Schwarzer Donnerstag
Stuttgarts Polizeipräsident wusste, dass der Ruf der Landespolizei auf dem Spiel stand. Seit Wochen diskutierte die Republik über die Proteste zum Bahn-Projekt Stuttgart 21. Und nun, am 30. September, stand der größte Einsatz unmittelbar bevor.
Siegfried Stumpf, 60, hatte daher tags zuvor neben der "Einsatzbesprechung" im Polizeipräsidium einen weiteren wichtigen Termin: Er präsentierte seine Strategie direkt in der Villa Reitzenstein, dem Stuttgarter Regierungssitz. Mit am Tisch, Punkt 16 Uhr: Landespolizeichef Wolf Hammann, Verkehrsministerin Tanja Gönner sowie der Ministerpräsident höchstpersönlich, Stefan Mappus (CDU). Eine gute Stunde tagte die Runde.
Was genau bei diesem Gespräch vereinbart wurde, soll nun ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss erhellen. Er muss klären, ob die Landesregierung und Mappus Einfluss auf den Polizeieinsatz nahmen. Ob das Handeln der Polizei wirklich "verhältnismäßig" war, wie bislang beteuert.
Klar ist: Nach Wochen friedlicher Demonstrationen gegen Stuttgart 21 eskalierte am 30. September der Konflikt plötzlich. "Schwarzer Donnerstag" wird der Tag nun im Südwesten genannt. Sechs Beamte und rund 130 Protestler wurden verletzt. Selbst Polizisten, die im Schlossgarten dabei waren, fühlen sich von der Politik missbraucht. "Der Einsatz ist völlig aus dem Ruder gelaufen", sagt etwa Thomas Mohr von der Gewerkschaft der Polizei. Er habe an diesem Tag einen "absoluten Strategiewechsel" erlebt, und der Beamte glaubt: "Die Politik wollte das so."
Schon Anfang November soll der Ausschuss seine Arbeit aufnehmen. Mitten im Wahlkampf drohen Ministerpräsident Mappus dann unangenehme Fragen. "Es gibt eine Reihe von Hinweisen, dass von Seiten der Politik Druck auf die Polizeiführung ausgeübt wurde", behauptet Hans-Ulrich Sckerl von den Landtags-Grünen.
Mappus wollte in die Offensive, rief den Protestlern zu, er werde den "Fehdehandschuh" aufnehmen - jetzt ist er in Bedrängnis. Bereits am 20. September absolvierte er eine Art "Truppenbesuch" im Polizeipräsidium auf dem Pragsattel. Er versprach den Beamten, sich in der Zukunft auch um "Körperschutzausstattungen und Helme" zu kümmern.
Solche Visiten bei den Ordnungshütern sind eigentlich Privileg des zuständigen Innenministers. Doch Heribert Rech fehlte bei dem Fototermin. Zufall? Oder Indiz einer Absetzbewegung in Zeiten, in denen die Polizei eine Politik flankieren soll, die von vielen Bürgern abgelehnt wird?
Auch bei der "Einsatzbesprechung" in der Villa Reitzenstein am Tag vor dem unglücklichen Großeinsatz fehlte Rech. Das Treffen war bereits Thema in einer Sondersitzung des Innenausschusses. Entlastendes konnte die oberste Polizeibehörde nicht vorbringen. Im Protokoll ist hierzu nur vermerkt: "Minister Heribert Rech erklärt, er sei nicht dabei gewesen."
Die Landesregierung bezeichnet die Besprechung als reines "Informationsgespräch". Den Vorwurf der Einmischung nennt Mappus "absurd". Aus Polizeikreisen heißt es jedoch, es habe mindestens ein weiteres Strategiegespräch zwischen Polizei- und Regierungsspitze gegeben.
Polizeichef Stumpf nimmt derweil sämtliche Last auf sich: "Ich trage die alleinige Verantwortung für den Einsatz." Dabei hatte er noch im Juni erklärt, was er persönlich von dem Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray hält: "Gar nichts!"