Pop Proißens Gloria
Mark ist jung, fühlt sich stark und hat zum Jammern keine Zeit. Der 20jährige Ost-Berliner arbeitet tagsüber als braver Angestellter, danach widmet er sich in Doc-Martens-Tretern und grüner Bomberjacke seiner eigentlichen Aufgabe: der Verbreitung einer "gesunden, deutschen Einstellung" in seiner Generation.
Zu diesem Zweck erstellt der Skinhead im Selbstverlag die Fan-Zeitschrift Proißens Gloria, ein Druckwerk, in dem er westdeutsche Neo-Nazi-Bands interviewt und porträtiert - Gruppen, die nun in Ostdeutschland das große Publikum finden, dem sie lange vergebens hinterhergelaufen sind.
"Die Musik von denen dröhnt in einer Menge Jugendheimen aus den Kassettenrecordern", sagt Michael Kruse, Jugendexperte der Berliner Kulturgemeinschaft Urania.
Die Rockformationen heißen "Störkraft", "Endstufe", "Kahlkopf", "Tonstörung", "Kraftschlag", "Radikahl", "Noie Werte", "Wotan" und "Endsieg", und so gemein wie diese Namen klingt auch die Musik: Der lyrische Feinsinn des Horst-Wessel-Lieds mischt sich mit dem kompositorischen Ehrgeiz der frühen Punk-Tage - drei Akkorde pro Song müssen reichen, und die Texte predigen nicht mehr "Anarchy In The U. K.", sondern Zucht und Ordnung im deutschen Vaterland und Haß gegen alles Fremde.
So fordert die Gruppe "Endsieg" in ihrem "Kanaken-Song" dazu auf, Türken in Konzentrationslager zu stecken, ihre Kinder zu töten und die Frauen zu vergewaltigen.
Die Band "Störkraft" skizziert auf ihrer LP "Dreckig, kahl & hundsgemein", wie sie sich die Rettung Deutschlands vorstellt: "Eines Tages, da wacht ihr alle auf / rettet die Rasse, die man einst verkauft / ich weiß, in jedem Deutschen, da steckt ein Mann / der das Verderben noch verhindern kann."
Auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften sucht man diese Titel vergebens - der Handel mit ihnen ist erlaubt. Trotzdem findet er nur in kleinen Plattengeschäften unter dem Ladentisch statt. Der Grund: Selbst sympathisierende Verkäufer fürchten Vergeltungsmaßnahmen aus der linken Szene. Vor allem in Berlin müssen sie mit Buttersäure-Anschlägen oder mit Brandsätzen rechnen. Als vor kurzem die Rechtsrocker "Böhse Onkelz" in der Hauptstadt gastierten, gab es vor dem Konzert eine Straßenschlacht.
Aus Angst vor Autonomen und anderen Linken halten sich die Neo-Nazi-Bands und ihre Anhänger im Verborgenen. Die meisten Kassetten und Schallplatten muß man über einen Anrufbeantworter bei einer Brühler Firma bestellen; Konzerte, bei denen bis zu 1500 Fans kommen, werden meist weitab der großen Städte gegeben, in der tiefen Provinz und ohne Werbung oder Vorankündigung. Das rechte Jungvolk tanzt streng konspirativ in den Mai.
"Das läuft nur über die Mundpropaganda Eingeweihter", sagt Jens Molle, Musikredakteur des Jugendsenders DT 64. "Außenstehende wissen immer erst hinterher Bescheid."
Wenn sie in den Festsälen verstaubter Landgasthäuser unter sich sind, wandeln die Neo-Nazi-Bands die Texte ihrer Lieder gern noch ein wenig ab - zur Freude der Fans. Die Band "Kahlkopf" (inzwischen mit langen Haaren und Cowboystiefeln gut getarnt) brüllt dann, so berichten Besucher, zu ihrem Hit "Chaoten" nicht den Refrain "Sperrt sie alle ein!", sondern "Schlagt sie alle tot!"
Ob solche Knüppelverse tatsächlich den ostdeutschen Jugendlichen die rechtsradikalen Hirngespinste in die Köpfe trommeln oder ob die Nazi-Bands ihre Fans nur unter ohnehin schon überzeugten Rechten finden, ist umstritten. Fest steht, daß die faschistischen Lieder neben Alkohol zu den wirksamsten Drogen zählen, mit denen sich Jung-Nazis aufputschen, bevor sie Ausländer jagen oder Asylantenheime überfallen.
Vor dem Brandanschlag auf das Heim im niederrheinischen Hünxe im vorigen Jahr stimmten sich drei Attentäter mit der Skinhead-Hymne "Ich bin Bomberpilot, ich bringe euch den Tod" ein. Und für die Leipziger Krawalle, bei denen der 18jährige Mike Polley den Tod fand, dopten sich die Rädelsführer mit Hetzliedern gegen Türken.
Haß gegen alles Fremde ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich alle rechten Skins und Neo-Nazis einigen können - dabei liegen die musikalischen Wurzeln der Skinhead-Bewegung in der ursprünglich schwarzen, jamaikanischen Ska-Musik. Die dazugehörige Mode wurde 1969 in England erfunden - als proletarischer Gegenentwurf zur Hippie-Kultur.
Damals tanzten die Glatzköpfe noch in gemischtrassigen Klubs und Discos, erst in den Siebzigern und frühen Achtzigern wurde die Szene allmählich vom Nationalismus infiziert. Rechtsradikale politische Parteien hatten mit den Skinheads trotzdem ihre Schwierigkeiten. Die "Glatzen" galten als unberechenbar und schwer organisierbar.
Oft diente die kämpferische Verkleidung, das Herzeigen von schweren Stiefeln, Tätowierungen und Hakenkreuzen vor allem der Provokation - ein Spiel mit verbotenen Zeichen, die an Tabus rührten und das Außenseiter-Dasein der größtenteils unterprivilegierten Jugendlichen widerspiegelten: Die Skins fühlten sich stigmatisiert und verweigerten jede Anpassung.
Damit ist es seit Mitte der achtziger Jahre vorbei. Die Skinhead-Musik wurde in Deutschland längst von einem einstmals kosmopolitischen Stil zur nationalistischen Marschmusik reduziert, und die Fans sind bei Parteien wie der "Deutschen Alternative" als Ordner und Mitglieder willkommen. "Das sind keine Aso-Zecken", meint deren Bundesvorsitzender Frank Hübner. "Die halten auf Sauberkeit, Pünktlichkeit und Ordnung."
Hans-Joachim Maaz, Chefarzt einer Psychotherapeutischen Klinik in Halle, glaubt, daß der Wegfall der DDR-Unterdrückung, die Verunsicherung der Eltern, die Auflösung althergebrachter Werte und die gegenwärtige soziale Krise die Jugendlichen in einen labilen seelischen Zustand treiben, welcher durch die neue, rechte Skinhead-Hierarchie stabilisiert wird.
SPD-Vize Wolfgang Thierse macht vor allem die "sozialistische Apartheidpolitik" und den "staatlich verordneten Internationalismus" für die Radikalisierung ostdeutscher Jugendlicher verantwortlich.
Skinhead Mark dagegen sieht die Sache ganz einfach: "Hier bei uns gibt es keinen Kebab-Stand an der Ecke und keine Türken als Nachbarn, da kann man schon mit einer Glatze auf die Straße gehen, ohne gleich eine aufs Maul zu kriegen."