Wirtschaftskriminalität Villa mit Pool und Video
Es war wie beim Frühstücksbuffet", gab Stephan Brannys nach seiner Festnahme zu Protokoll. Er und seine Freunde hatten mit Zeitverträgen im Hewlett-Packard-Werk Böblingen gejobbt - und geklaut.
Der Chipkonzern ist in Aufregung, seit Ende August ein "Millionen-Diebstahl" (dpa) aufflog. War es Schlamperei im Unternehmen, oder ist der Computerhersteller raffinierten Trickdieben aufgesessen?
Offenbar wurde es den Ganoven beim wohl größten deutschen Betriebsklau mehr als leichtgemacht, Kontrollen gab es praktisch keine. Nur durch Zufall flog das Ganze auf.
Brannys und seine Kumpels griffen in die Regale oder steckten einfach die überall herumliegenden Platinen ein. Die sind nicht größer als eine Tafel Schokolade, bestückt mit wertvollen Speicherchips. Und sie passen in jede Aktentasche.
Niemand stellte neugierige Fragen, nirgendwo lauerte eine Kontrolle. Mitunter schleppten die Gauner an einem einzigen Tag in ihren Taschen und Rucksäcken Bauteile für weit über 100 000 Mark nach Hause. Von August 1995 bis Ende Januar 1996 schafften sie laut Hewlett-Packard Waren im Wert von über 50 Millionen Mark aus dem Werk.
Im Dezember 1995 meldete sich ein Geschäftsmann bei Hewlett-Packard, der ahnungslos einige hundert der geklauten Platinen gekauft hatte. Nun wollte er wissen, in welche Rechner die Bauteile gehörten, und gab sogar die aufgedruckten Produktionsnummern an.
Doch die gekennzeichneten Platinen waren dem Werk seltsamerweise unbekannt. Bei der Ware, so die Auskunft aus Böblingen, müsse es sich wohl um eine Fehlproduktion handeln.
Das Trio hatte zu diesem Zeitpunkt bereits viel Geld zusammengerafft. Brannys kaufte über eine Tarnfirma auf der Isle of Man für zwei Millionen Mark eine Prunkvilla, ausgestattet mit Pool und Videoüberwachung. Das Anwesen befindet sich in Böblingens bester Lage. In der Nachbarschaft haben Manager von Hewlett-Packard ihre Häuser.
Für die Vermarktung der geklauten Chips suchte sich der ehemalige Berufssoldat einen Helfer. In einem Stuttgarter Anzeigenblatt war ihm die Annonce des Düsseldorfer Elektronikhändlers Achim Stautmeister aufgefallen. Der Geschäftemacher kaufte Computerschrott - meist auf Rechnung eines kleinen EDV-Händlers in Kamp-Lintfort.
Brannys rief in Düsseldorf an und präsentierte Stautmeister kurz darauf einige der geklauten Platinen. Der war begeistert und versprach, alles aufzukaufen, was in Böblingen beschafft werden konnte.
Doch der Deal war für Aufkäufer Stautmeister und seinen Juniorpartner in Kamp-Lintfort eine Nummer zu groß. Einen Teil der Ware verschob der Hehler nach Malaysia, doch auch dort war nicht alles unterzubringen, was die Diebe aus den Werkshallen schleppten.
Stautmeister wandte sich an einen umtriebigen Kollegen. Der Unternehmer Jürgen Schnabel aus Hofheim bei Murnau tummelte sich in der gleichen Branche, verfügte aber offenbar über bessere Kontakte.
Als die Gauner Ende Januar planmäßig bei Hewlett-Packard ausschieden, hatten sie schätzungsweise wenigstens rund zehn Millionen Mark erlöst. Die Gelder waren europaweit zwischen Lichtenstein und der Schweiz auf verschiedenen Konten verstaut.
Der Coup wäre wohl nie aufgeklärt worden, hätte nicht Klaus-Peter Nitschke, Geschäftsführer der Bad Homburger Memphis GmbH, Ende Februar zufällig bei seinem alten Bekannten Klaus Hieronymie, Sicherheitschef bei Hewlett-Packard, angerufen.
Beiläufig erzählte Hieronymie von einem Diebstahl, der ihm das Leben schwermache. Da stutzte der Freund. Er hatte gerade aus neuer Quelle günstig Speicherchips bezogen. Die Bauteile, so stellte sich dann heraus, stammten aus dem Lager von Hewlett-Packard. Der Freund hatte sie über einen weiteren Zwischenhändler von Schnabel gekauft.
Mitte März schließlich informierte Hieronymie die Kriminalpolizei, bis dahin noch ohne jede Spur, und die hatte nun leichtes Spiel: Schnabel stellte sich freiwillig der Polizei als Zeuge zur Verfügung. Er habe nicht gewußt, woher die Chips stammten, er sei von den Dieben übers Ohr gehauen worden.
Die Ermittler glaubten ihm. Jetzt genießt er mit seiner Frau die Sonne Australiens. "Herr Schnabel ist auf Urlaubsreise im Ausland", erklärt seine Sekretärin.
Während Brannys und seine Kumpane seit August in Stuttgart einsitzen, konnte sich Stautmeister nach Mallorca absetzen. Auf Anraten seiner Anwälte stellte er sich allerdings dann doch der Polizei und wurde mittlerweile nach Deutschland ausgeliefert.
Hewllet-Packard sucht nun fleißig nach Erklärungen für den Millionenklau. Nur Hieronymie findet alles halb so schlimm. "Der vertrauensvolle Umgang mit der Belegschaft ist nun mal Teil unserer Firmenphilosophie."