KOSOVO „Im Griff der Kriminalität“
Der Aufbau eines Rechtsstaats im Kosovo ist der größte und teuerste Hilfseinsatz in der Geschichte der EU. Die sogenannte Eulex-Mission mit rund 2500 Mitarbeitern hat seit 2008 über eine Milliarde Euro gekostet. Nach einem Bericht des Europäischen Rechnungshofs gibt es jedoch kaum Erfolge. Das Maß an Organisierter Kriminalität und Korruption bleibe hoch, die Justiz sei ineffizient und leide unter politischer Einflussnahme. Ein deutscher Polizist, der mit den Verhältnissen im Kosovo seit vielen Jahren vertraut ist, bestätigt den Bericht aus seiner praktischen Erfahrung vor Ort. Aus beamtenrechtlichen Gründen muss er anonym bleiben.
Ich kenne das Kosovo seit über zehn Jahren, und nach meiner Meinung haben wir in dieser Zeit kaum etwas erreicht. Am meisten enttäuscht bin ich von der Polizei. Trotz vieler Jahre intensiver Ausbildung und einer Ausrüstung, die europäischen Standards entspricht, sind die Beamten eher an Radarkontrollen interessiert als daran, die Kriminalität zu bekämpfen. Um Temposünder zu jagen, muss man sich nämlich nicht bewegen; man sitzt bequem und warm in seinem Einsatzwagen.
Nach meinem Eindruck ist die Korruption unter den kosovarischen Polizisten recht hoch. Wenn man mit einem gestohlenen Auto erwischt wird, so wurde mir berichtet, besticht man den Beamten - und die Sache ist erledigt.
An die großen Verbrecher kommt man sowieso nicht heran. Das verhindern die traditionellen Clan-Strukturen und die alten Seilschaften der ehemaligen Kosovo-Befreiungsarmee UÇK, aus der viele Polizisten rekrutiert wurden. Die wiederum möchten natürlich nicht als Nestbeschmutzer dastehen und werden wohl kaum gegen ihre alten Kommandeure ermitteln, die im Rauschgifthandel reich geworden sind.
Diese Netzwerke schützt eine Mauer des Schweigens, die wir Polizisten nicht durchdringen können. In Wahrheit wissen wir nicht mal annähernd, was hier los ist. Einerseits gilt die Stadt Ferizaj als größter Drogenumschlagplatz auf dem Balkan, andererseits stellen wir hier so gut wie nie größere Mengen Rauschgift sicher.
Klar ist nur: Das Kosovo ist fest im Griff der Organisierten Kriminalität. Man muss sich nur mal die vielen neuen Tankstellen und Einkaufszentren ansehen, die kaum Kunden haben. Da drängt sich der Verdacht geradezu auf, dass sie vor allem der Geldwäsche dienen. Überall entstehen zudem Wohnblocks, und es gibt viel mehr Luxusautos als etwa im benachbarten Mazedonien, obwohl dort das Pro-Kopf-Einkommen deutlich höher ist.
Vor ein paar Wochen erst wurden der Vorsitzende des Stadtparlaments von Priština und der Vorsitzende des kosovarischen Fußballverbands festgenommen. Sie sollen einem Bauunternehmer gegen Schmiergeld und teure Autos Grundstücke in einem Naturschutzgebiet versprochen haben. Die Sache kam nur deshalb heraus, weil die Genehmigung nicht erteilt wurde - und die Leute die Autos trotzdem behalten wollten.
Auch die Justiz funktioniert noch lange nicht. Viele Stellen sind nicht besetzt, oder sie werden ständig neu besetzt. Mancher Richter soll sich auch schon mal weigern, bestimmte Fälle zu bearbeiten. Unlängst hörte ich von Kollegen, dass ein zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilter Kriegsverbrecher mit einem der ranghöchsten Politiker in Priština beim Mittagessen gesehen wurde.
Dabei ist es schon ein Erfolg, wenn hier überhaupt gegen einen ehemaligen UÇK-Angehörigen wegen Kriegsverbrechen Anklage erhoben wird. Ein Beispiel dafür ist Fatmir Limaj, ein populärer Politiker der Regierungspartei und Parlamentsabgeordneter, zeitweise war er sogar Minister. Er wurde beschuldigt, als UÇK-Kommandeur für Folter und Tod von sieben Serben und einem Kosovaren verantwortlich gewesen zu sein. Ein wichtiger Zeuge, der zu seinem Schutz nach Deutschland gebracht worden war, brachte sich im September 2011 in Duisburg um. Ein Gericht sprach Limaj im Mai frei.
Das Kosovo ist ein Land, in dem Jahrhunderte alte Traditionen fortbestehen, und ein Teil dieser Kultur ist die Blutrache. Uns Mitteleuropäern ist es nicht gelungen, die Kosovaren von einem neuen, unserem westlichen Rechts- und Wertesystem zu überzeugen. Denn sie sehen ja, dass die alten Strukturen weiterhin mächtig und die staatlichen Institutionen schwach sind. Ich befürchte, die Kosovaren werden uns aussitzen. So wie die Taliban auf den Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan warten.
Doch keiner der Verantwortlichen der Eulex-Mission meldet die Wahrheit nach Brüssel. Sie schicken aus dem Kosovo nur geschönte Berichte, sogenannte Okay-Reportings. Vielleicht müssen sie das auch machen, um ihren Posten zu behalten und weiterhin in Auslandsmissionen arbeiten zu können. Aber dem Kosovo hilft das nicht.