GELDANLAGE Rabatt statt Rat
Der Test war aufgebaut wie im Lehrbuch. Eine Studentin gab vor, Rat in Sachen Altersvorsorge zu suchen. Ihr Monatseinkommen: 850 Euro, gerade genug zum Leben. Jeder Versicherungsvertreter sollte da abwinken. Doch der jungen Frau, die für eine Verbraucherzentrale mit etlichen Vermittlern sprach, wurde ein Vertrag nach dem anderen vorgelegt, denn die Provisionen für die Verkäufer sind bei Lebens- und Rentenversicherungen besonders hoch.
Vier Prozent der Vertragssumme gelten als durchaus üblich. Wenn ein Kunde im Laufe der Jahre 50 000 Euro an Beiträgen einzahlt, macht das 2000 Euro. Entsprechend tendenziös fällt oft die Beratung aus.
Uwe Lange, Unternehmer aus dem schwäbischen Weinstadt, will alles anders machen. Der Inhaber des Fondsverkäufers AVL will Lebens- und Rentenversicherungen online verkaufen. Ohne Beratung - der Kunde soll sich selbst schlaumachen. Lange will auf die üppigen Vermittlerprovisionen verzichten und nur an den überschaubaren Verwaltungsgebühren seiner fondsgebundenen Produkte verdienen. Getreu dem Discounterprinzip: Die Masse macht's.
Dafür muss Lange aber erst einmal vor Gericht. Der Grund: Ein Gesetz aus dem Jahr 1934 verbietet "Sondervergütungen" für den Kunden - also auch die Rückerstattung von Provisionen. Sollte Lange die antiquierte Vorschrift tatsächlich kippen, würde das gesamte Geschäftsmodell der Versicherungsindustrie erschüttert. Denn die Provisionen, die die Assekuranzen festlegen, sind nicht nur für die Verkäuferzunft wichtig. Sie sind ein Grund dafür, dass überhaupt "so viel Unsinn auf dem Markt ist", glaubt Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg.
Ein Heer von 260 000 selbständigen Versicherungsvertretern und -maklern sorgt für den Verkauf. 90 Millionen Lebensversicherungen haben die Deutschen: Statistisch hat damit jeder mehr als eine.
Für die Vertreter bedeutet das Milliardenprovisionen. Für den Versicherten heißt das, dass er mit seinen Beiträgen erst einmal den Verkäufer bezahlt - oft über viele Monate hinweg.
Wie lange genau, verrät ihm niemand. Der Gesetzgeber zeigt sich großzügig beim Thema Transparenz: Einzig die Abschlusskosten einer Police, die gleich zu Beginn der Vertragslaufzeit fällig werden, müssen seit 2008 in Euro und Cent angegeben werden. Sie decken Kosten für Werbung und Antragsbearbeitung ab. Ein Großteil allerdings fließt als Vergütung an den Versicherungsvertreter.
Wenn der auf diese Gebühren Rabatte gewährt, droht Ärger. Uwe Lange bekam gar Post von der Finanzaufsicht BaFin, als er seinen ersten 50 Versicherungskunden die Abschlusskosten erließ: Es sei ihm sicherlich "noch nicht aufgefallen", aber das Sonderangebot verstoße gegen die "Bekanntmachung des Reichsaufsichtsamtes für das Privatversicherungswesen vom 8. März 1934". Dagegen will Lange nun vor Gericht ziehen. "Notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof", sagt er.
Beiden Seiten geht es ums Grundsätzliche. Deshalb macht auch die Versicherungsbranche mobil: Eine Änderung der geltenden Regeln werde einer "Geiz-ist-geil-Mentalität" Vorschub leisten, heißt es beim Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute. Der Verband der Versicherer GDV warnt vor "übereilten Vertragsschlüssen" ohne Beratung.
Juristen räumen Branchenrebell Lange indes gute Chancen ein. Das deutsche Rabattverbot verstoße gegen die Gewerbefreiheit und gegen Europarecht, heißt es. "Rein rechtlich sollte es abgeschafft werden", sagt sogar der Berliner Anwalt Norman Wirth - der gleichzeitig geschäftsführender Vorstand eines kleineren Vertreterverbandes ist.
Und der Gesetzgeber? Der gibt sich angesichts der heftigen Reaktionen abwartend. Das Bundesfinanzministerium will vorerst nichts an dem Uraltparagrafen ändern. Zunächst werde der Ausgang des Rechtsstreits abgewartet, den Lange angezettelt hat.