STUDENTEN / VERBINDUNGEN Keusche Füchse
Unter denn 9306 Erlanger Studenten sind 37, die sich der Keuschheit verschrieben haben. Sie dürfen mit Säbeln schlagen, aber nicht mit Mädchen schlafen. Das ist die Maxime der Burschenschaft Bubenruthia.
Seit Gründung der Korporation vor 150 Jahren haben so insgesamt 3300 deutsche Männer Enthaltsamkeit geübt, bis sie sich verehelichten, unter ihnen Männer wie der frühere Hamburger Landesbischof D. Dr. Simon Schöffel und der ehemalige Präsident des Münchner Oberkonsistoriums Hermann von Bezzel.
Denn die Bubenreuther bewegt -- so ihr Alter Herr ("Philister") Dr. Ludwig Grobe, 66, Landgerichtsdirektor in Hamburg -- "der Gedanke der sittlichen Verantwortung gegenüber der schutzbedürftigen Frau und ihrer Reinheit".
Ähnlich fühlten die Mitglieder der Erlanger Burschenschaft Germania; doch 1966 hoben sie das Keuschheitsgelübde auf. Nur noch die 62 Studenten der Bonner Burschenschaft Alemannia halten an der Unberührtheit bis zur Eheschließung fest -- die einzigen zugleich schlagenden und keuschen Jungakademiker neben den Bubenreuthern.
Anders als etwa die Corpsstudenten, die sich nur gegenüber "Corpsschwestern" (Verwandten eines Corpsbruders) Zurückhaltung auferlegen müssen, machen die Erlanger folgerichtig auch keinen Unterschied im sozialen Stand der Frau. Ob Neigung zur Altherren-Tochter oder Hang zum Küchenpersonal -- unkeusches Aktiv-Werden ist dem Bubenreuther Burschen verwehrt. "Das hemmungslose Sich-Ausleben", so Dr. Grobe, "wahllos um des sexuellen Genusses willen, ist nicht das, was wir für richtig halten."
Jeder Aktive entscheidet selbst darüber, an welchem Punkt seine Unkeuschheit gegenüber dem Weibe beginnt. So geht ein Kuli, den der akademische Eleve seiner Tanzdame auf dem Heimweg appliziert, noch durch. Erläutert Grobe-Sohn Hannes, 28, promovierter Jurist, der gerade das Assessor-Examen bestanden hat: "Allerdings beim Koitus ist dann hundertprozentig Schluß."
Nach den Worten seines Alten Herrn sind die Bubenreuther gleichwohl "dem Leben durchaus zugewandt". So sitzen sie in Hemdsärmeln auf der offiziellen Kneipe und sind mit Bauern und Geigenbauern aus dem benachbarten 3000-Seelen-Flecken Bubenreuth auf du.
Zoten zu erzählen, ist jedoch schon gegen den Komment. Stets gilt es, sich im Erotischen zu bescheiden, "obwohl sie schließlich junge Leute mit Blut in den Adern sind", wie Verbindungschef Otto Groß, 64, Generalstaatsanwalt in München, einräumt.
Ein beachtliches Maß an Selbstkontrolle wird damit etwa den sieben Chemie-Studenten der Verbindung abverlangt. Da die Bubenreuther in der Regel nicht vor dem Examen heiraten, müssen die Chemiker -- nach Wehrdienst, 17 Semestern mit Promotion -- etwa bis zum 30. Lebensjahr intakte Jung-Männer bleiben. Dazu der frühere Bonner Staatssekretär Wilhelm Claussen. 65, einer der 527 Bubenreuther Philister: "Das ist bitter. Daß es menschliche Konflikte gibt, kann ich nicht bestreiten."
Konflikte gab es nach dem Krieg denn auch bei vier Bubenreuther Studikern; sie mißachteten das Keuschheitsgelübde. Zur Selbstanzeige beim Ehrengericht verpflichtet, meldeten die Gestrauchelten ihre Verfehlung an und traten aus. Die Bundesbrüder hatten zwar aufrichtig bedauert, den Austritt aber nahegelegt. Denn: "Ein Kurzschluß wird nicht verziehen. So kann sich keiner sagen: Ich werde mit einem blauen Auge davonkommen" (Dr. Ludwig Grobe).
Weniger bedauert wurde der Austritt weiterer fünf Bundesbrüder in den letzten sechs Jahren. Sie hatten gesündigt, ihre Tat aber vor dem Ehrengericht nicht selbst bekannt. Ihre Abwendung von der Askese wurde erst entdeckt, als ihre Mädchen schwanger gingen.
Die strengen Bräuche der Bubenreuther schreckten denn auch manchen ab, sich der Verbindung anzuschließen. Zum erstenmal in der Geschichte der Bubenruthia gab es so im Sommer-Semester 1966 keinen "Fuchs" (eine Art Verbindungs-Volontär). Und -In diesem Semester sind von den elf "Winter-Füchsen" neun Philister-Söhne: Nur zwei kamen aus eigenem Antrieb.
Die Alten Herren bleiben fest. "Wenn einer's nicht mehr halten kann, soll er austreten", empfiehlt Vater Grobe. Es soll dabei bleiben, daß intime Beziehungen selbst für Verlobte nicht angängig seien. Denn -- so Sohn Grobe -- "sonst verlobt sich ja jeder".