SÜDTIROL / TERRORISTEN Tod auf der AIm
In den Hotels "Sonnenaufgang" und "Nagler" im dritten Wiener Gemeindebezirk wohnten bis zum 27. August zwei Südtiroler Gäste, der eine magenkrank, der andere kurz zuvor meniskusoperiert: die Partisanenführer Georg ("Der Hämmerer") Klotz, 45, und Luis Amplatz, 38.
Die beiden Terroristen (über 200 Sabotageakte), von den Italienern steckbrieflich gesucht und im Mailänder Sprengstoff-Prozeß in Abwesenheit zu 18 und 25 Jahren Gefängnis verurteilt, hatten in Österreich Asyl gefunden. Im April waren sie wegen zu freimütiger Interviews (Amplatz mit dem SPIEGEL, Klotz mit "L'Europeo", Mailand) in Wien festgesetzt worden. Sie durften Ostösterreich nicht verlassen.
Am 27. August, gegen 14 Uhr, verschwanden die beiden Südtiroler in einem Leihwagen nach Westen. Ihr Ziel: Südtirol; ihr Plan: durch neue Terroranschläge die Genfer Südtirol-Konferenz zwischen dem österreichischen und dem italienischen Außenminister, Bruno Kreisky und Giuseppe Saragat, zu sprengen.
Mit Donarit und Maschinenpistolen wollten sie eine friedliche Lösung des Südtirol-Problems verhindern, die letzte Woche erstmals greifbar nahe schien.
Am 30. August stapften Amplatz und Klotz über das vereiste Langtaler Joch, einen, 3035 Meter hohen Grenzpaß in den Ötztaler Alpen, nach Italien. Zwei Stunden später wurden sie nahe dem Alpenvereinshaus "Zwickauer Hütte" von vier italienischen Grenzern gestellt. Scharfschütze Klotz schoß einem italienischen Unteroffizier eine Pistolenkugel in die Schulter. Die Italiener flüchteten, die beiden Partisanen (österreichisch: "Bumser") verschwanden im Nebel.
Die Vierer-Streife zählte zu Grenzkommandos, mit denen die Italiener den Chefbumsern bereits auflauerten:
Schon auf ihrer Autofahrt durch Tirol waren Klotz und Amplatz von Agenten der italienischen Gegenspionage verfolgt worden. 600 römischen Agenten, hauptsächlich in Tirol eingesetzt, war es in den letzten zwölf-Monaten gelungen, die Südtiroler Terroristen zu unterwandern. Die Hochalmen entlang der Grenze waren mit italienischen Agenten besetzt worden. Ihr Auftrag: Klotz und Amplatz zu fangen oder zu töten.
Ein Ausfall des Bumser-Duos, so glaubte Rom, würde den Rest-Terroristen endgültig das Rückgrat brechen.
Eine kleine Gruppe fanatischer Südtiroler Freiheitskrieger war der italienischen Gegenspionage jedoch entgangen: In den bayrischen Bergen nahe der Tiroler Grenze hatte seit Monaten ein isoliertes Fähnlein von Terroristen modernen Partisanenkrieg geübt.
Es waren zwölf Mann, in vier Dreiertrupps gegliedert. Ihr selbstgewählter Name: "Die zwölf Apostel". Ihre Anführer: Heinrich Oberleitner, 24, Erich Oberlechner, 24, Joseph Fohrer, 23, und Siegfried Steger, 25.
Die vier gelten als die besten Schützen des Südtiroler Ahrntales. Bis 1962 sprengten sie Hochspannungsmasten, dann flüchteten sie nach Tirol. Sie studierten Partisanenbücher und bauten ihre neuen Kampfgruppen nach erprobten Guerilla-Grundsätzen auf.
Für den Fall der Verhaftung und Karabinieri-Tortur wurden die Partisanen mit Stiefeltritten und Quarzlampen abgehärtet.
In der letzten August-Woche kamen sie - wenige Tage vor Klotz und Amplatz - über Ost- und Nordtirol in ihre Heimat zurück. Nach zehn Monaten Ruhe begann eine neue Terrorwelle:
- Am 27. August wurden vier Karabinieri bei Perca im Pustertal durch eine Mine verletzt.
