MUSIK „Depressionen sind Luxus“
Er ist ein Gangsta-Rapper, dessen Image von Statussymbolen lebt, aber in Berlin steigt er in einem Touristenhotel am Lützowplatz ab. Curtis Jackson, wie 50 Cent mit bürgerlichem Namen heißt, kommt aus dem New Yorker Stadtteil Queens. Seine Mutter, eine Drogendealerin, wurde ermordet, als er acht Jahre alt war, mit zwölf machte er seine ersten eigenen Deals. Jackson, 38, wurde mehrmals verhaftet, landete im Gefängnis. Im Jahr 2000 wurde er niedergeschossen, im Jahr zuvor hatte er einen Song veröffentlicht, in dem er Konkurrenten verhöhnte. 2003 erschien sein Debütalbum "Get Rich or Die Tryin'", das sich weltweit mehr als zwölf Millionen Mal verkaufte. Jackson hat seitdem ein Plattenlabel, eine Bekleidungs- und zwei Filmproduktionsfirmen gegründet. Das Entgelt für die Beteiligung an der Werbekampagne einer Getränkemarke ließ er sich in Firmenanteilen auszahlen. Das Unternehmen wurde später von Coca-Cola gekauft, allein daran soll Jackson mindestens 60 Millionen Dollar verdient haben. Zurzeit läuft sein Film "All Things Fall Apart" in einigen deutschen Kinos. Jackson spricht leise, er wirkt zurückhaltend und vorsichtig.
Jackson: Warum sollte ich Ihnen das sagen?
SPIEGEL: Sie haben Ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Damals waren Sie ein Junge aus dem Ghetto, heute besitzen Sie ein Firmenimperium, Reebok hat unter Ihrem Namen Turnschuhe verkauft. Darauf kann man stolz sein.
Jackson: Ich kann Ihnen zwei Sachen sagen: Zum einen habe ich viel Geld mit Musik verdient, auch wenn der größte Teil meines Vermögens aus anderen Investitionen kommt. Zum anderen: Ich habe ziemlich guten Einblick ins HipHop-Geschäft, und ich weiß, dass fast keine Zahl stimmt, die veröffentlicht wird. Die meisten Rapper übertreiben, wenn es um ihre Verkäufe und ihr Geld geht. Nur um mich in meiner Ehrlichkeit einen Augenblick lang gut zu fühlen, werde ich mich jetzt nicht schwach zeigen.
SPIEGEL: Wie ist das Leben mit dem Ruhm?
Jackson: Es ist ein fairer Deal.
SPIEGEL: Was heißt das?
Jackson: Ich kann nicht mehr einfach so in die Shopping-Mall gehen. Dafür kann ich mir dort alles kaufen.
SPIEGEL: Was machen Sie?
Jackson: Ich schicke jemanden.
SPIEGEL: Wohin fahren Sie in den Urlaub?
Jackson: Möglichst gar nicht. Ich nehme mir nur frei, wenn es nicht anders geht. Wenn ich nicht mehr kann. Für ein paar Tage. Ich habe aber sofort das Gefühl, ich würde etwas verpassen. So wie ein Kind, das im Bett liegt und nicht schlafen kann, weil es die ganze Zeit die Schritte von den Leuten hört, die durchs Haus gehen.
SPIEGEL: Also bleiben Sie zu Hause?
Jackson: Nein. Ich bin nur selten zu Hause. Ich lebe in Hotels.
SPIEGEL: Sie haben 2003 für vier Millionen Dollar die Villa des Boxers Mike Tyson gekauft, ein Anwesen mit mehr als 50 Zimmern, angeblich das größte Wohnhaus Connecticuts.
Jackson: Da bin ich fast nie. Das Haus ist einfach da. Und leer.
SPIEGEL: Warum haben Sie so viel Geld dafür ausgegeben?
Jackson: Ich wollte meinen Erfolg bestätigt sehen. Und ich habe es für einen guten Preis bekommen. Aber ich brauche es nicht. Das merkt man erst hinterher. Ich wollte es einfach besitzen - und nun habe ich 18 Schlafzimmer und kann doch nur in einem Bett schlafen.
SPIEGEL: Sie haben selbst einmal geboxt.
Jackson: Ich habe Tysons Haus gekauft, um mich und alle anderen zu überzeugen, dass niemand mich schlagen kann. Dieses Haus sagt: Ich spiele in einer anderen Liga. Kein Boxer wird je wieder erreichen, was Tyson geschafft hat. Er hat jeden innerhalb von ein paar Minuten umgehauen, jeden. Ein Monster.
