Der Erlöser aus Altona
Eigentlich ist es Egon Bahr ein bißchen peinlich, mit dem Privatflugzeug Axel Springers, dem Jet Commander, in Hamburg abgeholt zu werden. Es ist nicht seine Art zu reisen. Aber er hat die Einladung angenommen, schließlich will er auf Sylt etwas erreichen.
Höflicher Empfang in der Residenz des Königs, dem Klenderhof in Kampen. Man trinkt Kaffee und kommt schließlich zum Anlaß der Reise: Passierscheinverhandlungen zwischen dem West-Berliner Senat und den Machthabern drüben, dazu die täglichen Schlagzeilen der Springer-Presse gegen diese ersten Versuche der Entspannung. _(* Auf seinem Wohnsitz Gut ) _(Schierensee; eine Malerin porträtiert ) _(den Verleger vor seiner ) _(Fayencensammlung. ) _(y Michael Jürgs: "Der Fall Axel ) _(Springer". List Verlag, München. )
Der Vordenker des Berliner Bürgermeisters Willy Brandt erklärt Springer, warum dies kein Nachgeben vor den Kommunisten sei, sondern ein geschickter Angriff auf die Zweistaatentheorie. Zum erstenmal bestehe nach dem fürchterlichen Mauerbau die Chance, auf das Gebiet der anderen Seite vorzudringen durch die Begegnung von Menschen, die schließlich zu einer Nation gehören. Die Wiedervereinigung stehe nicht zur Diskussion. Wem, wenn nicht den Menschen, habe die Politik zu dienen?
Springer hört genau zu, stellt ein paar Fragen und bekommt offensichtlich Antworten, die ihn überzeugen. Spontan, wie es seine Art ist, befiehlt er seinem Adlatus Hans Wallenberg, den Bahr gut aus gemeinsamen journalistischen Anfängen beim US-Besatzungsblatt Neue Zeitung kennt, nach nebenan zu gehen und zu telefonieren: "Sagen Sie den Chefredakteuren, Feuer einstellen." Eine Viertelstunde später kommt Wallenberg zurück und meldet Vollzug.
Schlagartig hören die Angriffe auf Brandt und den SPD-Senat in den Berliner Zeitungen auf. Bahr ist beeindruckt, mit welcher Lässigkeit Springer ihm gegenüber seine Macht demonstriert hat.
Nachdem der Hamburger aus Altona den Hauptsitz seines Verlages nach Berlin verlegt hatte, war er zunächst ein Lieblingskind der dort regierenden Sozialdemokraten gewesen, die ihm ein großes Grundstück an der Sektorengrenze, im zerstörten Zeitungsviertel an der Kochstraße, überließen. Zur Grundsteinlegung im Mai 1959 nannte Bürgermeister Brandt Axel Springer ein leuchtendes Beispiel für alle.
Die günstige Berliner Steuergesetzgebung hat sicher die Entscheidung für den Standort beeinflußt. Wichtiger aber war die Überzeugung des Verlegers, sein Schicksal erfülle sich in der ehemaligen deutschen Hauptstadt. Nur dort würde er seine vorbestimmte Rolle als Politprediger und Patriot erfüllen, seine Vision von der deutschen Einheit in Realitäten umsetzen können.
Wie die Deklaration einer neuen Sekte klingt die Urkunde, die in den Grundstein eingemauert wird: "Wir rufen die Geister der Geschichte, die an dieser Stätte heimisch sind, und bitten sie, diesem Neubeginn gnädig zu sein."
Die Gemeinsamkeiten zwischen Springer, Brandt und Bahr werden in Springers Palais an der Bernadottestraße begossen: Kampf gegen die moskautreuen Zonendeutschen, alles für die Wiedervereinigung, Mißtrauen gegen Adenauers Bonn.
Warum der Verleger nach dem Mauerbau insgeheim sogar auf einen SPD-Sieg hofft, enthüllt Willy Brandt später in seinen Erinnerungen: "Hätte es nach den Wahlen 1961 eine Chance gegeben, er wäre nicht abgeneigt gewesen, sich in einem Kabinett Brandt der gesamtdeutschen Belange anzunehmen."
Trotz Bild-Kritik gewinnt Adenauer die Bundestagswahl. Acht Jahre später wird auch Willy Brandt trotz Bild Kanzler. Da beginnt der letzte Kampf gegen die "Farbe des Fahnentuchs sowjetischer Imperialgewalt", die der SPD-Kanzler für die "Morgenröte" halte. Ein Aufruf entlarvt den "Betrug am deutschen Volk". Verantwortlich: Axel Springer, Berlin, Kochstraße 50.
