Nachruf Allianz mit der Krone
Es war Zufall, daß Michael Thomas und ich uns kurz vor seinem Tode noch einmal sahen. Er hatte seiner Frau Elizabeth einen Überraschungsbesuch in Frankreich abgestattet, und ich nutzte die Gelegenheit. Frisch an Leib und Seele, nichts deutete auf ein nahes Ende hin. Im Winter war er noch Ski gelaufen, Anfang des Sommers im Hamburger Klövensteen zu Pferde gesichtet worden.
Beim Abschied umarmten wir uns schüchtern - wir hatten uns nie umarmt -, und er lächelte verschmitzt, Zeigefinger und Daumen fünf Zentimeter auseinanderspreizend: "Der Zollstock wird kürzer." Ahnung, tiefere Bedeutung? Kaum. Es leben nicht viele, die ihn bald fünfzig Jahre gekannt haben.
Wer wissen will, wie es einem Deutschen ergeht, der per Zufall wenige Tage vor Kriegsausbruch in Dover an Land ging, als Internierter recht üblen Lebensbedingungen ausgesetzt war, als Offizier eine Privatallianz mit der britischen Krone einging; mit den Kampftruppen in Westdeutschland einrückte, der muß sich bei Siedler sein Buch "Deutschland, England über alles" besorgen, 1984 erschienen.
Wer kompetent über die ersten Nachkriegsjahre unterrichtet werden will, ebenso. Der Captain Michael Thomas wird ein enger Mitarbeiter von General Templer, faktisch Militärgouverneur der britisch besetzten Zone.
Von seiner konservativen Grundhaltung (Spitzname bei seinen Soldaten: "The Prussian Baron") hatte er nie einen Hehl gemacht, war aber immer aufrichtig bemüht, die gegnerische Position korrekt abzustecken. Seine Schilderungen der polnischen Armee, deren Tapferkeit legendär ist, sind von umwerfender Komik. Weil er Deutsch konnte, wieso dann nicht auch Polnisch? Nie gibt er mit seiner eigenen Rolle an.
Damals war man auf die gehobenen Dolmetscher angewiesen. Mir schien es allerdings so, als sei Thomas beliebter bei seinen deutschen Klienten als bei seinen britischen Vorgesetzten. Das kann nicht nur an Seife und Rasierklingen gelegen haben, die er immer mit sich führte. Es konnte vorkommen, daß ich die Juden verteidigte und er die Deutschen.
Denn er hieß nicht Thomas und war ein, nach Nazi-"Gesetzen", Halbjude. Im Krieg änderte er den Namen, aus Sorge um seine in Berlin lebende Mutter, und behielt ihn dann bei.
Er hieß Ulrich Hollaender, Friedrich Hollaender ("Ich bin von Kopf bis Fuß . . .") war sein Vetter; sein Vater war Felix Hollaender, Direktor bei Max Reinhardt, Regisseur, Kritiker und Romanschreiber. Ein Foto in der Berliner Illustrirten zeigt den späteren Major auf einem Bärenfell.
Durchs Schlüsselloch sah der Heranwachsende Uli die Besucher eines großen Hauses, da fehlte kaum einer. Der Vater, ein völlig assimilierter Berliner Jude, war besonders mit Gerhart Hauptmann befreundet. Michael fühlte sich dem Kreis um Stefan George noch lange nach dem Krieg verbunden, Elitemensch, der er ja auch war.
Hat ihm also der Hitler sein Leben verdorben, wie so vielen anderen? Das ist nicht eindeutig. Ein Mann, der an die hundertmal ins kalte Wasser fällt, bis er den Monoski beherrscht, den kriegt man so leicht nicht kaputt. Seine Familie, halb englisch, halb deutsch, war mit ihm glücklich, und weder in England noch in Deutschland hätte er ein so abwechslungsreiches, hochdotiertes Leben führen können wie als erfolgreicher Export-/Importkaufmann.
Also gar kein Fehler? Doch, er politisierte gern und pedantisch. Ohne Churchill hätte England mit Hitler Frieden gemacht, schrieb er mir vor acht Wochen. Da mußte man dann in die Besenkammer und den Brief herausfischen, in dem stand: "Diese Leute sind so, die hätten nie nachgegeben." Aber er konnte niemals seinen "Jugendtraum der politischen Gestaltung" verwirklichen. Bei seiner Vergangenheit nicht, und das fällt dann denn doch dem Hitler zur Last.