von Antwerpen Lastwagen für die Bundeswehr montiert hatte, waren Bedenken wegen Behermans sowjetischem Umgang gekommen.
So errichtete der flinke Belgier mit Moskauer Kapitalhilfe das Werk in Seneffe, von dem aus die Russen ins EWG -Geschäft vorstoßen wollen. Tatsächlich billigt Westdeutschland den west-östlichen Automobilen aus Belgien die gleichen Zollpräferenzen zu wie normalen EWG-Produkten.
Sowjet-Partner Beherman
Stützpunkt errichtet
Sowjetisches EWG-Produkt "Scaldia": Nomen geändert