Wie alle enttäuschten Liebhaber haßt Springer die am liebsten, die er einst mochte, also auch die deutschen Sozialdemokraten. Er läßt keine Gelegenheit aus, sie als Vaterlandsverräter zu brandmarken. Erst nach dem Wahlsieg 1972 gibt selbst der eher friedliche Brandt die Parole aus, wenn der Herr in Berlin Krieg wolle, dann könne er ihn haben. Sein Nachfolger Helmut Schmidt hat früh gewarnt, wer Springer gegen sich aufbringe, begehe politischen Selbstmord.
Gern erzählte Springer immer wieder, er habe nie Einfluß auf seine Blätter genommen und es "meinen Herren" überlassen, wie sie zu agieren gedachten. Abgesehen davon, daß die meisten Herren nur hochbezahlte Knechte mit vorauseilendem Gehorsam waren, gab es neben vielen direkten Anrufen Springers und den von seinem Büroleiter Claus Dieter Nagel weitergeleiteten Direktiven auch schriftliche Anweisungen des Besitzers.
Aus einem Rundschreiben an die Chefredakteure der Tageszeitungen: _____" Darf ich noch einmal an unsere Abmachungen erinnern, " _____" die wir gemeinsam bei unserer letzten Unterhaltung über " _____" das Problem der Sowjetzone in meinem Büro trafen. Bis zur " _____" Wiedervereinigung sollte jeden Tag (ohne Ausnahme) auf " _____" der ersten Seite unserer Blätter zumindest eine Meldung " _____" über Vorgänge in der Ostzone stehen. Von Zeit zu Zeit " _____" müssen solche Stoffe auch zu einer Aufmachung auf der " _____" ersten Seite erhoben werden. "
Aus dem Protokoll einer Sitzung des Redaktionellen Beirats: _____" Herr Springer appellierte an die Chefredakteure unter " _____" den Mitgliedern des Beirats, über das Geschehen an der " _____" Zonengrenze und in der sowjetischen Besatzungszone " _____" ausführlich zu berichten. Dies sei die einzige uns " _____" verbleibende Möglichkeit, ein Gegengewicht gegen die von " _____" manchen deutschen Politikern allzu bereitwillig " _____" aufgenommene Entspannungswelle zu bilden. "
Etwa zwei Jahrzehnte später reist Ex-Bundeskanzler Brandt, Chef der Sozialistischen Internationale, nach Jerusalem und trifft dort Bürgermeister Teddy Kollek, seinen Parteifreund, der ihn im Februar 1985 zu einem Mittagessen einlädt ins berühmte Restaurant Mischkenot Schaananim. Kollek fragt Brandt eine halbe Stunde vor dem Termin, ob er was dagegen hätte, wenn Springer im Restaurant sei. Nichts dagegen, sagt der.
Kollek hat auch seinen Freund Axel gefragt, ob er nicht zum Essen gehen und dabei Brandt treffen wolle. Auch Springer hat zugesagt. Die beiden haben sich fast ein Jahrzehnt nicht gesehen; nur einmal noch hatte Brandt an Springer _(* Hinter seinem Verlagshaus an der ) _(Berliner Mauer. )
einen sehr privaten Brief geschrieben, als sich dessen Sohn Axel umbrachte.
Nach der Vorspeise geht Kollek mit Brandt ins Nachbarzimmer des Lokals, wo Springer und seine Begleitung bei Tisch sitzen. Es kommt zu der ungewöhnlichen Begegnung der beiden alten Männer. Die anderen im Raum halten den Atem an, als sie einander gegenüberstehen.
Axel Springer, der seine Begabung als Menschenfänger nie verloren hat, löst die Spannung. Auf einem Foto, das seine Frau Friede macht - "Es war ein bewegender Moment" -, ist die typische Springer-Geste zu sehen, zu der er spontan neigt, wenn ein Mensch ihm nahesteht: Er hat die Hand auf der Schulter von Willy Brandt. Die beiden, die jeder auf seine Art die deutsche Geschichte der Nachkriegszeit geprägt haben, versöhnen sich in Jerusalem.
Es ist ihr letztes Treffen. Sieben Monate später stirbt Springer. Wie hätte sich Axel gefreut, meinte Kollek, wenn er noch die Rede Brandts hätte hören können nach dem Mauerfall. Das war doch wieder der Patriot, den er einst so bewunderte.
