RATGEBER Verwelkender Ahorn
Das Gebäude in der Kasseler Straße 1a im Frankfurter Stadtteil Bockenheim ist mit Bedacht gewählt: Vorm Haus schimmern bepflanzte Tümpel. Durch die Eingangshalle mäandert ein Bach. Und statt eines Empfangs gibt ein vergilbter Ausdruck Erklärungen darüber, wer in diesem Öko-Haus arbeitet: die Deutsche Friedensgesellschaft, ein feministisches Frauengesundheitszentrum - und "Öko-Test", der Verlag, der seit nunmehr 25 Jahren die Qualität von Produkten benotet.
Es ist eine adäquate Adresse für die Zeitschrift, deren Logo mit dem roten Ahorn inzwischen auf Tausenden Produkten pappt. 81 Prozent aller Deutschen kennen es laut einer Studie. Bei der Frage, welchem Bio-Siegel sie am meisten vertrauen, liegt es auf Platz eins. Ein schöner Erfolg für Jürgen Stellpflug, den langjährigen Chefredakteur und Geschäftsführer des Verlags. Doch der Widerstand gegen "Öko-Test" wächst.
Immer häufiger schmücken Firmen ihre Ware mit der Auszeichnung, die den Untertitel "Richtig gut leben" trägt. Selbst auf Produkten wie dem als Fettmacher verschrienen Brotaufstrich Nutella oder dem überzuckerten Joghurt-Drink Actimel leuchtet das "Gut" von "Öko-Test".
Und das, obwohl das Label letztlich nichts über den ökologischen Wert eines Produkts verrät. Was der Verbraucher für einen umfassenden Produkttest hält, ist in Wahrheit fragwürdig. ",Öko-Test' legt zu wenig Wert auf Nutzen und Funktionalität eines Produkts - das Hauptaugenmerk liegt auf dem Schadstoffgehalt", sagt Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg. Das wäre so, als würde man Wasser in Shampoo-Flaschen füllen, die dann mit "Sehr gut" bewertet würden, weil Wasser ja schadstofffrei ist. "Das wäre Verbrauchertäuschung, denn der Kunde sieht das Label und denkt, er kauft ein gutes Produkt", schimpft Schwartau.
Egal ob es um Mückenschutzmittel, Zahnpasta oder Anti-Schuppen-Shampoos geht: "Öko-Test" konzentriert sich nach eigener Aussage meist auf Inhalts- und Schadstoffe. Vor allem ärgert die Öko-Verbände, dass "Öko-Test" als Bio-Siegel wahrgenommen wird. "Dabei blenden die Tests die Frage der Herstellung völlig aus, die Produktionsbedingungen, Fragen der Tierhaltung oder des Naturschutzes werden schlicht ignoriert", sagt Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bundes Ökologischer Lebensmittelwirtschaft.
"Dass wir als Bio-Siegel wahrgenommen werden, ist nicht unsere Schuld", verteidigt sich Chefredakteur Stellpflug. Man wolle sich bewusst nicht nur auf Bio-Produkte konzentrieren, weil das nicht der Realität der Konsumenten entspreche. Produkte auch auf ihre Nachhaltigkeit zu testen, halte man für nicht möglich, weil man sich dabei vor allem auf die Angaben der Hersteller verlassen müsse.
Intern klingt das allerdings anders: "Bio-Marken und -Siegel gibt es viele. Doch am meisten vertrauen die Deutschen ,Öko-Test'", brüstete sich Stellpflug vor seinen Gesellschaftern.
Denen muss er Rede und Antwort stehen, seit der Verlag im Jahr 2000 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden ist. Was 1985 als linkes Projekt für mehr Gegenöffentlichkeit entstand, gehört inzwischen mit 64,1 Prozent zur Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft, der Medienholding der SPD. Stellpflug hält zehn Prozent (siehe Grafik).
Die Konstruktion ist schwierig, immer wieder sieht sich Stellpflug dem Verdacht ausgesetzt, als Miteigentümer zu sehr die kommerziellen Interessen des Verlags im Auge zu haben. Der "Öko-Test"-Chef nennt solche Vorwürfe "Unsinn". Gebracht hat ihm sein Anteil bislang nichts - denn trotz eines Plus von zuletzt 330 000 Euro gab es seit Bestehen der Aktiengesellschaft keine Gewinnausschüttungen.
Immerhin hat der Verlag allein mit seinen Testheften eine verkaufte Auflage von knapp 160 000 und macht zusammen mit Ratgebern, Spezialausgaben und Jahrbüchern von "Öko-Test" einen Gesamtumsatz von zehn Millionen Euro. Das reicht nicht für große Sprünge - aber genügt es wenigstens für sorgfältige Tests?
