BUNDESWEHR Programmierte Blamage
Wenn Heeresinspekteur Hans-Otto Budde, 59, über das künftige Computernetzwerk der deutschen Armee spricht, gerät er schnell ins Schwärmen. Das neue "Führungsinformationssystem Heer" bedeute einen "Quantensprung". Als "Leuchtturmprojekt" weise es den Weg in das Zeitalter der "vernetzten Operationsführung", in dem die Truppen dank Laptop im Tornister ihre Befehle elektronisch erhalten und ihre Lageberichte blitzschnell an die Heeresleitung übermitteln können.
Ein "wichtiger Meilenstein" bei der Einführung der neuen Technik, freut sich der General, werde in dieser Woche erreicht: Mit feierlichem Zeremoniell soll die Deutsch-Französische Brigade im badischen Müllheim am Donnerstag als erster Verband das neue System vom Hersteller, dem Rüstungsriesen EADS, übernehmen.
Die Brigade (Wahlspruch: "Dem Besten verpflichtet") gehört zum multinationalen Eurokorps in Straßburg. Von Juli an bildet sie das Rückgrat einer gut 1500 Soldaten starken "Battle Group" (Kampfgruppe) der EU, die für Interventionen in aller Welt gedacht ist. Sie wird dabei nicht nur mit der deutschen Luftwaffe zusammenwirken, sondern auch mit Militärs in Frankreich und Belgien.
Peinlich für den Vorzeige-Verband ist bloß: Die Gerätschaften sind für weltweite Einsätze bisher kaum tauglich. Mangels geeigneter Software kann die neue Hardware weder mit Dienststellen befreundeter Nationen Daten austauschen noch mit Nato oder EU. Nicht einmal zur deutschen Luftwaffe oder Marine können die Rechner eine Verbindung herstellen.
Eine Blamage ist mithin programmiert. Die Geräte eigneten sich nur für "nationale Einsätze ohne multinationale Einbindung", besagt ein vertraulicher Vermerk des IT-Amts der Bundeswehr. "Die Software müsste man eigentlich wegschmeißen", lästert ein kundiger Mitarbeiter der eigens für die Modernisierung der Informationstechnik geschaffenen Behörde. Aus Furcht, als Nestbeschmutzer zu gelten, möchte er nicht genannt werden.
Gut 500 Millionen Euro will das Heer ausgeben, um Befehlszentralen in der Heimat mit Kommandoständen, Gefechtsfahrzeugen und Soldaten auch in fernen Ländern wie Afghanistan zu verbinden. Doch nicht einmal für Internet-Telefonie - Standardprogramm mittlerweile selbst bei Billig-PC vom Lebensmitteldiscounter - ist die teure Anschaffung gerüstet.
"Bei aller Euphorie - uns fehlt bislang die Möglichkeit zur gleichzeitigen Sprach- und Datenübertragung", räumt General Budde ein. Und das, obwohl er als Auftraggeber genau diese Fähigkeit als "wesentliche Voraussetzung" für die vernetzte Operationsführung betrachtet.
Strenggenommen dürfte es das neue Heeres-System nicht einmal geben. Denn schon im Jahr 2000 hatte der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) das "Unding" verurteilt, dass Heer, Luftwaffe und Marine jeweils eigene Systeme nutzen, die nicht miteinander kommunizieren können. Er ordnete an, die separaten Netze umgehend zu "harmonisieren" und ein einheitliches "Führungsinformationssystem Streitkräfte" zu schaffen.
Inzwischen hat die Bundeswehr dafür gut 100 Millionen Euro ausgegeben. Zu besichtigen ist allerdings nur ein Fiasko.
Zwar sind der Führungsstab im Ministerium, das Einsatzführungskommando bei Potsdam und einige Kommandozentralen mittlerweile vernetzt. Die Computer "kommen aber über normale Bürokommunikation kaum hinaus", schimpft ein Spitzenmilitär. Sie können nicht viel mehr als interne E-Mails versenden.
Dementsprechend harsche Kritik kommt vom Bundesrechnungshof. Das Ziel, "dass die IT-gestützten Führungsinformationssysteme von Heer, Luftwaffe und Marine zusammenarbeiten können", sei "auch nach sechs Jahren Entwicklungsarbeit nicht erreicht", monieren die Prüfer. Die Teilstreitkräfte - siehe Heer - haben stattdessen ihre eigenen digitalen Projekte weiter vorangetrieben. Und so besitze die Bundeswehr nun mit dem Führungsinformationssystem Streitkräfte "ein weiteres System", das "nicht mit den vorhandenen Systemen zusammenarbeiten kann".
Der Rüffel bleibt wohl folgenlos: In der Hoffnung, die schwache Software aufbessern zu können, will das Wehrressort noch einmal 20 Millionen Euro investieren - Erfolg ungewiss.
Wie schwer es der Bundeswehr fällt, Anschluss ans Computerzeitalter zu finden, belegen auch die Berichte von Kommandeuren aus Afghanistan.
Die "Führungsausstattung, taktisch" ("Faust"), im Prinzip ein in Gefechtsfahrzeuge eingebauter Laptop, ist mit das Modernste, was das Heer zu bieten hat - wird aber von allerlei Macken geplagt: Bei Rüttelfahrten im Gelände, Tagesgeschäft der Truppe, gibt der Rechner regelmäßig den Geist auf. Bei sommerlicher Hitze wird laut einem internen Report oftmals "der Bildschirm schwarz".
Zudem benötigen die Geräte viel Zeit, um größere Datenmengen zu verarbeiten. Dann kann es dauern, bis "Faust" die Positionsmeldung einer Patrouille zum Gefechtsstand in Kunduz, Faizabad oder Masari-Scharif übermittelt.
Der Rekord liegt bei 14 Stunden: Als die Standortmeldung eintraf, hatte die Streife ihr Feldlager längst wieder erreicht. Die Soldaten schlummerten schon Stunden in ihren Betten. ALEXANDER SZANDAR