Hätte es für Brandts Entspannungspolitik, die Springer dann so wütend bekämpfte, keine journalistische Gegenmacht gegeben, meint Bahr rückblickend, "hätten wir keine Unterstützung gehabt im Kampf gegen Springers Dauerbeschuß, dann hätten wir mit unserer Ostpolitik aufgeben müssen".
Der neben Stern-Chef Henri Nannen wichtigste Mann auf der Seite der Sozialliberalen machte den SPIEGEL, hieß Rudolf Augstein und wurde von Springer insgeheim bewundert, haßerfüllt, versteht sich. Gemeinsam war ihnen, wie der Intellektuelle nach dem Tod des anderen feststellt, daß sie den Briefwechsel zwischen Friedrich dem Großen und seinem Kammerdiener Michael Gabriel Fredersdorf für "ein exzellentes Stück deutscher Prosa des 18. Jahrhunderts" hielten.
Während der SPIEGEL-Affäre, als Franz Josef Strauß am Bundestag und am Grundgesetz vorbei Augstein und einige seiner Redakteure - Conrad Ahlers, Claus Jacobi - wegen Landesverrats hatte verhaften lassen, kam bei Springer die ganz große Freude auf. Ein Foto, das den SPIEGEL-Herausgeber bei der Einlieferung in den Knast zeigt, läßt er sich vergrößern und schaut es sich immer wieder begeistert an.
Kein Wunder, daß Hans Bluhm, damals Chef von Bild am Sonntag, der die Staatsaktion kritisch vermeldet hat, von seinem wütenden Verleger angebrüllt und nach Aussagen von Zeugen sogar mit einem Koffer beworfen wird. Das Angebot des kühlen Generalbevollmächtigten _(* Oben: 1959 vor einem Modell des ) _(Berliner Springer-Verlagshauses mit ) _(Ernst Lemmer, Bundesminister für ) _(Gesamtdeutsche Fragen (l.); unten: 1985 ) _(in Jerusalem. )
Christian Kracht an die Kollegen von nebenan, angesichts des Notstands bei der Herstellung des SPIEGEL auszuhelfen, muß auf Anweisung Springers zurückgenommen werden.
Er glaubt, endlich den Konkurrenten erledigt zu haben, der ihm so oft den SPIEGEL vorgehalten, ihn vor allen lächerlich gemacht hat. Depressionen dann fast, als Augstein auf Druck einer aufgewachten Öffentlichkeit, die 1962 beginnt, den aufrechten Gang zu üben, aus der Haft - und Strauß aus der Regierung - entlassen wird.
Dem Intimus Kracht wirft der Verleger später vor, irrational, wie er nun mal ist, den Gegner SPIEGEL als Großkunden für die Druckerei ins Haus geholt zu haben. Das wäre zwar ohne seine Zustimmung nicht gegangen - aber er hat es schon wieder verdrängt, als das böse Hamburger Magazin auf seinen Maschinen gedruckt werden soll.
Rudolf Augstein: "Ich besuchte ihn in seiner Sylter Behausung am Watt. Es war ihm klar, daß er mir politische Vorschriften nicht anbieten konnte, aber eine eben doch. Rudolf, so sagte er, ich möchte von Ihnen die Gewähr, daß Sie zu meinen Lebzeiten - und an diese Floskel erinnere ich mich genau - niemals mehr schreiben werden, es hätte kein anderer Deutscher an der deutschen Spaltung mehr verdient als ich. Ich überlegte einen Moment und kam ohne große Bauchschmerzen zu dem Ergebnis, daß diese Behauptung wohl nicht haltbar sei. So sagte ich ihm, ich sei gesonnen, diesen Satz weder wörtlich noch sinngemäß zu wiederholen. Handschlag, ein Druckvertrag beträchtlichen Volumens war geschlossen."
Kracht, der Springer zu selbständig geworden war, mußte 1970 gehen. Der Topmanager sei wie ein Hund mit der Peitsche vom Hof gejagt worden, beschreibt einer angewidert den Nachmittag, an dem ihn Axel Springer per Hubschrauber nach Sylt fliegen ließ und ihn dort in seinem Teehaus entließ. Anschließend habe der Verleger geweint, und der frühere Bild-Chefredakteur Karl-Heinz Hagen ihn trösten müssen.
Springer war die Sonne, um die alles zu kreisen hatte. Wer ihm zu stark wurde, den wollte er loswerden, da scheute er vor keiner Gemeinheit zurück, auch wenn die ihn später reute. Rufmord war nicht nur sein politisches Geschäft. Selbst sein Dukatenesel Eduard Rhein, der Springer mit der Hör zu reich gemacht hatte, war 1964 verabschiedet worden, als sei er ein Chefredakteur wie jeder andere.
