DEBATTE Krieg ohne Ende
Man stelle es sich einmal umgekehrt vor: Ein vollbärtiger syrischer Diktator, ein Islamist mit Sympathien für al-Qaida, ließe seine christliche Bevölkerung beschießen, aushungern, bombardieren, ließe fanatische Milizen Ungläubige massakrieren und das Land in Schutt und Asche legen. Schneller als man das Wort "Mali" ausgesprochen hätte, stünde die westliche Allianz zur Intervention bereit.
Die Syrer aber, die seit zwei Jahren ihren Diktator loswerden wollen, die sich monatelang auf friedlichen Demonstrationen zusammenschießen ließen, bis sie begannen, auch gewaltsam Widerstand zu leisten, und nun dem Vernichtungswillen des Regimes gegenüberstehen: Sie haben Pech gehabt.
Denn die allermeisten der Rebellen sind Sunniten, also Muslime, tragen oft Bart und rufen "Allahu akbar" (wie die in geringer Zahl mitkämpfenden Ismailiten, Drusen und Christen ebenfalls). Und Sunniten leben auch in jenen Orten, die bei guter Sicht fast täglich bombardiert werden.
Dass Muslime sich erheben, für Gerechtigkeit und gegen ihre Herrscher, passt nicht ins Weltbild. Denn das ist in den vergangenen Jahrzehnten genährt worden von Hasspredigern und Taliban, von Ehrenmorden, Karikaturenstreit und dem 11. September. Gesamtschuldnerisch haftend für unsere Erfahrungssumme erleben die Syrer nun, wie ihr Aufbegehren unter dem Generalverdacht steht, sie wollten doch nur den nächsten Gottesstaat errichten.
Wenn sie wenigstens Tibeter wären!
So aber darf Baschar al-Assads Luftwaffe weiterhin bombardieren. Scud-Raketen ebnen ganze Häuserblocks ein, während Syrien sich leert, über 70 000 Menschen tot und mehr als eine Million außer Landes geflohen sind.
Assads Regime spielte von Anfang an virtuos auf der Klaviatur westlicher Ängste, ließ die syrischen Protestierer als ausländische Dschihadisten denunzieren (und gleichzeitig Hunderte inhaftierter al-Qaida-Anhänger freilassen), ließ Anschläge fingieren und die Glaubensgruppen gegeneinander aufhetzen, um sich selbst als säkulares Bollwerk gegen die Radikalen zu präsentieren. Und seine Botschaft trifft auf willige Zuhörer im Westen. Pflichtschuldig wird Assads Hauptverantwortung für das Morden erwähnt, um dann Fall für Fall Menschenrechtsverletzungen der Rebellen aufzuzählen und zu dem Schluss zu kommen: Beide Seiten sind furchtbar.
Man will sich da nicht einmischen. Deutschland, so die bisherige Position der Regierung wie der Opposition, sollte nicht nur keine Militärhilfe an die Rebellen liefern, sondern auch tunlichst das EU-Waffenembargo aufrechterhalten. Dabei ist es nicht so, dass die syrische Opposition partout Waffen bekommen wollte. Die sind eher die letzte Hoffnung, nachdem alle anderen Forderungen, von einer Intervention bis zur Flugverbotszone, abschlägig beschieden wurden.
Trotz der Erfolge der Rebellen halten Regimetruppen noch immer die Zentren fast aller großen Städte und genügend Flughäfen, um die befreiten Gebiete anzugreifen, was fortwährend geschieht. Zu gewinnen gibt es für Assad nichts mehr, zu zerstören noch genug.
Erst langsam beginnt ein Umdenken: Die USA haben seit dem Spätherbst heimlich geholfen, Waffen und Munition in die Türkei zu fliegen, angeblich 3500 Tonnen laut "New York Times", die von dort an Rebellengruppen geliefert werden sollten. Allzu viel allerdings schien bis Ende Januar noch nicht angekommen zu sein; Kommandeure in Nordsyrien gaben da immer noch einzeln abgezählte Patronen aus. Und die gegen Luftangriffe dringend nötigen Abwehrraketen hält Washington aus Furcht zurück, sie könnten an die Falschen geraten. Auch Großbritannien und Frankreich wollen die Rebellen nun mit Waffen beliefern. Doch noch steht das EU-Embargo, noch steht Deutschland dagegen.
