ETHIK „Das Gewissen der Ärzte wird gleichgeschaltet“
SPIEGEL: Die Bundesärztekammer (BÄK) will auf dem Deutschen Ärztetag Anfang Juni in Kiel eine geänderte Musterberufsordnung vorlegen. Medizinern soll erstmals untersagt werden, sterbenden und unheilbar kranken Patienten Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Was ist von dieser Klarstellung zu halten?
De Ridder: Die deutsche Ärzteschaft ist tief gespalten, was den assistierten Suizid angeht. Aber immerhin wünscht sich ein Drittel der Ärzte, das geltende Berufsrecht in dieser Frage eher großzügiger zu gestalten. Und trotzdem ist jetzt sogar eine drastische Verschärfung vorgesehen. Eine anmaßende Haltung: Sie setzt die Gewissensfreiheit des einzelnen Arztes außer Kraft, und sie schaltet das Gewissen der deutschen Ärzteschaft gleich.
SPIEGEL: Bisher deutete einiges auf eine liberalere Musterberufsordnung hin. Wie ist die überraschende Kehrtwende zu erklären?
De Ridder: Offenbar musste der Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe auf Druck der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Landesärztekammer Hessen nachgeben - vermutlich aber auch auf Druck der katholischen und der evangelischen Kirche.
SPIEGEL: Kann denn die BÄK überhaupt über das Gewissen aller in Deutschland tätigen Ärzte bestimmen?
De Ridder: Wenn die Beihilfe zum Suizid tatsächlich ausdrücklich verboten werden sollte, dann müsste die BÄK bei Zuwiderhandlung auch strafen: Zwangsgelder verhängen oder sogar die ärztliche Approbation entziehen. Das Bundesverfassungsgericht wird prüfen müssen, ob die BÄK so etwas tatsächlich tun dürfte.
SPIEGEL: Was bedeutet die geplante Neuregelung für die Patienten?
De Ridder: Terminal kranke Menschen, bei denen die Palliativmedizin nicht ausreicht, um ihre Leiden zu lindern, werden weiterhin in die Schweiz oder andere Länder fahren müssen, um sich dort helfen zu lassen.
SPIEGEL: Wenn Ärzte keine Suizidbeihilfe mehr leisten würden, dann könnten Mitarbeiter von privaten Sterbevereinigungen die Aufgabe übernehmen. Wäre das ein gangbarer Weg?
De Ridder: Ich bin ein strikter Gegner der organisierten und dem Gewinnstreben orientierten Sterbehilfe. Die Beihilfe zum Suizid gehört zwingend in den Intimraum "Arzt und Patient".