EBERT 37mal Lump
Landesvater Friedrich Ebert fuhr in
die Badehose und watete mit dem Genossen Gustav Noske in die Lübecker Bucht. Es war Anfang August 1919. Am kurtaxfreien Strand des Ostseebades Haffkrug stand ein Photograph. Geniert gestattete der Reichspräsident eine Aufnahme - und beging damit den kapitalsten Fehler in seiner Amtszeit.
Denn das deutsche Volk - an Regenten im blitzenden Küraß gewöhnt - ertrug es nicht, daß sein höchster Repräsentant statt Ordenspracht den blanken Nabel vorwies.
Die "Berliner Illustrirte" brachte Eberts Bade-Idylle als Titelbild. Andere Zeitungen druckten es mit diffamierenden Zusätzen nach, und gegen eines dieser Blätter strengte Ebert seinen ersten Beleidigungsprozeß an.
Kein deutsches Staatsoberhaupt hat annähernd so viele Strafanträge wegen Beleidigung gestellt wie Ebert - insgesamt 173 in den sechs Jahren seiner Präsidentschaft. Seine Gegner - rechts wie links - behandelten ihn wie Freiwild.
Den "Rufmord am Reichspräsidenten" hat jetzt Dr. Wolfgang Birkenfeld, Dozent für Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Braunschweig, akribisch untersucht. Er war im Bundesarchiv Koblenz auf einen Zufallsfund gestoßen, als er nach Unterlagen über die Wirtschaftsgeschichte des Dritten Reiches forschte: Zwischen Dokumenten der Berliner Präsidialkanzlei lagen einige Konvolute mit den Akten der Beleidigungsklagen Eberts.
Birkenfeld kategorisierte die vielfältigen Injurien und zählte sie sogar: "Am häufigsten ist das Wort 'Lump' vertreten, das allein zweiundzwanzigmal auftaucht. Dazu treten dann attributive Ergänzungen wie 'großer Lump', 'größerer Lump', 'größter Lump', 'größter Lump in Deutschland' ... insgesamt siebenunddreißigmal die Beschimpfung 'Lump'."
Was der deutsche Sprachschatz an Schimpfworten hergab, kübelten die Schmäher über das Staatsoberhaupt aus - Birkenfelds Sammlung reicht von "Schwein" und "Esel" über "Rotzjunge" und "Obermistvieh" bis zum "Erzspitzbuben" und "Scheißer".
Selbst die Kommunisten maßen den gelernten Sattler und späteren Gastwirt Ebert nur noch mit der Elle des Feudalstaates und verkündeten ebenso wie die Deutschnationalen, daß "der Sattlergeselle zum Regieren zu dämlich" sei.
Eberts gastronomische Vergangenheit verlockte einige dazu, ihn als Schnapsbudiker" zu apostrophieren, der "ständig besoffen wie ein Schwein" sei. Andere behaupteten öffentlich, der Reichspräsident lasse "sich von nackten Weibern bedienen" oder er "hure mit Theaterweibern die Nächte durch".
Am häufigsten (30 angezeigte Fälle) wurde Ebert Bereicherung im Amt vorgeworfen, es folgten Landesverrat und kleinbürgerliche Herkunft (je 24), Trunksucht (19) und Unfähigkeit (14).
20 Prozent der Beleidiger waren Zeitungsleute und 18 Prozent Beamte,
unter denen sich die Geistlichen am lästerlichsten gebärdeten. So donnerte 1920 im ostpreußischen Rogahlen ein Gottesmann von der Kanzel: "Dieser Sattlergeselle Ebert ... weiß nicht, was er im Suff tut."
Anfangs hielt Ebert noch Maß mit der Strafverfolgung. So schrieb er 1921 an den Rand einer Anzeige: "Persönlich berührt mich die Dreckerei nicht ..." Doch schon ein Jahr später verfolgte er unvermittelt auch Bagatellsachen und wies Entschuldigungsversuche von Beleidigern "aus grundsätzlichen Erwägungen" zurück.
Den "plötzlichen Wandel" erklärt Birkenfeld mit der Ermordung Rathenaus am 24. Juni 1922. "Vom Rathenau-Mord an wurde die Beleidigungsklage für Ebert auch zum Instrument im Kampf um den Fortbestand der Republik überhaupt."
Doch die überwiegend rechtsorientierten Richter der Weimarer Republik hielten Ebert ebenfalls nur für einen auf dubiose Weise arrivierten Sattlergesellen, den sie im Kollegenkreise ungeniert "Friedrich den Vorläufigen" nannten. Sie bestraften Ebert-Verleumder nur widerwillig, besonders in Bayern. In München konnte man Ebert "zu billigstem Tarif" (Birkenfeld) als den "größten Lumpen in Deutschland" bezeichnen: Ein Student bekam dafür zur Inflationszeit 750 Mark Geldstrafe.
Eingelocht wegen Präsidenten-Beleidigung wurden vornehmlich kommunistische Literaten und Arbeiter, während rechtsstehende Parteifunktionäre zur Gerichtskasse gebeten wurden.
Eberts Nachfolger, der Generalfeldmarschall von Hindenburg, fand ergebene Richtet. Wer vom "Helden von Tannenberg" wegen Beleidigung angezeigt wurde, kam unweigerlich ins Kittchen. Gleichwohl wurden nur 17 Schmäher abgeurteilt, denn nach seinem 80. Geburtstag verklagte Hindenburg (bis auf eine Ausnahme) niemanden mehr - "offenbar aus prinzipiellen Erwägungen", wie Rufmord-Deuter Birkenfeld schätzt. Der Soldat hatte ein dickeres Fell als der Sattler.
Badegäste Ebert (r.) Noske
Linke ins Loch, Rechte zur Kasse