DOPING Ein Professor zum Vorzeigen
Zu seinen weißen Hemden trägt Paul Nowacki stets Schlips und Sakko. Unterlagen, die er bearbeitet hat, heftet er in Klarsichtfolie ab. Hinter seinem Schreibtisch des Lehrstuhls für Sportmedizin der Gießener Universität stehen, exakt ausgerichtet, die 105 gebundenen Doktorarbeiten seiner Studenten. Bilder zeigen den Professor für Medizin mit Franz Beckenbauer und Berti Vogts. In einem Album hat er Fotos von Radfahrern, Handballspielerinnen und Ruderern eingeklebt, alles Bundesligaspieler, Weltmeister oder Olympiasieger, die der Sportmediziner in über 30 Jahren betreut hat.
Auch Skilangläufer zählen seit Jahrzehnten zu seinen Freunden - bis zu jenem denkwürdigen 31. März. Die Spitzen des Deutschen Skiverbands (DSV), sagt Nowacki, hätten ihn, den gewählten Anti-Doping-Beauftragen, an diesem Tag aufgefordert, sich nicht mehr zur Affäre Evi Sachenbacher-Stehle zu äußern. Ansonsten müsse man ihn aus dem "Amt entlassen". Nowackis Vergehen: Anders als die DSV-Leute hatte er Verständnis für die Sperre der Langläuferin während der Olympischen Spiele in Turin, als man bei ihr überhöhte Blutwerte festgestellt hatte.
Er sei den Funktionären des DSV im Weg gewesen, sagt der in der DDR aufgewachsene Hochschullehrer, und was da geschehen sei, hätte auch "der SED und der Stasi zur Ehre gereicht". Als Reaktion auf sein Sprechverbot sei er von seinem Posten zurückgetreten, offiziell aus Altersgründen. Sieben Monate lang schwieg er über die wahren Gründe. Der DSV behauptet weiterhin, Nowacki habe sein Amt freiwillig "zur Verfügung gestellt", ein Redeverbot sei ihm nicht erteilt worden.
Nowacki, 72, hat viel erlebt im deutschen Sport. Er hat mitbekommen, wie Ärzte 1976 dem Ruderer Peter-Michael Kolbe dubiose Spritzen in den Hintern jagten, um ihn zum Olympiasieg zu pushen. Er weiß, wie westdeutschen Schwimmern Luft in den Darm geblasen wurde, um der Ostkonkurrenz Paroli zu bieten. Und er hat erlebt, wie Sportmediziner Kollegen aus der DDR hofierten, um an deren Doping-Know-how zu kommen.
Trotzdem behielt Nowacki sich ein bisschen guten Glauben: Als er vor fünf Jahren zum Anti-Doping-Beauftragten des DSV gewählt wurde, wollte er "aufklären". Heute glaubt er, dass der DSV seine "Naivität ausgenutzt", ihn als "Alibi missbraucht" habe. Die Erkenntnis über seine wahre Funktion, sagt er, sei ihm erst spät gekommen - im Fall Sachenbacher.
Schon vor den Olympischen Spielen im Februar war Nowacki aufgefallen, dass Funktionäre und Trainer häufig über den angeblich zu niedrigen Grenzwert für Sperren maulten. Für die Fahnder sind solche Grenzwerte unerlässlich, besonders im Skilanglauf, der als dopingverseucht gilt. Weil es für viele Manipulationen keine direkten Nachweismethoden gibt, untersuchen Biochemiker das Blut von Athleten auf Indizien.
Beträgt der Anteil des eisenhaltigen roten Blutfarbstoffs, des sogenannten Hämoglobinwerts, 16 Gramm pro Deziliter Blut bei Frauen und 17 Gramm bei Männern, wird der Sportler für fünf Tage gesperrt. Offiziell ist das eine Schutzsperre, um Sportler vor Gesundheitsschäden durch zu dickflüssiges Blut zu bewahren. Inoffiziell gelten hohe Werte indes als Hinweis auf Doping.
Schon vor den Turiner Spielen begleitete Nowacki den DSV-Verbandsarzt Ernst Jakob nach Kopenhagen. Jakob sollte beim Schweden Bengt Saltin, dem damaligen Vorsitzenden der Medizinischen Kommission des Internationalen Skiverbands (FIS), eine Ausnahmegenehmigung für Sachenbacher erwirken, denn der DSV befürchtete, dass die Werte seiner Vorzeigeathletin in Turin zu hoch sein könnten.
Doch Saltin lehnte ab, weil die Deutsche nach seinen Messergebnissen, von einer Ausnahme abgesehen, stets unter dem 16er-Wert gelegen habe. Eine genetische Anomalie schloss er aus.
Trotzdem glaubte der DSV weiter, einen Sonderstatus erwirken zu können. Der DSV habe, sagt Nowacki, eine "unbedarfte junge Sportlerin ins Dilemma laufen lassen". Drei Tage vor dem ersten Rennen in Turin musste Sachenbacher zum Bluttest, und der ergab 16,4 Gramm. Das Aus.
Auch Nowacki weiß nicht, ob Sachenbacher gedopt hat: "Nur wer positiv getestet wird, gilt offiziell als gedopt." Aber der DSV hätte verhindern können, dass die "Athletin tagelang heulend durch Turin läuft" - wenn die Funktionäre auf ihn gehört hätten und wenn sie nicht ein so hohes Risiko eingegangen wären.
Im Verband aber wird weiterhin auf die Schutzsperren geschimpft. Besonders kritisiert Nowacki den Bundestrainer Jochen Behle, der als Trainer eigentlich wissen müsse, was im Langlauf los ist. Und weil Nowacki sein Unverständnis über Behle auch öffentlich geäußert hat, "haben sie mich fertiggemacht".
Inzwischen fordert Behle gar, auf die Schutzsperre ganz zu verzichten. Seine Begründung: Langläufer brauchten keinen Gesundheitsschutz, auch Abfahrer müssten allein "das Risiko übernehmen". Wer sich dermaßen gegen Regeln der FIS sowie der nationalen und internationalen Doping-Agentur stelle, "ist als Bundestrainer untragbar", sagt Nowacki und fordert Behles Rauswurf.
In dieser Woche wird der DSV seine neue "Anti-Doping-Initiative" vorstellen. Zuständig ist nun Nowackis Nachfolger Ludwig Geiger. Der neue Anti-Doping-Beauftragte des DSV hatte sich vor drei Jahren ganz auf die Behle-Linie geschlagen - als er die internationalen Hämoglobin-Grenzwerte in Frage stellte. UDO LUDWIG