JULES VERNE Zukunft im Zettelkasten
Alles, was ein Mensch sich vorstellen kann", sagte der Schriftsteller Jules Verne (1828 bis 1905), "werden andere Menschen realisieren können."
Jetzt, 61 Jahre nach dem Tod des Zukunfts-Romanciers, realisieren die Franzosen, was sie an ihrem Landsmann literarisch haben: Seit der Pariser Taschenbuchverlag "Livres de Poche"
zehn der 98 Verne-Bände auf einmal in einer Sensationsauflage von einer Million Exemplaren auf den Kulturmarkt brachte, ist in Frankreich Verne en vogue.
Die Pariser Nationalbibliothek und die städtische Bücherei von Nantes (Vernes Geburtsstadt) stellen Illustrationen der ersten und frühen Ausgaben aus und eine Kollektion bislang unbekannter Briefe (Verne: "Ich bin sehr ungeschickt in der Beschreibung von Liebesempfindungen"). Sechs Pariser Kinos, die den zehn Jahre alten Verne-Film "20 000 Meilen unter dem Meer" wiederaufführen, sind täglich ausverkauft.
In der Galerie Pub-Renault an den Champs-Elysées schließlich stehen Fiktion und Realität nebeneinander. Neben Illustrationen aus "Von der Erde zum Mond" (geschrieben vor 100 Jahren) sehen die Galeriegänger zum Beispiel Modelle moderner Raketen, an die Verne vor genau 100 Jahren gedacht hat.
Er hat fast alles vorher gewußt. Verne beschrieb Wolkenkratzer, Hubschrauber, künstliche Satelliten und den Atomkrieg. Der US-Admiral Byrd ließ sich von Verne-Lektüre inspirieren, 1926 zum Nordpol zu fliegen; und Sowjet-Astronaut Jurij Gagarin glaubt, seine Verne-Verehrung habe ihn zur Weltraumfahrt gebracht.
Verne selbst wollte als Zwölfjähriger die Welt umsegeln: Er musterte als Schiffsjunge auf einem Dreimaster an. Sein Vater, ein Notar, nutzte die Technik, benutzte ein Dampfboot, überholte den Flüchtling und holte ihn zurück.
Verne studierte Jura, heiratete dann die 26jährige Witwe Honorine du Fraysne de Viane, lebte mit vaterlichem Geld, schrieb Operettentexte und schließlich seinen ersten Zukunftsroman, "Fünf Wochen im Luftballon".
Nachdem 15 Verleger das Manuskript zurückgeschickt hatten, behielt es der 16.: Jules Hetzel, der auch Balzac, Victor Hugo, Proudhon und Alphonse Daudet ("Tartarin von Tarascon") druckte. Hetzel, einer der ersten neuzeitlichen Verleger - er publizierte bereits Massenauflagen -, machte mit Verne einen Vertrag auf 20 Jahre: Für 20 000 Franc pro Jahr mußte der erste Science-fiction-Autor jährlich zwei wissenschaftlich gearbeitete Romane schreiben.
So entstanden 98 Bände, hergestellt nach einem Zettelkasten-System (Verne hinterließ 25 000 Stichwort-Karten), zum größeren Teil geschrieben in dem Turm zu Amiens, den Verne innen wie ein Schiff ausgestattet hatte.
Zu Lebzeiten wurde er hochgeschätzt. Der Lyriker Guillaume Apollinaire: "Welch ein Stil! Lauter Substantive"; bei seinem Tod sandte Kaiser Wilhelm II. ein Beileidstelegramm an die Familie von Jules Verne, "dessen Werke mich in meiner Jugend so interessiert und ergötzt haben"; nach seinem Tod aber wurden die phantastischen Zukunfts- und Reiseromane des literarischen Zwitters - Verne war zugleich Unterhaltungsautor und halbwissenschaftlicher Prophet - fast nur in Luxusausgaben gehandelt.
Als Jugendbuch-Autor allerdings gehört Verne zu den meistübersetzten Schriftstellern. Seine Romane sind in 84 Sprachen lesbar.
Mehr Übersetzungen haben nur Shakespeare, die Bibel, Lenin und Tolstoi.
Verne-Film "20 000 Meilen unter dem Meer", Autor Verne: Kaiser Wilhelm war ergötzt
Zeitgenössische Verne-Illustration
Traum im Turm