Subventionen Gehenkt und gebraten
Sachsens Landwirtschaftsminister Rolf Jähnichen, ein Mann des kräftigen Worts, wollte einmal richtig zupacken. Ein "Showdown" sollte es werden, der Pressetext, der die Aktion begleitete, sprach drohend von "High Noon". Es roch nach Pulverdampf und einem Fall für harte Burschen.
Mitte Februar schickte der Minister drei ehemaligen Vorständen der bankrotten Dresdner Firma Sachsenmilch AG 24 Gerichtsvollzieher ins Haus. Ihr Auftrag: Sie sollten bei den Ex-Managern, die allesamt in der Region Stuttgart leben, 12,8 Millionen Mark sicherstellen, laut Landesregierung ungerechtfertigt ausbezahlte Subventionen.
Doch bislang hat der Freistaat keine Mark bekommen. Das Dresdner Landgericht prüft mittlerweile, nach Widersprüchen der Betroffenen, die Rechtmäßigkeit der geplanten Pfändung.
Unterdessen gerät Jähnichen selbst in ein bedenkliches Licht - und mit ihm andere Politiker. In Stuttgart haben Staatsanwälte gegen die Milch-Manager Anklage erhoben, und in Dresden tagt ein Untersuchungsausschuß. Dabei bringen nun Zeugenaussagen ans Licht, wie leicht Geschäftemacher Subventionsmillionen erschwindeln können: Jähnichens Ministerium hat der Pleitefirma die Subventionsgelder aus Bonner und Brüsseler Töpfen förmlich aufgedrängt.
Die Sachsenmilch, eine Tochterfirma des Stuttgarter Molkereikonzerns Südmilch AG, 1990 gegründet, war 1993 in Konkurs gegangen. Die Baukosten waren explodiert, Finanzmanipulationen in der Stuttgarter Konzernzentrale führten unter dem damaligen Südmilch-Patriarchen Wolfgang Weber zum Zusammenbruch. Insgesamt 67 Millionen Mark öffentliche Gelder sind in die Firmen geflossen.
Da "war der Druck aus Bonn und Brüssel", berichtete Helmut Gebhard, der damalige Abteilungsleiter für Markt und Ernährung im sächsischen Landwirtschaftsministerium, der Staatsanwaltschaft. Der Druck trieb zur Eile an, die Politik gierte nach schnellen Resultaten. Eingereichte Rechnungen der Sachsenmilch seien deshalb eben mal bezahlt worden, "ohne nun vor Ort zu prüfen", was mit dem Geld geschah.
Das Ministerium habe die Firma sogar mehrfach aufgefordert, "so viele Rechnungen wie möglich 1991 vorzulegen, damit die Haushaltsmittel 1991 vollständig abfließen konnten", so Birgit Sigmund, damals Referentin für Marktstruktur im Dresdner Landwirtschaftsministerium. Ganz wohl war ihr dabei offenbar nicht. Sigmund vor dem Sachsenmilch-Ausschuß: "Ich sagte mir: Links werde ich aufgehenkt, und rechts werde ich gebraten . . . Ich habe den Druck von politischer Seite gespürt."
Schließlich war die Firmengründung mit einem Investitionsvolumen von mehreren hundert Millionen Mark ein Paradeobjekt in den neuen Bundesländern. Unter dem Arbeitstitel "Sachsenmilch 2000" sollte die größte und modernste Molkerei Europas entstehen - ein Rausch der Superlative. Sachsenmilch war das erste Ost-Unternehmen, das 1991 an die Börse ging. Die Deutsche Bank gab die Aktien aus.
Schon kurz nach Planungsbeginn hatte sich der Heidelberger Bauunternehmer Roland Ernst das Projekt als Generalunternehmer an Land gezogen. Ernst, Spezialist für chromglänzende Großbauten, hatte zwar kaum Ahnung vom Molkereiwesen, doch wo er hinlangte, so dachten die Beteiligten, würde es flott glitzern. Und: Die Südmilch gab an, Ernst werde zu Festpreisen bauen.
Da korrespondierte der Bundeskanzler persönlich mit Südmilch-Chef Weber, und gab es Verzögerungen, mußten Sachsenmilch-Manager schon mal zum Rapport im Kanzleramt antreten.
Bei soviel Begeisterung ganz oben wollten die kleinen Staatsbediensteten in Dresden nicht als Zauderer dastehen. Schon Ende 1991, der erste Spatenstich war noch nicht einmal getan, flossen die ersten 39 Millionen Mark vom Staat in die Kassen der Sachsenmilch, wenig später wurde eine zweite Tranche (12 Millionen) überwiesen. Die Firma brauchte nur die Abschlagsrechnungen vorzulegen, das reichte fürs erste. Minister Jähnichen und sein Staatssekretär Hermann Kroll-Schlüter unterzeichneten nahezu blind.
