Politisches Buch Machiavelli im Sauerland
Die Weimarer Republik hatte als parlamentarische Demokratie unter den gegebenen Umständen kaum die Chance, sich zu einem stabilen System zu entwickeln. Man vergißt oft, daß der ihr nachfolgende Führer-Staat Adolf Hitlers ein noch kürzeres Leben hatte.
Im Schnittpunkt dieser beiden Epochen steht der Staatsrechtler Carl Schmitt, dem niemand einen weiten Interessenhorizont abspricht, der aber von den einen als eitler Opportunist verschrien, von den anderen als brillanter Denker gerühmt wird, "ein Athlet im Gespräch", so der Publizist Günter Maschke. Über ihn, dem sogar der kritische Franzose Raymond Aron bescheinigt, er verdiene, ein Philosoph genannt zu werden, hat nun der Münchner Emeritus Paul Noack, Jahrgang 1925, eine interessante und lesenswerte, wenn auch kursorische Biographie geschrieben*.
Schmitt, der 1985 mit 96 Jahren starb, ist ein Wegbereiter der Diktatur gewesen, zweifellos, wie auch Ernst Jünger. Aber wir glauben zu wissen, daß alle geistig hochstehenden Wegbereiter zusammen nicht ausgereicht hätten, Hitler den Weg zu ebnen oder zu versperren.
So diente sich der Staatsrechtler Carl Schmitt ursprünglich nicht der Hitler-Bewegung an, sondern dem Hintergrund-General Kurt von Schleicher, dem Reichswehrminister und letzten Notverordnungs-Reichskanzler der Republik, der hart und forsch am Rande des Staatsstreichs operierte.
Erst als Schleicher Ende Januar 1933 fiel, wurde der damals 44jährige Professor "Kronjurist" dieser neuen Bewegung; er blieb es auch, als sein Förderer Schleicher (samt Ehefrau) 1934 im Zuge des großen Röhm-Aufwasches gleich mit erschossen wurde und sein Vorgänger, der von Göring unter Hausarrest gestellte Vizekanzler Franz von Papen, nur auf Intervention Hindenburgs wieder freikam.
Schmitt schrieb damals und später Sätze, die tatsächlich ausreichten, einen Verfassungs- und Kronjuristen für immer in sein Heimatstädtchen Plettenberg im Sauerland zu exilieren. "Der Führer schützt das Recht" war der Artikel überschrieben, in dem es hieß: _____" Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten " _____" Mißbrauch, wenn er im Augenblick " _(* Paul Noack: "Carl Schmitt. Eine ) _(Biographie". Propyläen Verlag, Berlin; ) _(360 Seiten; 58 Mark. ) der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft . . . Der wahre Führer ist immer auch Richter. Aus dem Führertum fließt das Richtertum . . . In Wahrheit war die Tat des Führers echte Gerichtsbarkeit. Sie untersteht nicht der Justiz, sondern war selbst echte Gerichtsbarkeit . . . Das Richtertum des Führers entspringt derselben Rechtsquelle, der alles Recht jeden Volkes entspringt . . . Alles Recht stammt aus dem Lebensrecht des Volkes.
Er sei immer noch stolz auf diesen Artikel, behauptete Schmitt bis in die siebziger Jahre, er habe Hitler zum Eingreifen gegen von ihm nicht ermächtigte Aktionen bewegen wollen (wie auch Martin Heidegger den Führer führen wollte). Das liest sich dann so: _____" Außerhalb oder innerhalb des zeitlichen Bereiches der " _____" drei Tage fallende, mit der Führerhandlung in keinem " _____" Zusammenhang stehende, vom Führer nicht ermächtigte " _____" "Sonderaktionen" sind um so schlimmeres Unrecht, je höher " _____" und reiner das Recht des Führers ist. "
Klartext: Man hätte Frau Schleicher nicht mit erschießen sollen. Dummheit scheidet hier aus, aber Feigheit auch? Und Ehrgeiz? Oder grenzenlose Naivität? Johannes Popitz, preußischer Finanzminister und späterer Widerständler, ein Freund der Schmitts bis zu seiner Hinrichtung, hat gegenüber Schmitt kein, man muß wohl sagen, "Sterbens"-Wörtchen über den Widerstand verlauten lassen. Er hielt Schmitt schlicht für unpolitisch.
