GEHEIMDIENSTE Israelischer Affront
Man soll nicht schlecht über die Toten reden, heißt es in den Überlieferungen des Propheten Mohammed, aber Mahmud al-Sahar, 64, Anführer der islamistischen Hamas im Gaza-Streifen, muss jetzt eine kleine Ausnahme machen. Er sitzt im Erdgeschoss seines Wohnhauses im Tel-al-Hawa-Viertel von Gaza-Stadt und redet über seinen Kameraden, den am 19. Januar in einem Hotel in Dubai von einem Killer-Kommando liquidierten Mahmud al-Mabhuh. Wie konnte Mabhuh nur so unvorsichtig sein und seine Flüge im Internet buchen, fragt sich der Mitbegründer der Hamas: "Das war mehr als dumm."
Als die Hamas-Führer kurz nach Mabhuhs Tod vor einem Monat mit dem Fin-ger auf Israel zeigten, hiel-ten viele das für eine der üblichen nahöstlichen Verschwörungstheorien. Jetzt aber, nach den Enthüllungen der Dubaier Polizei und eigenen Ermittlungen, he-gen die Regierungen des Westens keinen Zweifel mehr, dass es sich um eine Kommandoaktion des Mossad handelte.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) trug vergangene Woche Abgeordneten des Bundestags vor, dass offenbar der Mossad hinter der Dubaier Operation stecke.
Auch in Israel ist die Urheberschaft, trotz der Militärzensur, mittlerweile ein offenes Geheimnis. Auf den 26 veröffentlichten Fahndungsfotos hat so mancher Israeli den einen oder anderen Bekannten identifiziert. Eine "Mizva" (religiöse Pflicht) sei die Tötung Mabhuhs gewesen, lobte der Likud-Abgeordnete Karmel Schama
in der Knesset, Mossad-Chef Meir Dagan habe "gute Arbeit" geleistet.
Geradezu unverfroren trat dagegen Außenminister Avigdor Lieberman vergangene Woche seinen EU-Amtskollegen gegenüber. Alles Propaganda, behauptete er: "Die Araber haben die Tendenz, Israel für alles im Nahen Osten die Schuld zuzuschieben." Wie Hohn wirken angesichts der Ermittlungserfolge auch die Beteuerungen israelischer Diplomaten, sie könnten zur Aufklärung der von dem Killer-Kommando benutzten ausländischen Pässe nichts beitragen. Australien würde es als "unfreundlichen Akt" betrachten, wenn der Mossad australische Reisedokumente gefälscht hätte, erklärte vorsorglich Außenminister Stephen Smith.
Je mehr Details über den Ablauf des Mordes durchsickern, desto deutlicher wird, dass der Anschlag offenbar von langer Hand geplant war - und Deutschland für die Logistik eine wichtige Rolle spielte. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt nicht mehr nur wegen "mittelbarer Falschbeurkundung", sondern auch wegen des Verdachts auf Mord. Außerdem hat die Bundesanwaltschaft ein zweites Verfahren wegen des Verdachts der "geheimdienstlichen Agententätigkeit" eingeleitet. Die Bundesanwälte koordinieren von Karlsruhe aus die Ermittlungen.
Es geht vor allem um jenen Mann namens Michael Bodenheimer, angeblich 1967 in Israel geboren, der im vergangenen Jahr einen deutschen Pass beim Bundesverwaltungsamt beantragte - und der einer der Agenten von Dubai gewesen sein soll. Bodenheimer ließ den Antrag auf Einbürgerung von einer deutschen Anwaltskanzlei stellen, die neben Bodenheimers israelischem Pass eine Heiratsurkunde der Eltern vorlegte. Weil die Familie angeblich zu den Verfolgten des Nazi-Regimes gehörte, stellten die Behörden Bodenheimer am 18. Juni 2009 einen deutschen Reisepass aus.