Was die Ministerialen nicht ahnen konnten: Von den Konten der Ost-Firma, so fanden Ermittler später heraus, wurden die Gelder insgeheim an die Stuttgarter Mutterfirma, die Südmilch AG, transferiert - mal als verdeckte Gewinnausschüttung, mal als Darlehen über 59 Millionen Mark. Die Konzernmutter stopfte mit den Fördermitteln für den Aufbau Ost, so sieht es die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, erst einmal ihre Löcher in den Bilanzen West.
In derartigen Tricksereien war Südmilch-Chef Wolfgang Weber offenbar erfahren; mit dem herrischen Auftreten eines Genossenschaftsfürsten hatte er die bäuerlichen Eigner des Molkerei-Konzerns über ein Jahrzehnt lang blenden können: Weber hatte immer mal wieder mit "außerordentlichen Erträgen" Umsätze und Gewinne erhöht, in Wahrheit soll er Immobilien der Firma verkauft haben, wie der Buchautor Martin Born recherchierte*.
Derweil kletterten die Kosten auf der Baustelle der Sachsenmilch in Leppersdorf bei Dresden bis auf über 320 Millionen Mark. Im Sommer 1993 mußte die Firma Konkurs anmelden, die Stuttgarter Hauptaktionärin Südmilch beantragte daraufhin den Vergleich. Die Pleite ramponierte, ähnlich wie schon die Skandale um die Neue Heimat oder co op, einmal mehr die Idee vom Genossenschaftsunternehmen. Den Weiterbau der Sachsenmilch-Anlage bei Dresden übernahm die Firma Müller-Milch.
Wegen Betrugs, Subventionsbetrugs, Kreditbetrugs, Untreue und Steuerhinterziehung hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart deshalb Anklage gegen die damals verantwortlichen Südmilch/Sachsenmilch-Manager Rudolf Hoffmann, Manfred Klecker und Klaus Scheck erhoben. Ex-Südmilch-Chef Weber wird in einem gesonderten Verfahren verfolgt, doch er ist nach Paraguay geflohen.
Bauunternehmer Roland Ernst - er ist wegen Beihilfe zum Betrug und wegen Umsatzsteuerhinterziehung in Höhe von 5,2 Millionen mitangeklagt - ließ sich möglicherweise in das Spiel der Stuttgarter Bilanztrickser einbinden. Er habe bei der "Verschleierung" der Verhältnisse bei der Milchfirma mitgewirkt, so die Staatsanwälte, und ein "Scheingeschäft" miteingefädelt.
Zuerst habe Ernst, so die Ermittler, der Muttergesellschaft im Westen "nutz- und wertloses" Molkerei-Know-how für 37 Millionen Mark abgekauft und dieses flugs an die Ost-Tochter weiterverkauft - für 38 Millionen Mark.
Vorteil für die Südmilch: Sie konnte mit den eingenommenen Millionen ihre schiefe 91er-Bilanz zurechtrücken. Vorteil für Ernst: Er sollte eine Million Aufschlag dafür erhalten, daß er 13 Aktenordner von Stuttgart nach Dresden expedierte. Ernst bestreitet, daß es sich dabei um ein Scheingeschäft handelte, er habe den Angaben der Südmilch-Leute über die Werthaltigkeit der Akten vertraut.
Höchst hilfreich für rasche Staatszahlungen war auch eine Reihe von Verträgen und inoffiziellen Nebenvereinbarungen, die Ernst Provisionen von insgesamt über 16 Millionen Mark garantierten; sie will der Baulöwe nicht erhalten haben.
Einen "Pauschalfestpreis", wie er etwa den Börsenanlegern im Prospekt der Sachsenmilch genannt worden war, gab es zwar im offiziellen Generalübernehmervertrag - nach den Nebenabsprachen war die Preisgarantie aber nicht gültig; die Sachsenmilch sollte für alle anfallenden Kosten aufkommen.
Bei den Baukostenangaben, so sagt Ernst heute, habe es sich doch nur um "vorläufige Planungen" gehandelt, später habe man alles noch einmal überarbeitet. Später war der Unternehmer dabei behilflich, flott die ersten Rechnungen auszustellen, damit die Subventionen reibungsloser flossen.
Wenn die Vorwürfe im Sommer vor der 11. Wirtschaftsstrafkammer des Stuttgarter Landgerichts verhandelt werden, möchte der Baulöwe aus Angst um seinen Ruf freilich lieber nicht auf der Anklagebank sitzen. Er bemüht sich derzeit mit seinen Anwälten, die Affäre geräuschlos zu erledigen: ohne öffentliche Verhandlung vor Gericht. Y _(* Martin Born: "Landliebe, Filz und ) _(Betrug. Die Südmilchpleite". Campus ) _(Verlag, Frankfurt am Main; 208 Seiten; ) _(26 Mark. )
Müller-Molkerei auf dem ehemaligen Sachsenmilch-Gelände in Leppersdorf: "Druck aus Bonn und Brüssel"
E. LAUE / ASPECT
Landwirtschaftsminister Jähnichen Showdown bei der Pfändung
T. HÄRTRICH / TRANSIT
Bauunternehmer Ernst Rechnungen vor dem ersten Spatenstich
E. LAUE / ASPECT
Ex-Südmilch-Chef Weber in Paraguay: Rausch der Superlative
AP