Als die Verlagsmanager Ernst Naumann und Karl Andreas Voß in seinem Büro zu widersprechen wagen, bekommt der Verleger einen hysterischen Anfall, stampft auf den Boden und brüllt: "Er muß weg, er soll gehen, ich will ihn nicht mehr sehen."
Dem feinen kleinen Edu erklärt er dann beim sonntäglichen Treffen salbungsvoll, ganz Hoheit, er wolle das Blatt in andere Hände legen. Rhein, der keine Chance für einen großen Auftritt ausläßt, schwört wutbebend: "Johanna geht, und nimmer kehrt sie wieder."
"Wer zum Teufel ist Johanna?" fragt Springer am nächsten Tag in seinem Vorzimmer.
Der Großverleger hat sich nie für einen verbohrten Reaktionär gehalten, der auf seinem Kreuzzug alles niederwalzt, was anderer Meinung ist. Er schlägt zwar als eine Art Cheftheologe göttlicher Ordnungsprinzipien gnadenlos auf seine Gegner ein, verteufelt alles, was nicht seinem nationalkonservativen, von Hans Zehrer geprägten Weltbild entspricht: Sozialdemokraten, linke Liberale, Dichter, Gewerkschafter, Studenten. Aber er ist ja kein Ideologe, die Idee dahinter ist er doch selbst, Philosoph und Plattmacher in einer Person.
Er entfernt sich dabei von den Realitäten, ein Wort, das ihn krank macht, wie er bekennt. Und so begreift er nicht, daß die restaurativen fünfziger Jahre vorbei sind, in denen es reichte, in die Hände zu spucken, anzupacken und von Staats wegen das gute Leben der Bürger zu organisieren. Er versteht nicht, warum die Nachkriegsgeneration mit den alten Antworten auf ihre neuen Fragen nicht mehr zufrieden ist.
"Wir hatten keine Töchter und Söhne im richtigen Alter, oder falls wir sie hatten, haben wir nicht mit ihnen gesprochen, weil sie im Internat waren oder von irgendwelchen geschiedenen Frauen versorgt wurden", sagt der frühere Bild-Chef und Verleger-Intimus Peter Boenisch selbstkritisch über Springer und dessen engste Mitarbeiter.
Auch Boenisch gehört zur Generation der Sprachlosen, die keine Antworten hatte und mit Schlagzeilen zurückschlug. Die außerparlamentarische Opposition konnte auch darum so große Demonstrationen zustande bringen, weil "sie ein weitverbreitetes Unbehagen zu mobilisieren wußte, das mit dem Namen Axel Springer verbunden ist" (Helmut Schmidt).
Es geht nicht mehr um Hochschulreform und überfüllte Hörsäle und alte Nazi-Professoren, die immer noch unterrichten, und um die lähmenden Auswirkungen der Großen Koalition ohne schlagkräftige Opposition. Es sieht, wie die Londoner Times kühl analysiert, nach "einer allgemeinen Revolte der deutschen Jugend gegen etwas aus, was sie als eine fette, verrottete, schuldbeladene und eingefleischt nach rechts tendierende Gesellschaft betrachtet, deren Symbol und Produkt der wohlhabende Presselord Springer ist".
1966, nach den ersten Demonstrationen in Berlin gegen den Vietnam-Krieg, ein Jahr vor den tödlichen Schüssen auf Benno Ohnesorg und zwei Jahre vor dem Attentat auf Rudi Dutschke, fordert Bild "die gebührende Antwort" für die Demonstranten, die "Wirrköpfe". Und die Springer-Presse gibt sie schon mal in ihren Schlagzeilen: _____" Stoppt den Terror der Jung-Roten jetzt - " _____" Polit-Gammler Dutschke dreht an einem dollen Ding - " _____" Unruhestifter unter Studenten ausmerzen - Jetzt wird " _____" aufgeräumt. "
Da war von der Aufbruchstimmung der fünfziger, der Anfangsjahre nichts mehr übriggeblieben. Es war Springers Instinkt, der aus dem Kleinbetrieb einen Riesenkonzern gemacht hat. Er war der Beste auf dem glitzernden Boulevard der Sensationen, auch in den Gassen, auch in den Gossen.
