MUSEEN Ehre für den Kompromisslosen
Für die traditionsbehaftete Kulturbürokratie der Musées de France bedeutet es eine verblüffende Wende: Zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik wird ein Zeichner zu Lebzeiten mit einem eigenen Museum gewürdigt. Die Stadt Straßburg eröffnet Anfang November das Zentrum für Illustration - Tomi Ungerer. In der Villa Greiner, unweit von Oper, Präfektur und Kathedrale, wird auf 700 Quadratmetern das Lebenswerk des vielfach geehrten Illustrators präsentiert. Es ist eine Verbeugung der Elsass-Metropole vor dem Sohn der Stadt, der - ob in den USA, Kanada, Irland oder Frankreich - Werbeplakate, Grafiken, Zeichentrickfilme ("Die drei Räuber") und Kinderbücher produzierte. Die Sammlung verschafft einen Überblick über die pulsierende Vielfalt des Poeten, der lyrische Landschaften tuscht; sie zeigt den Satiriker, der mit spitzem Blei seine sexbesessene Umwelt aufspießt, und führt vor, wie der Gesellschaftskritiker die Zeichenfeder als Skalpell benutzt. Ungerers kompromissloser Kampf gegen Konventionen, Vorurteile und Rassismus brachte ihm in den USA den Vorwurf ein, Kommunist zu sein; sein Name kam auf die schwarze Liste der Einwanderungsbehörde.
Außen ist das Museum ein klassizistischer Bau, innen ein weißer Kubus. Das Zentrum stellt auch, sozusagen als Querverweise, Blätter von Zeichnern wie Sempé, Chaval oder Saul Steinberg aus. Ungerer selbst, Autor, Lokalpatriot und Verfechter des Elsässischen, gibt sich gerührt von der Ehrung seiner Heimatstadt. Mehrmals dem "Tod von der Schippe gesprungen", lobt er das ihm gewidmete Projekt mit schnodderig-charmanter Bescheidenheit: "Jetzt hat das Phantom seine Oper."