2008 prüfte das Magazin Energiesparlampen, untersuchte aber nur 16 Modelle. Trotzdem kam man zu dem Ergebnis, Energiesparlampen seien "kein wirklicher Fortschritt und keine echte Alternative zu Glühlampen". Ein Urteil, das bei Experten für Kopfschütteln sorgte - zumal die Lampen im Testbetrieb nur 3000 Stunden brannten. Laut der Deutschen Energie-Agentur haben sie eine Lebensdauer von mehr als 10 000. "Öko-Test" blieb bei seiner Einschätzung.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung stellte nach einem alarmierenden Test von Kinderplanschbecken fest, dass sich auch "unter der Annahme von Worst-case-Bedingungen für die von 'Öko-Test' untersuchten Planschbecken eine gesundheitliche Gefährdung für Kinder nicht belegen" lasse. Die Behörde hatte versucht, die Ergebnisse der Frankfurter nachzuvollziehen - scheiterte aber an fehlenden "Angaben zu den experimentellen Details der Methodik". Bei "Öko-Test" heißt es dazu nur, man habe eben kein besonders gutes Verhältnis zu der Behörde.
Und auch bei Versicherungen, deren Produkte "Öko-Test" seit einigen Jahren als lohnenswerte Testobjekte entdeckt hat, beobachtet man das Vorgehen von "Öko-Test" mit Skepsis. "Die Methodik der Tests hat oft wenig mit der Realität zu tun und führt zu völlig verzerrten Ergebnissen", sagt ein Vertreter einer großen deutschen Assekuranz. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft warf "Öko-Test" nach einem Versicherungsvergleich gar vor, die Renditen falsch berechnet zu haben. Der Verlag hält seine Ergebnisse nach wie vor für richtig.
In der Branche heißt es, die teilweise absurden Ergebnisse kämen zustande, weil "Öko-Test" seine Testmethodik nicht mit Experten in kompetent besetzten Fachbeiräten diskutiere. Zuständig für das Testdesign ist Karin Schumacher, stellvertretende Chefredakteurin - und Lebensgefährtin von Stellpflug. "Wir überlegen, welche Themen aktuell anstehen, welche Produkte neu oder interessant sind", erklärt sie das Auswahlverfahren.
Im Vorfeld werde mit Wissenschaftlern über problematische Inhaltsstoffe und andere relevante Punkte für die Untersuchung gesprochen. Die Produkte würden dann an externe Labors vergeben, die Ergebnisse hinterher von den Redakteuren ausgewertet. Insider behaupten, "Öko-Test" arbeite vor allem mit Experten zusammen, die der gleichen Meinung seien wie die Verlagsspitze. Die Recherche sei von Anfang an ideologisch geprägt. Dabei würden etwa bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse einfach ausgeblendet.
"Der Vorwurf kommt zumeist von Herstellern, die damit ihr eigenes Handeln rechtfertigen wollen", sagt Stellpflug. "Öko-Test" werde aber immer wieder durch den Gesetzgeber bestätigt.
"Die Untersuchungen von ,Öko-Test' waren eine Zeitlang gesellschaftspolitisch notwendig. Inzwischen hinkt ,Öko-Test' den aktuellen Entwicklungen aber zehn Jahre hinterher", kritisiert dagegen Verbraucherschützerin Schwartau.
Anders laufen die Verfahren bei der ungeliebten Konkurrenz der "Stiftung Warentest". Dort kommt vor jeder Untersuchung ein Fachgremium zusammen, das zu einem Drittel aus Vertretern der Anbieter, neutralen Sachverständigen und Verbraucherschützern besteht und die Methodik für den Test bewertet.
Das ist teuer - und im Gegensatz zu der staatlich unterstützten Stiftung ist "Öko-Test" ein Wirtschaftsunternehmen, das sich neben seinen Heftverkäufen über Werbung finanziert. Rund vier Millionen Euro betrug der Reklameumsatz im vergangenen Jahr. Vor dieser Abhängigkeit warnen Kritiker, denn im Heft werben gern Firmen, die die Bewertung "Sehr gut" oder "Gut" bekommen haben. "Sich teilweise über Anzeigen zu finanzieren ist in der deutschen Presse nichts Außergewöhnliches", wehrt sich Stellpflug.
Wie eng das Zusammenwirken zwischen Redaktion und Verlag ist, zeigt sich an einem Fall aus dem vergangenen Sommer: Bereits am Tag der Veröffentlichung eines Biertests schrieb der Verlag die untersuchten Unternehmen an, gratulierte zur guten Bewertung - und bot das Logo für Werbezwecke zum Kauf an.
"Uns irritierte, dass ein großer Mitbewerber am gleichen Tag bereits mit dem Label warb - während wir vergeblich vorab um die Ergebnisse gebeten hatten", sagt der Vertreter einer norddeutschen Brauerei. Einen Spot zu produzieren dauere in der Regel mehrere Tage - man schließe daraus, dass "Öko-Test" nicht alle Unternehmen gleich behandle. "Wir geben grundsätzlich keine Produktbewertungen vorab bekannt - schon gar nicht an die Unternehmen", sagt Stellpflug.
So gern sein Magazin austeilt, so dünnhäutig reagiert man bei Kritik: Stellpflug hält unliebsamen Kollegen "Dünnpfiff" und Käuflichkeit vor und überzieht Redaktionen und Kritiker, aber auch Verbände und Organisationen wie Greenpeace mit Schmähbriefen und Unterlassungsklagen. Dass er dabei nicht nur sich, sondern auch seinem Anliegen schadet, stört ihn wenig - sorgt in der Branche aber für wachsenden Ärger. "Stellpflug ist ein störrischer König seines Labels", sagt Verbraucherschützerin Schwartau, "und nutzt damit nicht immer dem Verbraucherschutz."