Seine frühen Weggefährten vergessen seine simplen Regeln nie. Er weiß genau, wie ein Umbruch aussehen, was über dem Knick auf Seite eins stehen muß. "Als der Verlag klein war", erinnert sich Peter Tamm, "klebte Springer wirklich selbst die Seiten, da erklärte er, welche große Bedeutung eine kleine Bildunterschrift hat und wie man sie richtig formulierte. Da kam er in die Redaktionskonferenz des Abendblatts, das immer sein Lieblingskind war, und veranschaulichte mit großen Gesten, wie man eine Zeitung aufbauen muß, damit vor allem die Frauen sie kaufen und lesen wollten."
"Du wirst sehen, Johnnymann", sagt er einmal zu seinem Verlegerfreund John Jahr über seine andere Erfindung, "wenn wir die Bild-Zeitung auf fünf Millionen haben, dann werden wir den Leuten befehlen, auf Händen zu laufen, und sie werden es tun."
Springer ist damals so unpolitisch wie die Deutschen, die er erobern will. Beim Einstellungsgespräch 1948 fragt er Ernst Naumann: "Sind Sie in einer Partei?" Und der antwortet, nein, auch bei den Nazis sei er nicht gewesen. "Das interessiert _(* 1970 beim Golfspielen auf Sylt. )
mich nicht, was Sie unter Hitler gemacht haben. Aber ich will keine Politik in meinen Blättern."
George Clare, Emigrant aus Wien in britischer Uniform, damals Kontrolloffizier, entsinnt sich der ersten Begegnung mit Springer in der Berliner Schlüterstraße, wo sich vor seinem Schreibtisch viele Nazis in ihren Fragebögen zu Widerstandskämpfern umgelogen hatten. Nicht nur an die hellblauen Augen des jungen Mannes aus Hamburg erinnert er sich. Dessen Scherz, er sei eigentlich während der Nazi-Zeit nur von den Frauen verfolgt worden, ist sogleich ein Teil der Springer-Legende.
Springer ist immer hellwach, wenn es ums Geschäft geht, um die Auflage seiner Blätter. Er weiß, daß die CDU in Hamburg keine Chance hat und es auf Dauer für einen Hamburger Zeitungsmacher nicht gut ist, gegen die Regierenden und damit gegen die Mehrheit des Wahlvolks anzukämpfen. Schließlich ist sein Abendblatt unter dem Motto "Seid nett zueinander" groß geworden. Das ist kein Boulevardkampfblatt wie Bild oder wie seine BZ in Berlin. Dort, an der Mauer, muß man kein Feindbild aufbauen, weil man einen realen Feind vor Augen hat.
Der Feind sind die bösen Russen, und vor denen sitzt die Angst bei Springer tief. Er läßt, für den Fall eines Einmarschs, systematisch mögliche Fluchtwege vorbereiten, gibt den Auftrag, _(* Vor einem Gemälde aus seiner ) _(maritimen Sammlung. )
Wohnungen zu mieten und zu kaufen, die an der Grenze liegen, überall in Europa, die erste in Flensburg. Von dort aus ist es nicht weit nach Dänemark. Ein Mitarbeiter, der mal als Springers Double bei einem seiner Scheidungsprozesse die lauernden Reporter von der Konkurrenz verwirrt, hat diese Wohnung unter seinem Namen angemietet.
Es gibt in Norwegen ein Haus, wiederum unter anderem Namen gemietet, das wie eine Art Museum eingerichtet wird, mit wertvollen Möbeln und Bildern, weil es nach gelungener Flucht länger genutzt werden soll und Springer sein gewohntes Ambiente bieten muß. Andere Appartements sollen nur One-Night-Stands sein, da reicht sparsame Möblierung. In England oder in der Schweiz gibt es mehrere Springer-Residenzen, die seinem Standard entsprechen, da kann er anschließend hin, denn so weit werden die wohl nicht kommen, die Kommunisten.
Die Vorbereitungen der Fluchtwege, um die sich der Militärautor Paul Schmidt-Carell, sein Sicherheitsberater, zu kümmern hat, gehen so ins Detail, daß am Nord-Ostsee-Kanal sogar in einem ganz bestimmten Gebüsch ein Schlauchboot zur nächtlichen Überquerung des Wassers versteckt wird, falls die Straßen schon vom Feind kontrolliert sein sollten.
Springer gibt nicht nur die Anordnung, daß alles perfekt vorbereitet werden soll, er will in die Planungen eingeweiht sein. "Wenn der Russe sonntags kommt und ich keinen von euch erreiche, muß ich wissen, wie ich wegkomme und wo der Schlüssel liegt." Das hat eine gewisse Logik, deshalb fährt er alle Routen ab und weiß anschließend wirklich, wo die Schlüssel versteckt sind.
