GROSSRAUMBÜRO Schrei der Damen
Karl Bach, Vorstand der Orenstein -Koppel und Lübecker Maschinexbau AG, teilt sein Büro mit allen 330 Angestellten der Hauptverwaltung in Dortmund-Dorstfeld. Es ist gut halb so groß wie ein Fußballplatz und hat keine einzige Trennwand.
Direktor und Schreibdamen erleben gemeinsam das, was von Traditionalisten als Vorhölle verschrien und von Fanatikern der - Arbeitsplanung als Paradies gepriesen wird: das Großraumbüro.
In Amerika schon vor 40 Jahren von Henry Ford I eingeführt, erringt es sich jetzt die Gunst deutscher Manager. Vorboten eines Exodus aus den Einzelbüros waren 1960 die 760 Bediensteten der Mannheimer Versicherung; in den Jahren danach schwoll der Strom der Umsiedler stetig an, heute haben sich bereits etwa 20 000 Chefs und Untergebene in Mammut-Kanzleien zusammengefunden.
Bachs Großraum ist allerdings der erste in Westdeutschland, in den sich auch die Direktion hineinbequemt hat. Trotz 4560 Quadratmeter Gesamtfläche ist er alles andere als ein öder Arbeitssaal.
Zwischen den scheinbar planlos her umstehenden Schreibtischen wuchert in 210 Blumenkübeln eine üppige Vegetation. Die Philodendren, Palmen und Gummibäume gliedern die Verwaltungskompanie in Arbeitsgruppen. Das Gesetz der Büro-Landschaft ist dasselbe: das in der Werkhalle die Anordnung von Maschinen bestimmt: der Fluß von Menschen und Material.
Die Vorgänge sammeln sich nicht mehr in langen Liegezeiten zu Stapeln an, sondern wandern flott weiter. Rückfragen sind ohne Wege und Warten zu klären. Jeder sieht, was der andere gerade tut, und kann ihn direkt ansprechen. Karl Bach: "Ein Supermarkt der Informationen."
Überdies sind Bau und Einrichtung von Großraumbüros oft billiger als traditionelle Einzelzimmer. Großraum-Pionier Professor Emil Frey, Generaldirektor der Mannheimer Versicherung, baute 1960 das elfgeschossige Verwaltungsgebäude für 7,8 Millionen Mark. Hätte er es mit Zellenbüros ausgestattet, dann wäre es um 2.4 Millionen Mark teurer geworden.
Die Tapezier- und Malerarbeiten im Inneren waren mit 100 000 Mark abgetan; mit Zwischenwänden und Türen hätten sie 250 000 Mark mehr erfordert
- eine Einsparung, die sich noch dazu
alle vier Jahre wiederholt. Die Reinigung der zusammenhängenden Büroflächen schließlich kostet die Mannheimer jährlich etwa 6500 Mark weniger als das Saubermachens in herkömmlichen Einzelräumen.
Um seinen 270 Angestellten das Zusammensein zu erleichtern, wandte das Kommissionshaus Buch und Ton des Bertelsmann-Verlages in Gütersloh 1961 pro Arbeitsplatz insgesamt über 3000 Mark für technischen Komfort auf; Vollklimatisierung, blendfreies Licht, Schallschluckeinrichtungen wie Tische ohne lärmreflektie&ende Unterbauten, Sichtblenden und viel Grün.
Die VDI-Richtlinie 2058 "Beurteilung und Abwehr von Arbeitslärm" stellt für die sogenannten Einzelbüros; in denen meist vier bis sechs Personen an knatternden Schreibmaschinen hocken, einen normalen Schallpegel von 70 Phon fest. Dagegen wirkt der Großraum wie eine Oase der Stille.
Ein gleichmäßiges Summen zwischen 49 und 55 Phon erfüllt ihn wie Messungen bei Buch und Ton, bei der C. F. Boehringer & Söhne GmbH in Mannheim (Großraum für 363 Beschäftigte) und bei der BP in Hamburg (Versuchsgroßraum Barkhof für 63 Personen) bewiesen. Selbst die Geräusche von
Buchungsmaschinen und Fernschreibern gehen in dem Summen unter.