SPIEGEL: Er ist auch ein Beispiel für jemanden, der nicht mit seinem Ruhm umgehen konnte.
Jackson: Er hat seine Dämonen. Aber wenn man so viel Geld bekommt, 30 Millionen für einen Kampf, fühlt es sich so an, als ob es keine Grenzen mehr gibt.
SPIEGEL: Gerade war die Deutschland-Premiere Ihres neuen Films, "All Things Fall Apart". Es geht um einen Football-Spieler, der an Krebs erkrankt. Sie haben am Drehbuch mitgearbeitet, Sie spielen die Hauptrolle, Ihre Filmfirma hat ihn produziert. Warum dieses Projekt?
Jackson: Mein bester Freund aus Kindertagen starb an Krebs. Deshalb wollte ich diesen Film machen. Vor den Dreharbeiten habe ich zwei Monate trainiert und Gewicht zugelegt, um ihn spielen zu können, als er noch gesund ist. Dann habe ich in neun Wochen 20 Kilo abgenommen.
SPIEGEL: Gerade sagten Sie noch, ein Rapper dürfe sich nicht schwach zeigen.
Jackson: Das ist etwas anderes. Niemand möchte einen Star immer nur siegen sehen. Ihn schwach zu sehen kann wichtig sein. Es zeigt, dass wir alle nur Menschen sind. Viele Leute dachten, ich sei wirklich krank, als ich Bilder von den Dreharbeiten ins Netz stellte.
SPIEGEL: Es gibt nicht viele Bilder, die Sie privat zeigen.
Jackson: Das stimmt, ich versuche, möglichst wenig an die Öffentlichkeit zu lassen.
SPIEGEL: Warum eigentlich? Jay-Z beispielsweise zelebriert seine Ehe mit Beyoncé sehr öffentlich.
Jackson: Ich habe keine Beziehung, die so wichtig wäre. Jemanden, der mit meinen Fehlern leben kann und mit dessen Fehlern ich leben könnte. Eine Beziehung, die so eng wäre, dass sie über dem Finanziellen steht.
SPIEGEL: Trinken Sie?
Jackson: Nein. Ich rauche auch nicht. Ich war noch nie high.
SPIEGEL: Was machen Sie, wenn Sie sich mal gehen lassen?
Jackson: Wie meinen Sie das? Um kreativ zu werden?
SPIEGEL: Nein, wenn Sie mal loslassen wollen.
Jackson: Will ich nicht.
SPIEGEL: Nie?
Jackson: Nein. Ich bin mit acht Onkels und Tanten aufgewachsen, meine Mutter war das neunte Kind. Als sie ermordet wurde, bin ich an ihrer Stelle zu meinen Großeltern gezogen, als neue Nummer neun. Alle waren sehr viel älter als ich. Das heißt, ich habe als Kind alles mitbekommen, was die gemacht haben. Als sie in ihre experimentellen Phasen kamen und Drogen genommen haben. Mein Großvater hatte ein Alkoholproblem. Die Einzige im ganzen Haus, die bei alldem nicht mitmachte, war meine Großmutter. Und die passte auf mich auf: Du machst das nicht, du trinkst nicht. Sie war sehr religiös, anders als ich. So ist das in armen Gegenden: je ärmer, desto mehr Schnapsläden und Kirchen. Die Sünde täuscht über die wahren Gefühle hinweg: Also betet man oder trinkt.
SPIEGEL: Ihre Mutter hat Drogen verkauft, Sie auch. Haben Sie die Drogen nie selbst genommen?
Jackson: Nein. Ich hatte Spuren von Kokain im Urin - aber nur weil ich es verpacken musste und meine Haut damit in Kontakt kam. Deshalb bekam ich Ärger mit meinem Bewährungshelfer.
SPIEGEL: So wie Sie sich beschreiben, sind Sie kein Gangsta-Rapper, sondern ein Puritaner.
Jackson: Ich habe immer das gemacht, was ich für richtig gehalten habe. In dem Moment. Das sind keine einfachen Entscheidungen. Wenn man kaputte Schuhe hat, kann man entweder Drogen verkaufen, um auf neue Schuhe zu sparen, oder sich Drogen kaufen, um die Schuhe zu vergessen. So war das.
SPIEGEL: Was sind Ihre Dämonen?
Jackson: Ich kann niemandem vertrauen.
SPIEGEL: Wer sind Ihre Freunde? Leute von früher?
Jackson: Auf gar keinen Fall. Die Leute von früher sind Menschen aus einer Welt, in der es ein großer Fehler ist, jemandem zu vertrauen.
SPIEGEL: Vertrauen Sie Ihrem Manager?
Jackson: Mein Manager ist tot.