Wer flieht, braucht Geld, und zwar in einer Währung, die weltweit gilt. Von Springers Mann für besondere Aufgaben werden Gemüsekonserven gekauft, der Inhalt entleert, die Büchsen mit Hundert-Dollar-Noten gefüllt und dann verschweißt.
Diese Dosen von besonderem Wert liegen an bestimmten Stellen unter den Dielen der Fluchtwohnungen. Ihr Besitzer schlägt vor, sie besser in die Rückseite der Sofas einzunähen, weil man im Bedarfsfall schneller rankommt und nicht erst die Bodenbretter aufstemmen muß. Auch Goldbarren, die andere internationale Währung, werden gehortet, vor allem in seinen Häusern in der Schweiz.
Der Strohmann hat für 136 000 und 221 000 Mark auch zwei Appartements in List auf Sylt gekauft. Die dienen dem Verleger lange Zeit zu einer kleinen Flucht statt der möglichen großen. Im Haus "Wattenblick" wohnt Friede Riewerts, solange sie noch versteckt wird vor einer neugierigen Öffentlichkeit.
Als er Friede 1967 zum erstenmal nach Sylt mitbringt, wird sie von dem Personal auf seinem Klenderhof noch ferngehalten. Sie wohnt nicht bei ihm im Teehaus und nicht im Gästehaus, wo Ex-Frau Helga gerade mit dem kleinen Raimund Nicolaus Urlaub macht. Die Gärtnerstochter von der Nachbarinsel Föhr, die einst in Gstaad das Kindermädchen des jüngsten Sohnes war, bezieht das unter anderem Namen gekaufte Appartement hinter den Lister Wanderdünen, wohin es dann abends den Besitzer zieht, und dies nicht mit der Bibel im Gewande.
Bei offiziellen Anlässen zeigt er sich in den ersten gemeinsamen Jahren möglichst selten mit ihr, obwohl sie schon bei der feierlichen Eröffnung des Berliner Verlagsgebäudes im Oktober 1966, auf besonderen Wunsch des Verlegers, in der zweiten Reihe so plaziert wird, daß er sie bei seiner Rede direkt anschauen kann.
Er fährt mit seiner neuen Lebensgefährtin nach London, wo sie zuletzt gelebt hat. Sie zeigt ihm eine Stadt, die er nicht kennt, denn er traf sich meist mit alten Männern in noch älteren Klubs. Natürlich fahren sie mit seinem Rolls-Royce vor, denn er weiß, wie man Frauen beeindruckt.
Springer fliegt mit ihr nach Israel, und er reist mit ihr in die Vereinigten Staaten. Er geht mit ihr, eigene Yacht ist selbstverständlich, zum Segeln ins Mittelmeer oder in die Nordsee. "Wir waren auf einer Segeltour in der Ägäis", erzählt sie, "und haben dabei Patmos entdeckt. Es war für Axel Springer Liebe auf den ersten Blick." Ihre Jugend macht ihn wieder jünger. Friede ist sein Gottesgeschenk.
Bei einem Strandspaziergang in den siebziger Jahren blickt Karl-Heinz Hagen einem hübschen Mädchen hinterher. Springer fragt ihn: "Gibt Ihnen das noch etwas?" Und als der meint, er müßte lügen, wenn er so einfach nein sage, lügt der andere um so mehr und antwortet abgeklärt weise: "Mir schon lange nicht mehr, darüber bin ich hinweg, das läßt mich kalt." Solche Geschichten nähren die Fama, daß Friede Riewerts vor allem als Krankenschwester Tag und Nacht bei Springer ist, die nötigen Tabletten immer griffbereit.
Nur mit einer einzigen anderen Frau hat Axel Springer so viel Zeit verbracht, mit seiner Mutter Ottilie. Auch die hat ihn, ähnlich wie Friede, ohne eine Spur von Kritik rückhaltlos bewundert, zu ihm aufgeblickt, ihr Leben dem seinen gewidmet.
Der Springersche Männerbund im Unternehmen hat schwer daran zu kauen, daß ausgerechnet einer Frau Springers ganzes Vertrauen gehört, daß ausgerechnet eine Frau als Nachfolger des Verlegers auserwählt wird. Mit ihr, so denken sie nach seinem Tod, werden sie leicht fertig - die ist doch viel zu einfältig.