Ein Angestellter versteht den anderen bis auf eine Entfernung von 3,5 Metern. Was jenseits eines Umkreises von 6,5 Metern Radius geschieht, nimmt er akustisch nicht mehr wahr.
Die vornehme Stille allein führt jedoch noch nicht zu dem, was Deutschlands Bürovorsteher erhofften: die "anregende Atmosphäre einer Hotelhalle". Die Büro-Organisatoren Eberhard und Wolfgang Schnelle aus Quickborn bei Hamburg wollen herausgefunden haben, daß dort "der einzelne gern seine besten Kräfte hergibt".
Ebenso fleißfördernd wirkt nach den Erkenntnissen der Großraumpfleger Schnelle, daß die Firmen-Repräsentation "sozialisiert" wird. War, sie vorher nach außen gerichtet, auf die Fassade, auf besonders ausstaffierte Besucherräume und den Bezirk des Managements, so ist sie nun nach innen verlegt und kommt allen Angestellten zugute.
Freilich, die "optimale Leistungssteigerung durch ... Begeisterung, Arbeitsfreude und Wohlbehagen", von der Eberhard Schnelle schwärmt, ist nicht unbestritten.
Der Rationalisierungsfachmann Willi -Pöhler erklärte zum Großraum:
"Die naive Auffassung, daß man allein durch Gestaltung der äußeren Arbeitsbedingungen einen planbaren Einfluß auf die Vorstellungen und Verhaltensweisen der Menschen nehmen könne, verweist auf die Unkenntnis sozialer Beziehungen und Prozesse."
So fühlt der Angestellte im Großraumbüro, daß er nun vollends manipulierbar
und auswechselbar geworden ist. Die Illusion, etwas Besonderes und Besseres zu sein, verfliegt. Obwohl seine reale Situation kaum je anders war, erschreckt ihn ihre jähe Erkenntnis. In der Masse überkommt ihn die Sehnsucht nach der Geborgenheit in der vertrauten Kleingruppe ("Wir von der alten Buchhaltung") Erst nach einigen Monaten schwindet das Unbehagen.
Kluge Unternehmer kalkulieren diesen Sicherheitskomplex in ihre Planungen ein. "Wenn der Großraum psychologisch abgelehnt wird, kann er nicht als optimale Umwelt für Büroarbeit angesehen werden", heißt es in einer Studie des Rationalisierungs-Kuratoriums der Deutschen Wirtschaft, das die Zahl der "wirklich funktionierenden" Großraumbüros auf "höchstens zwanzig" schätzt.
Bei Bertelsmann durfte jeder Angestellte sechs Monate vor dem Umzug seinen neuen Arbeitsplatz am Model studieren, Einwände machen und Änderungen vorschlagen. Plausible Wünscht wurden erfüllt. Heute, vier Jahre danach, mögen 205 von 270 Bertelsmännern ihr Großraumbüro nicht mehr missen.
Skeptiker Willi Pöhler wittert trotz aller psychologischen Vorsorge der Unternehmen individuelle Tragödien unter den Büro-Belegschaften. Kopfschmerzen, Sehstörungen und Erkältungskrankheiten seien Symptome eines "unformulierten Unbehagens", dessen Ursachen "mit technischen Mitteln nicht mehr erreichbar" sind.
Zweifellos wird zum Beispiel der Bilanzbuchhalter die "anregende Atmosphäre der Hotelhalle" nicht ohne weiteres mit seinem Berufsbild vereinbaren können. Aber auch andere empfindliche Büronaturen fühlen sich in der amerikanischen Stehkragen-Manege auf die Dauer nicht wohl.
So weinte sich eine 31jährige Marlen S in "Bild am Sonntag" aus: "Hier bin ich zur Nummer geworden, zur entpersönlichten Arbeitskraft." Aller Luxus sei "nichts als Komfort mit Unbehagen".
Und eine Sekretärin aus der Zentralverwaltung des Kaufhaus-Königs Helmut Horten meinte: "Man sitzt doch acht Stunden hier wie auf dem Präsentierteller. Jede Laufmasche zerrt an den Nerven. Jeder schlecht sitzende Rock wird zum Problem ... Wenn ich abends nach Hause komme, bin ich verkrampft und nervös."
