AUSSENPOLITIK Sex, Lügen und ein Staatsanwalt
Elmar Brok kommt viel herum in der Welt. Der Deutsche ist Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europäischen Parlament.
Auch die östliche Peripherie des Kontinents hat der CDU-Politiker in den vergangenen Jahren reichlich bereist - er taucht ebenso gern in Moskau wie in Tiflis oder Kiew auf. In der Hauptstadt der Ukraine allerdings droht ihm künftig möglicherweise Ungemach: Brok könne bei der nächsten Einreise verhaftet werden, meldete der ukrainische Internetdienst Obosrewatel (Beobachter). Er müsse damit rechnen, dass ihm schon am Flughafen eine DNA-Probe abgenommen werde. Es gebe hinreichende Verdachtsmomente, dass der 66-Jährige an einem "Sexualverbrechen" beteiligt gewesen sei.
Der mögliche Haftbefehl ist der vorläufige Höhepunkt einer bizarren Auseinandersetzung. Nur vordergründig geht es dabei um strafrechtliche Fragen. In Wahrheit handelt es sich um den Versuch, einen unbequemen Kritiker mit Hilfe eines "Kompromats" mundtot zu machen, jener auch in Russland bekannten Methode, den Gegner mit üblen Gerüchten bloßzustellen.
Diesmal kam die Verleumdungsmaschine in Gang, als Brok am 20. Dezember 2012 von Moskau aus nach Kiew reiste, um Ministerpräsident Mykola Asarow und Parlamentschef Wolodimir Rybak zu treffen. Die Gespräche spielten im Report des Internetdienstes Obosrewatel allerdings keine große Rolle.
Umso ausführlicher berichtete die Seite von Broks angeblichen Ausflügen in den Kiewer Rotlichtbezirk. Die Rede war von einem Mittagessen Broks mit seinen Gastgebern, das fließend in ein Abendessen übergegangen sei, dem Genuss von "gutem Cognac" und einem anschließenden "Kulturprogramm", das im Kiewer Stadtteil Trojeschtschina begann, genauer gesagt im Nachtclub Tussa. Dort habe Brok mit größeren Euro-Noten herumgefuchtelt, eine Einzelloge verlangt und Mädchen bestellt.
Später habe er noch die Etablissements Viva Art sowie Guli-Guli aufgesucht und sich danach mit drei Damen in ein gemietetes Apartment zurückgezogen. Dort habe es Streit ums Geld gegeben, behauptet eines der Mädchen.
Nicht nur Brok sagt, dass an den Vorwürfen "nichts dran" sei. Sowohl das Europaparlament als auch die EU-Botschaft in Kiew gaben eine Ehrenerklärung für ihn ab. Die Botschaft veröffentlichte den Reiseplan Broks, demnach befand er sich zum Zeitpunkt der angeblichen Orgie bereits im Flugzeug nach Tiflis.
EU-Botschafter Jan Tombiński versichert, bei allen Terminen dabei gewesen zu sein. Lediglich zum Schluss habe er Brok für die Fahrt zum Flughafen seinen Wagen überlassen. Der Fahrer der EU-Vertretung versichert, Brok nicht in dubiose Etablissements chauffiert zu haben.
Es wäre nicht das erste Mal, dass ukrainische Stellen unliebsame Gäste in eine Sexfalle zu locken versuchen. Ähnliches, heißt es im Berliner Kanzleramt, habe sich auch beim Besuch deutscher Charité-Ärzte bei der erkrankten Ex-Ministerpräsidentin Julija Timoschenko vor einigen Monaten zugetragen. Damals sei einer der Mediziner unter einem Vorwand ans Krankenbett einer Prostituierten gelockt worden.
Auffällig ist auch, dass sämtliche Tipps, den Kiewer Aufenthalt Broks "nachzurecherchieren", offensichtlich aus ukrainischen Justizkreisen stammten - und dort wohl von Vize-Generalstaatsanwalt Renat Kusmin. Kusmin hat in den USA wie andere ukrainische Staatsbeamte bereits Einreiseverbot.
Die Internetseite wiederum, die den Brok-Bericht im Dezember veröffentlichte, gehört dem Unternehmer und Medien-Magnaten Michailo Brodski, der die Partei der Freien Demokraten anführt. Brodski zählte einst zur Mannschaft Timoschenkos, wechselte dann aber auf die andere Seite der Barrikade und ist nun regierungsnah. Hat er mit der Geschichte der einsitzenden Politikerin eins auswischen wollen?
Staatsanwalt Kusmin wollte sich gegenüber dem SPIEGEL nicht äußern. Sein politischer Einfluss freilich schwindet. Am Freitag voriger Woche wurde Kusmin in seinem Amt überraschend herabgestuft: Er verlor in der Generalstaatsanwaltschaft die Zuständigkeit für die internationalen Beziehungen.
Der ukrainischen Regierung ist die Affäre mittlerweile peinlich. Am vergangenen Mittwoch sprach der ehemalige Präsident des Europaparlaments, Pat Cox, den Fall in einem Vieraugengespräch mit Ministerpräsident Asarow an. Asarow versicherte, seine Regierung habe damit nichts zu tun. Die Kampagne sei inakzeptabel und schade dem Ansehen der Ukraine, sagte der Premier. Er entschuldige sich bei Brok.