Der Mossad nutzte das Dokument wohl bereits Monate vor der Dubaier Operation. Die deutschen Ermittlungen ergaben, dass Bodenheimer bereits am 8. November 2009 von Frankfurt nach Dubai flog und von dort weiter nach Hongkong - exakt jene Route, die er auch im Januar wählte. Die Ermittler vermuten, dass es sich bei der Novemberreise entweder um einen Probelauf handelte - oder um einen fehlgeschlagenen Versuch, den Hamas-Mann zu liquidieren. Dazu passt, dass Mabhuh schon einmal einen Giftanschlag in Dubai nur mit Glück überlebte.
Tatsächlich kam Bodenheimer im November nicht allein. Nach neuesten Erkenntnissen der Polizei in Dubai reisten damals neun weitere der mutmaßlichen Agentenkollegen ebenfalls nach Dubai, und sie benutzten auffallend ähnliche Reiserouten wie im Januar, als sie schließlich zuschlugen.
Eine der Drehscheiben war auch im November der Großflughafen in Frankfurt am Main: Zwei der mutmaßlichen Agenten nahmen am 6. November die Emirates-Maschine EK 46, und sie landeten kurz vor Mitternacht in Dubai.
Die deutschen Ermittler werten derzeit Passagierlisten der Airlines, Einreiseprotokolle und Videoaufnahmen des Frankfurter Flughafens aus, um herauszufinden, welche Identität die Agenten bei der Weiterreise benutzten. Bodenheimer verließ den Tatort gemeinsam mit fünf anderen Mitgliedern des Kommandos mit dem Emirates-Flug EK 384 nach Hongkong und kehrte von dort mit einem Agenten nach Frankfurt zurück.
Wahrscheinlich kalkulierte der Mossad das Risiko ein, dass die Dubaier Polizei den Passbetrug aufdecken könnte. Vorsorglich bearbeiteten die Agenten ihre Fotos leicht: So würden sie ungehindert durch die Kontrollen gelangen, später aber schwerer zu identifizieren sein. Das Team fühlte sich offenbar so sicher, dass zwei der israelischen Agenten sogar von Dubai nach Iran ausreisten.
Die Mossad-Operation ist für die Deutschen ein besonderer Affront. Seit dem vergangenen Sommer vermittelte der heutige Stabschef des BND auf Bitten der israelischen Regierung zwischen Jerusalem und der Hamas. Er warb bei den Israelis für die Freilassung von rund tausend palästinensischen Gefangenen, im Gegenzug sollte die Hamas den 2006 entführten Soldaten Gilad Schalit übergeben.
Nur ein paar Tage vor dem 19. Januar war der BND-Mann in Israel, um das weitere Vorgehen abzusprechen. Da muss das Mordkommando schon auf dem Weg gewesen sein.
Auch nach dem Mord in Dubai war der BND-Vermittler erneut in der Region, doch weder vorher noch nachher weihten ihn seine israelischen Kollegen vom Partnerdienst in ihr heikles Komplott ein.
Es ist bereits die zweite Brüskierung der Deutschen: Ende Dezember hatte Premierminister Benjamin Netanjahu eine fertig ausgearbeitete Vereinbarung, die sein Unterhändler Hagai Hadas über den Bundesnachrichtendienst mit der Hamas geschlossen hatte, im letzten Moment abgelehnt. BND-Chef Ernst Uhrlau hat intern eingeräumt, dass er aktuell keine Chance mehr auf eine Einigung im Fall Schalit sehe.
Das bestätigt auch Hamas-Führer Mahmud al-Sahar. Mit den Ungläubigen könne man eben keine Verträge schließen, schimpft er und zitiert aus der zweiten Sure des Korans: "Ist es denn nicht so, dass jedes Mal, wenn sie ein Bündnis eingegangen sind, ein Teil von ihnen es verwirft?"
Es sei schwer gewesen, den Politbüro-Chef der Hamas in Damaskus, Chalid Maschaal, von dem Deal zu überzeugen. Die anschließende Absage Netanjahus habe ihm innerhalb der Hamas sehr geschadet, sagt Sahar und kündigt an: "Ich stehe als Unterhändler nicht mehr zur Verfügung."