Aber wie dem Inferno Einhalt gebieten, in diesem Land, das einmal Syrien war? Hierzu fallen den Verfechtern des Embargos lauter Sätze ein, die alle mit demselben Verb daherkommen: Assad müsse zurücktreten! Die Uno-Mission müsse unterstützt werden! Man müsse Russland abhalten, Assad weiter aufzurüsten! Man müsse den Unterstützern der Islamisten klarmachen, dass sie damit besser aufhören sollten.
Man müsste, aber man kann offensichtlich nicht, und da liegt das Problem. Doch seine Politik auf luftige Appelle zu stützen, die in zwei Jahren nichts erreicht haben, ist Selbstbetrug.
Es gibt viele gute Gründe, sich militärisch aus anderen Ländern herauszuhalten. Im Falle Syriens aber sind manche der Begründungen unlogisch - wie jene, es seien doch schon so viele Waffen im Land, da sollte man nicht noch mehr hinbringen. Mit derselben Begründung hätte man sich den Einmarsch in Afghanistan sparen können, ebenso das gesamte Wettrüsten vergangener Jahrzehnte.
Das Kuriose bei vielen deutschen Politikern ist, dass sie den gemessen an seinen Zielen gescheiterten Einsatz in Afghanistan weiterhin preisen, aber da nicht militärisch eingreifen wollen, wo es sinnvoll wäre. Ignoriert wird ein fundamentaler Unterschied: In Afghanistan 2001 und im Irak 2003 gab es keine Revolution von innen, keine Vorstellung eines anderen Staats, sondern eine Invasion von außen. Die Amerikaner konnten Saddam Hussein und die Taliban stürzen, aber keine stabilen Staaten schaffen.
Syrien ist anders. Was hier an zig Orten gleichzeitig und ohne zentrale Führung begann, hat Hunderte Rebelleneinheiten entstehen lassen, die keinem einheitlichen Kommando unterstehen, aber dennoch leidlich kooperieren. Komitees zur Selbstverwaltung existieren dort, wo Assads Truppen vertrieben wurden - chaotisch, unzulänglich, aber die Leute wollen keine Anarchie, sie wollen einen Staat. Nur eben einen anderen. Rechtsanwälte, Geschäftsleute, Prediger und Beamte versuchen, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Frage ist, wie lange das noch funktioniert.
Zerrieben zwischen der Brutalität des Regimes und den seit Monaten erstarkenden Dschihadisten, verbittert von der Passivität des Westens und schlicht verarmt, verrohen manche, andere fliehen. Immer mehr Rebellen schließen sich den Radikalen an, auch weil diese von Netzwerken einflussreicher Prediger am Golf reichlich versorgt werden. "Ahrar al-Scham", eine der beiden großen Fundamentalistengruppen unter den Rebellen, "kauft immer nur die neuesten Waffen, und davon reichlich. Die haben Geld", bilanzierte im Dezember ein Mittelsmann in Nordsyrien.
Die Islamisten anzuführen als Grund, weiterhin passiv bleiben zu wollen, verkehrt jedoch Ursache und Wirkung. Wer, wie die Bundeskanzlerin, das Waffenembargo verteidigt, weil Waffenlieferungen an die Rebellen den Konflikt weiter anheizen könnten, verkennt die Natur des Regimes ebenso wie die Dynamik dieses Krieges.
Schritt für Schritt hat Assad getestet, ob die internationale Gemeinschaft etwas gegen den Einsatz von Panzern, Kampfhubschraubern, Jets und Raketen habe. Eine rote Linie zog US-Präsident Barack Obama nur vor dem Einsatz von Giftgas, was im Umkehrschluss hieß: Ansonsten halten wir uns heraus. Assad und seine Generäle werden eher den Untergang des Landes als den Verlust ihrer Macht in Kauf nehmen. Und solange der Westen sie gewähren lässt, werden sie fortfahren.
Die Aussichten sind: ein vollständig verwüstetes Land, nicht eine, sondern sechs Millionen Menschen auf der Flucht. Und ein Bürgerkrieg, der auch den Libanon hineinzieht - und der nicht mehr mit Assads Ende aufhört, sondern sich endlos aus Rache und Vergeltung speisen wird.
Die Bundesregierung wird das dann aufs Schärfste verurteilen.