KOMMENTAR Kanzlerkandidat Steinbrück
Sigmar Gabriel will nicht Kanzlerkandidat der SPD werden. Anders lassen sich die Signale nicht verstehen, die der Parteivorsitzende aussendet. Einmal lässt er fallen, dass es auch andere in der Partei gebe, die für dieses Amt in Frage kämen. Er nennt bisweilen auch Namen. Das nächste Mal weist er im SPIEGEL-Gespräch darauf hin, dass er als Vorsitzender vom automatischen Vorrecht des ersten Zugriffs nichts hält. "Ich bin nicht Kanzlerkandidat", hat er gesagt. Und nun lässt Gabriel zum wiederholten Mal wissen, dass er sich eine überparteiliche Vorwahl vorstellen könne, um den aussichtsreichsten Kandidaten zu ermitteln.
Viele halten diese Hinweise für Koketterie. Diese Interpretation ist mit einiger Sicherheit falsch. Auch wenn es beim schillernden Gabriel besonders schwerfällt, ihm so etwas abzunehmen: Er meint in diesem Fall, was er sagt.
Gabriel will seine Partei und die Wähler darauf vorbereiten, dass er nicht nach diesem Amt greifen wird. Ein Vorsitzender, der unbedingt Kanzler werden will, muss nicht Vorwahlen ins Spiel bringen. Er muss auch keine falschen Fährten legen. Und er sollte, wenn er es werden will, nicht schon elf Monate nach der letzten Bundestagswahl von sich aus über die nächste reden.
In keinem der Fälle ist Gabriel bohrenden Fragen ausgesetzt gewesen. Er hat die Rede darauf gebracht, er hat das Thema gesetzt. Die Sache hat also System.
Dahinter könnte die Erkenntnis stehen, dass er selber kaum Chancen hätte. Gabriel würde es immer schwer haben, Kanzler zu werden, jenseits der Konkurrentin von der CDU. Er hat es noch immer nicht vermocht, den Ruch des Unseriösen loszuwerden. Und es könnte sein, dass Gabriel vor Augen steht, welch ungeheure physische Anstrengung mit dieser Herausforderung verbunden ist.
"Dampfwalze" hat ihn der Saarländer SPD-Chef Heiko Maas einmal in Abgrenzung zum "Fahrrad" Matthias Platzeck genannt. Aber womöglich trügt der Eindruck. Vielleicht geht es ihm öfter wie Platzeck, dem Sensiblen, auch wenn er anders aussieht.
Die eben noch sieche SPD hat, nach heutigem Stand der Demoskopie, unverhofft Aussicht auf einen Wahlsieg. Das beschert ihr ein Luxusproblem: Sie muss einen Kandidaten aufstellen, der es kann und will, keinen Zählkandidaten. Den Wählern muss einleuchten, dass er zum Kanzler taugt. Die SPD hat in ihren Reihen einen, der Kanzler kann. Und dessen Namen hat Gabriel auch schon einmal ins Spiel gebracht. Der Mann heißt Peer Steinbrück.
Der Finanzminister der Großen Koalition bringt - bei manchen Macken - wichtige Voraussetzungen mit. Er ist stabil. Er ist ein Baum unter Büschen. Sein Name steht für eine Regierung, in der die Kanzlerin eine bessere Figur gemacht hat. Mit ihm ließe sich eine für Merkel höchst gefährliche Kampagne konzipieren. Wann war es gut? Als Merkel an ihrer Seite Steinbrück hatte. Wann wurde es schlecht? Als Merkel Westerwelle und Seehofer an ihre Seite bekam. Wer ist also der bessere Kanzler, weil er vorher schon so etwas wie Nebenkanzler war? Steinbrück.
Mit dem Kandidaten Steinbrück gibt es zwei Probleme, ein vermeintliches und ein wahres.
Das vermeintliche: Peer Steinbrück wird 2013, im Jahr der nächsten Bundestags-wahl, 66 Jahre alt sein. Nach Jahrzehnten des Jugendwahns hört sich das alt an, was aber Unsinn ist. Wenn die Deutschen immer gesünder älter werden und wenn sie demnächst vielleicht bis ins 70. Lebensjahr arbeiten sollen, dann ist ein Mann mit 66 nicht zu alt, um Bundeskanzler zu werden.
Das wahre Problem heißt SPD. Für weite Teile der SPD ist Steinbrück eine Hassfigur: zu arrogant, zu wirtschaftsfreundlich, zu nahe bei Helmut Schmidt. Deshalb liegt es an Sigmar Gabriel, seine Partei davon zu überzeugen, dass Steinbrück die beste und aussichtsreichste Wahl ist. Er müsste die Rolle des Kanzlermachers annehmen, aus Überzeugung und nicht notgedrungen wie seinerzeit Lafontaine im Fall Schröder.
Das erfordert viel Kraft. Aber nur so ginge es, wenn Gabriel es ernst meint mit dem Versuch, die SPD zurück an die Macht zu führen.