Doch sie ist zunächst nach allen Regeln der Kunst auf Gattin gedrillt worden - Weltwirtschaftsinstitut in Kiel, Sprachkurse, Unterricht in Fayencekunst und preußischer Geschichte, Religion - , bevor sich Springer regelmäßig mit ihr in der Öffentlichkeit zeigt. Ihre Unsicherheit, die am Anfang mit norddeutscher Arroganz verwechselt wird, überwindet sie durch Übungen fürs Selbstbewußtsein.
Sie hat gut aufgepaßt, wenn die hohe Kunst des Managements in der Theorie und später im Kreise der Mächtigen auf dem Lehrplan stand. Springer hat sie nicht nur aus Liebe, sondern auch aus Überzeugung schon zu Lebzeiten an die Spitze seines Hauses berufen - in die Testamentsvollstreckung mit dem Anwalt Bernhard Servatius und dem Journalisten Ernst Cramer, einem alten Vertrauten des Verlegers.
Friede geht in Axel Springer auf, was für Außenstehende manchmal peinlich wirkt. So grinst Axel junior, wenn seine fast gleichaltrige Stiefmutter bisweilen von "Herrn Springer" spricht. Als ob sie immer noch nicht begriffen hat, daß sie nicht mehr zum Personal gehört, sondern Personal einstellen oder entlassen kann.
Der Junior mag sie. Er kann sich mit ihr über Themen und Wünsche unterhalten, die den mehr und mehr am Alltag desinteressierten Verleger langweilen. Er bewundert insgeheim die Festigkeit und die sture Entschlossenheit, mit der sie ihren Platz im Klub der deutschnationalen Herrenreiter behauptet - was ihm nie gelang. Aus seinen Eindrücken und Erfahrungen heraus gibt Axel junior ihr ziemlich unziemliche Charakterstudien der Männer am Hof, die sie freundlich belächeln, aber hinter ihrem Rücken Grimassen schneiden.
Die Nachricht, daß man die Leiche seines ältesten Sohnes gefunden hat, erreicht Springer am 3. Januar 1980 gegen halb elf. Er hält sich an der Schreibtischkante fest, bis die Knöchel weiß werden. Dann gibt er, scheinbar gefaßt und Haltung bewahrend, die Anweisung, seine Frau zu suchen.
Friede Springer ist gerade in Hamburg, als sie der Anruf vom Herrenhaus in Schierensee erreicht. Sie will spontan zu Renate Lüdmann, der Lebensgefährtin des Juniors, fahren, um ihr und den Kindern beizustehen, die Weihnachten und Neujahr mit dem Vater verbracht haben. Dein Platz ist an meiner Seite, befiehlt ihr Mann am Telefon. Komm sofort raus, ich brauch'' dich. Und sie kommt.
Er konnte das Leben nicht mehr ertragen, sagt der damalige Springer-Chefredakteur Claus Jacobi über den Junior, doch am Vater, am überlebensgroßen, hat das bestimmt nicht gelegen. Die beiden haben sich am Schluß gut verstanden, und zu Weihnachten hat der Sohn sich noch in einem Brief für alles bedankt, was der Vater für ihn getan hat.
Stimmt nicht, sagt eine enge Vertraute des Junior. Er hat manchmal selbst dann keinen Termin beim Vater bekommen, wenn er ihn ganz dringend darum gebeten hat. Der war zu gut abgeschirmt von seinen Hofschranzen, die mal gehört hatten, wie der alte Springer den jungen einen Versager genannt hatte.
Axel junior kam nie mit seinem Geld aus, auch in seinen besseren Zeiten nicht in den sechziger Jahren in München, als er seine Fotoagentur unter seinem Pseudonym Sven Simon aufgebaut hatte - mit Unterstützung des Vaters übrigens.
Er hatte in einem notariellen Vertrag darauf verzichtet, Nachfolger des Verlegers zu werden, und dieser Verzicht hatte ihm Millionen eingebracht, schon 1968. Das wissen die Manager, das macht sie stark dem Junior gegenüber, als Ende der siebziger Jahre Gerüchte hochkommen, daß er vielleicht doch vom Vater als Nachfolger auserwählt sei. Von diesen Millionen ist nicht mehr viel da, als er sich umbringt.