Der Widerwille entzündet sich oft an kleinen technischen Pannen. Bei der Darmstädter Staatsanwaltschaft, die 1964 als erste deutsche Behörde ein Großraumbüro bezog, war zunächst die Luft zu trocken. Der vom Kunstfaserteppich isolierte Raum lud sich elektrostatisch auf, und aus den Justiz-Schreibmaschinen sprühten Funken. Erinnert sich Oberstaatsanwalt Dr. Erich Hofmann: "Es war entsetzlich, die Damen schrien." Ein paar Wannen mit Pflanzen indes genügten, um die Luft zu befeuchten und damit die elektrische Spannung zu beseitigen. Das mit 26 Insassen bisher kleinste deutsche Großraumbüro war gerettet.
Im zentralen Schreibzimmer der Allianz-Versicherung in Hamburg wikkelten einige Mädchen ihre Beine in Handtücher. Begründung: "Es zieht so." Dabei arbeitet die Klimaanlage einwandfrei, schuld waren die Schreibtische.
Im Großraum werden sogenannte Transparentmöbel verwendet: Tische ohne die üblichen Kastenunterbauten aus Schubläden. Der gewohnten Deckung beraubt, wähnten die Damen alle Blicke ständig starr auf ihre Beine gerichtet. Sie ließen die Handtuch-Hüllen erst fallen, als ihnen ein Blumen-Arrangement zu Füßen gestellt wurde. Plötzlich zog es auch nicht mehr.
Tatsächlich wirkt das Gefühl, ständig beobachtet zu werden, nicht unbedingt leistungssteigernd. Um den Angestellten die Angst vor dem großen Bruder zu nehmen, sitzen bei Bertelsmann die Abteilungsleiter mit dem Rücken zu ihren Leuten. Vom schlechten amerikanischen Beispiel, wo Aufpasser Faulpelze durch akustische und optische Warnsignale aufschreckten, sind deutsche Psychologen noch heute entsetzt.
Ernsthaften Widerstand gegen das neue Gemeinschaftswerk leisten nur noch die gehobenen Kontoristen. Direktor Karl Bach von der Orenstein-Koppel AG berichtet: "Die Einwände kamen vor allem von den Einzelzimmer-Benutzern." Da sich in Dortmund aber das Top-Management von der Saalarbeit nicht ausschloß, "fehlten ihnen gleich die besten Argumente".
Die Arrivierten haben Angst vor dem Verlust ihrer Status-Requisiten: Größe des Zimmers, Zahl der Fenster, Mobiliar, Doppeltür mit Namensschild und Vorzimmer.
Boß Bach bemerkt schadenfroh: "Niemand mehr kann bloß vom Nimbus seiner Position leben. Der Großraum provoziert Kontakt, die Ehrfurcht vor dem Chef nimmt ab, wenn er nicht die Qualität des Vorbildes hat."
Statt sich durch die mittlere Führungsschicht von der Idee des Großraumbüros abbringen zu lassen, befindet Großraumideologe Eberhard Schnelle, sei es "besser und immer noch sehr viel billiger, den Abteilungsleiter - zum Zeichen seiner Würde - auf einen großformatigen echten Perserteppich zu setzen".
Das Fachblatt "Das rationelle Büro" meinte sogar, es sei schade, daß die hierarchische Stellung nicht ähnlich wie beim Militär durch weiße Streifen am Schreibtisch ausgedrückt werden könne.
Bei der Mannheimer Versicherung dient die Zahl der Schreibtische als Rangabzeichen. Es gibt ein Standardmodell im Format von 70 mal 140 Zentimetern. Ein gewöhnlicher Angestellter hat nur einen Tisch, für einen Sachbearbeiter mit Publikumsverkehr wurden zwei Tische zusammengerückt, zwei Tische mit Zwischenplatte lassen den Abteilungsleiter erkennen.
Professor Emil Frey, der die Tischordnung einführte, genehmigte sich selbst drei Tische. BertelsmannGroßraumbüro in Gütersloh: Materialfluß zwischen Gummibäumen Büroplaner Brüder Schnelle: Vorhölle oder Paradies?