SPIEGEL: Meinen Sie Jam Master Jay, den DJ der HipHop-Pioniere Run-DMC?
Jackson: Nein, der hat mich entdeckt, und der ist auch tot. Ich spreche jetzt von Chris Lighty, meinem Musikmanager. Es heißt, er habe Selbstmord begangen, vergangenen Sommer, aber ich glaube das nicht.
SPIEGEL: Wie gehen Sie mit all diesen Schicksalsschlägen um?
Jackson: Disziplin. Das Wissen, dass ich mich zusammenreißen kann, hat mich oft gerettet. Depressionen sind ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann. Ich muss mit den Dingen zurechtkommen, ich muss Probleme aus dem Weg schaffen. Ich kann nicht stehen bleiben.
SPIEGEL: Hätten Sie gern den Luxus der Depression?
Jackson: Nein, das würde bedeuten, dass das Erreichte für mich bedeutungslos geworden ist und dass ich keine Energie für Neues mehr habe. Da könnte ich gleich in die Kiste springen.
SPIEGEL: Wollten Sie Ihr Debüt deshalb "Power of the Dollar" nennen, weil Geld das Einzige ist, dem man vertrauen kann?
Jackson: Die Konzepte meiner Platten sind einfach, und der Titel fasst sie zusammen. "Power of the Dollar" und "Get Rich or Die Tryin'". Der Pfarrer, der den Gospel des Reichtums singt, hat die größte Gemeinde. Jeder möchte auf großem Fuß leben. Ein Mann ohne Geld ist nicht attraktiv. Ein Gewinner zu sein öffnet eine Welt der Möglichkeiten.
SPIEGEL: Warum ist es dann für Sie so schwierig, das Leben zu genießen?
Jackson: Sie meinen, ich solle dick werden?
SPIEGEL: Vielleicht?
Jackson: Das geht nicht. Ich kann niemand anders sein. Wenn meine Onkel getrunken haben, damals, als ich klein war, dann habe ich gesehen, wie sie zu anderen Menschen wurden, wie sie sich verwandelten, wie sie wütend wurden und kämpfen wollten. Ich will niemand anders sein als der, der ich bin.
SPIEGEL: Aber wofür das ganze Geld, das ganze Imperium, das Sie aufgebaut haben, wenn Sie immer unter Druck stehen müssen?
Jackson: So denkt meine Ex-Freundin, die Mutter meines Sohnes.
SPIEGEL: Mit der Sie sich einen Prozess um Unterhaltszahlungen geliefert haben.
Jackson: Die fragte auch immer: "Warum genießt du nicht das Leben?" Und ich dachte mir: Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe. Setzen Sie jemanden, der mit seinem Leben zufrieden ist, neben jemanden, der ehrgeizig ist - das ist, als würde man einen Fitnessfanatiker neben eine Person setzen, die übergewichtig ist. Er wird ihr Sachen sagen, die nicht nett sind: Dicke Schlampe, warum machst du keinen Sport? Natürlich hätte ich mich zur Ruhe setzen können, als "Get Rich or Die Tryin'" viele Millionen Mal verkauft wurde. Aber hätte es mich zufrieden gemacht, das Geld über die kommenden Jahrzehnte versickern zu sehen? Hier ein paar Dollar ausgeben, da die Raten fürs Haus? Nein. Und schauen Sie, wo ich jetzt bin.
SPIEGEL: Hat das Geld Sie sicherer gemacht? Auf Sie ist ja geschossen worden. Sie wurden neunmal getroffen.
Jackson: Ich habe kugelsichere Autos, wenn Sie das meinen. Niemand ist vollkommen sicher. Da, wo ich herkomme, kostet ein Menschenleben 5000 Dollar.
SPIEGEL: Haben Sie das Gefühl, Sie müssten der Community Ihrer Kindheit etwas zurückgeben?
Jackson: Das mache ich. Ich habe eine Stiftung gegründet, um armen Kindern das Studium zu finanzieren.
SPIEGEL: Sie haben einmal gesagt, Sie wollten Milliardär werden, der erste HipHop-Milliardär. Ist das noch Ihr Ziel?
Jackson: Nein.
SPIEGEL: Warum nicht?
Jackson: Weil es egal ist. Ich werde nicht aufhören zu arbeiten. Aber die Milliarde? Die Auffahrt zu meinem Haus wäre noch die gleiche.
SPIEGEL: Ist Geldmachen eine Kunst?
Jackson: 50 Cent ist eine Marke, insofern ist es Geschäft. Aber sie wurde durch Kunst begründet.
Interview: Thomas Hüetlin, Tobias Rapp