Wäre "Aggeli", wie er genannt wurde, der Träger eines der anderen großen Namen der deutschen Gesellschaft gewesen, so hätte die größte Zeitung des Vaters am anderen Tag eine Serie über sein Leben begonnen. So blieb es bei der Schlagzeile und einem Bild-Bericht: _____" Mit einem Schuß aus einem Neun-Millimeter-Revolver " _____" hat sich der älteste Sohn des Großverlegers Axel Caesar " _____" Springer, Axel Springer jr., gestern im Hamburger " _____" Alsterpark das Leben genommen. Die Polizei fand die im " _____" Gesicht kaum noch identifizierbare Leiche des 38 Jahre " _____" alten Journalisten am frühen Morgen ausgestreckt auf " _____" einer Parkbank. "
"Wir hätten", wägt Peter Tamms bester Feind Bernhard Servatius, der Vorsitzende der drei Testamentsvollstrecker, jedes Wort ab, "nach dem Tod des Gründers einen Mann wie seinen Sohn gut gebrauchen können. Eine Identifikationsfigur für das Haus und seine Menschen, einen Vollblutjournalisten." Servatius entläßt Tamm später, was nicht nur "Väterchens" früheres Sprachrohr Claus Dieter Nagel für den schlimmsten Fehler des Verlages hält.
Ob der Münchner Filmhändler Leo Kirch, der mittlerweile über gut 35 Prozent der Aktien gebietet und Tamm besiegt hat, die Machtübernahme schafft, ist fraglich. Die amtierende Witwe des Gründers kämpft um die Mehrheit - anders als zuvor Tamm mit seinen Bild-Torpedos - eher mit Raffinesse als mit Hurra.
Axel Springer selbst wollte im Grunde seines Herzens, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen, daß mit seinem Tod sein Reich untergeht. Nach mir die Sintflut.
Nach "Aggelis" Tod, sagt Peter Boenisch, hat Springer sich eigentlich aufgegeben, sich nicht mehr gegen seine Krankheiten gewehrt, sozusagen Selbstmord auf Raten gemacht. Das bestätigen andere, die ihn gut kannten. Er hat seiner Todessehnsucht nachgegeben, ergänzt die alte Freundin Irmgard Bibernell, war doch keine Freude mehr in ihm, keine Leichtigkeit, kein Lachen, meist hat er düster vor sich hin geschwiegen. _(* Am Grab Springer-Sohn Raimund ) _(Nicolaus. )
"Axel hat sich in den letzten zwei, drei Jahren seines Lebens nie mehr richtig wohl gefühlt", bestätigt Friede Springer, und sie ist die einzige, die das beurteilen kann, weil sie immer bei ihm war.
An Fieberschüben, Grippeanfällen, Schweißausbrüchen leidet er in kürzeren Abständen. Die Mittel, die er gegen die Unterfunktion der Schilddrüse nehmen muß, schwächen die Abwehrkräfte des Körpers. Der ständig Fröstelnde neigt zu Depressionen. Eine Muskelschwäche bereitet ihm Mühe zu gehen. Frischzellenkuren in der Schweiz bringen nur kurzfristig Erleichterung.
Trotz ärztlicher Warnungen läßt er sich, aus Klosters kommend, stark erkältet und geschwächt, in Montreux gefriergetrocknete Zellextrakte von Lammembryos spritzen.
Am 4. September 1985 trifft sich in Berlin der neue Aufsichtsrat der Springer AG zu seiner konstituierenden Sitzung. Auch der Vorstandschef von der kämpfenden Truppe aus Hamburg ist da.
Springer spricht ein paar Worte, hält sich zitternd am Stuhl fest, geht dann zu jedem in der Runde. Bei Peter Tamm bleibt er stehen und legt ihm die Hand auf die Schulter, seine Geste der Zuneigung. Dann sagt er leise, aber so, daß alle es verstehen können, diesem Mann habe ich alles zu verdanken. Da steigen dem knochentrockenen Kämpfer Tränen in die Augen, was ihm sonst nur passiert, wenn Zwiebeln in der Nähe sind.
Danach läßt sich Springer nach Hause fahren, nach Schwanenwerder. Die nächsten Wochen verläßt er nur noch selten das Bett. Er ist zu schwach. Springer will nicht in eine Klinik. Friede Springer setzt sich über seine Abwehr hinweg und fährt mit ihm am 21. September 1985 frühmorgens ins Martin-Luther-Krankenhaus, bleibt den ganzen Tag bei ihm. Auf dem Flur stehen die Bodyguards.
Wochenendbesetzung. Ein griechischer Student der Zahnmedizin hält in der Nacht zum Sonntag Wache an seinem Bett.
Am Sonntag abend, 22. September 1985, stirbt Axel Springer im Beisein seiner Frau. *HINWEIS:
ENDE
"Er muß weg, ich will ihn nicht mehr sehen"
"Wir werden den Leuten befehlen, auf den Händen zu laufen"
Den geschwächten Kranken mit Frischzellen behandelt