- In der Nacht zum 2. September wurden die Zollwache auf dem Timmelsjoch und die Polizeistation am Jaufenpaß unter MG-Feuer genommen.
- Am Abend des 3. September wurde
ein Karabiniere beim Verlassen der
Latrine in der Kaserne des Dorfes
Mühlwald erschossen.
- In der Nacht zum 6. September fielen bei Pfunders und Weithental zwei Hochspannungsmasten.
- In der Nacht zum 9. September wurden fünf Karabinieri durch eine Mine bei Antholz schwer verletzt.
- Am Nachmittag des 10. September
wurden bei Gais im Ahrntal zwei Karabinieri angeschossen. Bei der Verfolgung der Partisanen erschoß ein Karabiniere versehentlich einen Kameraden, ein Alpini-Soldat verunglückte tödlich.
Opfer der Attentate wurde auch die unbeteiligte Bevölkerung. Karabinieri trieben 500 Bewohner der Ortschaften um die Kaserne Mühlwald in ein mit Stacheldraht umzäuntes Feld. Die Internierten, darunter zehnjährige Kinder und 70jährige Greise, mußten 19 Stunden lang ohne jede Nahrung im Freien stehen. 30 blieben in Haft. Verlustziffer dieser Aktion: vier Italiener. Sie wurden durch die MP-Salve eines nervösen Polizisten verletzt.
Unterstützt von Hubschraubern, Panzern und Scheinwerferbatterien, machten die Karabinieri auf die Terroristen Jagd. Am Wochenende standen 25 000 Soldaten und Polizisten in Südtirol. Diese Armee faßte keinen Partisanen. Dennoch war Anfang letzter Woche der prominenteste Bumser, Luis Amplatz, tot. Auf der Stier-Alm, vier Gehstunden über dem Ort Saltaus im Passeiertal, wurde Amplatz am Montag mit vier Kugeln im Körper gefunden. In Unterhemd und Unterhosen lag er in seinem blutgetränkten Schlafsack.
Amplatz und Klotz waren nach ihrem Feuergefecht mit den Grenzern und einem Anschlag auf die Polizeistation am Jaufenpaß auf der Stier-Alm untergekrochen. Sie trafen dort mit einem Tiroler zusammen, den sie aus der früheren Terroristenorganisation kannten. Der Freund von einst war jetzt jedoch Hochalmhüter im Dienste der Italiener.
Zwei Nächte schlief der dritte Mann zwischen Klotz und Amplatz auf einem Heulager. In der Nacht zum Montag letzter Woche war die Reihe an ihm. Wache zu halten. Um zwei Uhr zog er seine Neun-Millimeter-Beretta-Pistole mit Schalldämpfer und erschoß den schlafenden Amplatz, auf dessen Kopf die Italiener 50 000 Mark ausgesetzt hatten.
Georg Klotz konnte sich noch herumwerfen. Mit einem Steckschuß in der rechten {Schulter und einem Streifschuß an der Oberlippe gelang es ihm, sich in zwei Tagen durch einen Sperrgürtel von 3000 Soldaten und Polizisten über die Windach-Scharte in den Ötztaler Alpen nach dem Nordtiroler Gebirgsort Sölden durchzuschlagen. Telephonisch bat er seinen Innsbrucker Bumser-Freund, den Journalisten Wolfgang Pfaundler (Deckname: "Thomas"), ihm bei der Flucht nach Bayern zu helfen. Danach wurde Klotz von Gendarmen verhaftet.
Der Amplatz-Mörder (laut Italiens Polizei: Peter Hofmann, 23, Medizinstudent aus Österreich) wurde im südtirolischen Saltaus von Alpini-Soldaten mit seiner leergeschossenen Beretta aufgegriffen. Die Italiener behandelten ihn ungewöhnlich lässig. Ungefesselt, nur von einem Offizier bewacht, sollte er in der Dienstagnacht im offenen Jeep nach Bozen gebracht werden.
Doch Hofmann (richtiger Name vermutlich: Kerbler) habe, so berichteten die Italiener, dem Fahrer einen Schlag versetzt, sei aus dem Wagen gesprungen und entkommen.
Dazu der römische "Messaggero": "Das kann man doch nicht glauben."
Südtirol-Terroristen Oberleitner, Oberlechner, Fohrer: Krieg der zwölf Apostel