Am 20. Juli 1932, noch mitten in der Weltwirtschaftskrise, zerbrach die immer prekäre Machtbalance, die Deutschland sich verordnet hatte. Reichskanzler Franz von Papen setzte die Regierung des Landes Preußen ab, weil diese Sicherheit und Ordnung nicht mehr gewährleisten könne. Tatsächlich hatte die langjährige Koalition aus SPD, der katholischen Zentrumspartei und der Deutschen Demokratischen Partei in Wahlen ihre Mehrheit eingebüßt. Es gab aber auch keine andere arbeitsfähige parlamentarische Regierung, so blieb die bisherige als "geschäftsführend" im Amt.
Schmitt, der den Dualismus Preußen/ Reich stets beklagt hatte, vertrat mit brillanten und gewagten Thesen das Reich vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig. Carl Schmitt rechtfertigt den "Preußenschlag" gegen die Regierung Braun/Severing, der so offensichtlich verfassungswidrig war und der ganz offenkundig bezweckte, die letzte Bastion der "Novemberverbrecher" zu schleifen.
Schmitt: "Es ist das Außerordentliche der Diktatur, daß Umfang und Inhalt dessen, wozu der Diktator befähigt ist, im weitesten Maße durch sein Ermessen bestimmt ist." Er fordert den gesunden, den starken Staat: "Er (der Staat) kann Freund und Feind unterscheiden" - so, als säßen die Feinde des preußischen Staates in der Regierung und nicht außerhalb. Es ist wahr, daß bürgerkriegsähnliche Zustände zunahmen. Aber die Bürgerkriegsparteien NSDAP und KPD saßen außerhalb der preußischen Regierung.
Ganz wohl kann Schmitt dabei nicht gewesen sein. Er wirkte nicht entschieden, sondern schwankend. Für die am 31. Juli 1932 anstehenden Wahlen gab er in der Berliner Täglichen Rundschau, dem Blatte Schleichers, die Parole aus, wer nicht Nationalsozialist sei, der handele töricht, wenn er Hitlers Partei wähle. 51 Prozent für die NSDAP seien eine "politische Prämie" mit unabsehbaren Folgen.
Vor dem Staatsgerichtshof konnte er nur noch einen Feind des Staates ausmachen, die KPD. Mit ihr die Millionen Wähler gleichzusetzen, die für die NS-Bewegung gestimmt hatten, sei beleidigend, man müsse objektiv und gerecht sein. Als ob die Kommunisten, zugegeben eine von außen gelenkte Partei, nicht auch Millionen Wähler hinter sich gehabt hätten!
Als Hitler dann wirklich kommt, schreibt Schmitt in sein Tagebuch: "Der alte Herr ist verrückt geworden." Der "alte Herr", das war der "Hüter der Verfassung" von ehedem, der Reichspräsident Paul von Hindenburg.
Schmitt kommt ins Grübeln. "Ich habe Hitler nicht ermächtigt", sagt er nach dem Krieg, wohl in Anspielung auf Theodor Heuss. Er nennt das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 "für einen Juristen verfassungsgeschichtlich ungeheuerlich". Hier sei "der echte Rubicon" überschritten worden. Aber es scheint so, als habe er diesen Rubikon nötig gehabt, um damals auch selbst mitschreiten zu können, Hitler setzte ja "positives Recht".
Schmitt wird durch Johannes Popitz an der Ausarbeitung des "Reichsstatthaltergesetzes" und an sonstigen Gleichschaltungsmaßnahmen beteiligt. Göring erlebt er "schwungvoll", so steht es im Notizbuch. Der weiß ja, was er für sich will. Papen ist freundlich, hat aber nicht das geringste zu sagen. Frau Popitz sieht in Hitler einen Christus, ein Genie. Auch Schmitt sieht Hitler auf einem Empfang. Notat: "Wie der Stier in der Arena."
Carl Schmitt tritt am 1. Mai 1933 in die Partei ein. Von nun an bis zum Ende des Jahres 1936 dient er ihr nicht als Staatsrechtler, sondern als charakterloser NS-Funktionär, als Opportunist, als Karrieremacher. Noch in Köln Professor - er wird bald nach Berlin berufen -, verweigert er im April 1933 als einziges Fakultätsmitglied die Unterschrift einer Eingabe gegen die Vertreibung des jüdischen Staats- und Völkerrechtlers Hans Kelsen, "objektiv und gerecht", wie er mittlerweile ist.
Der "gemäßigte" Göring macht ihn zum "Preußischen Staatsrat" (wie auch Gründgens und Furtwängler); der "gemäßigte" Hans Frank, später Statthalter im polnischen Generalgouvernement, erhebt ihn zum "Reichsgruppenwalter" der "Reichsgruppe Hochschullehrer" im "NS-Rechtswahrerbund".
Schmitt organisiert 1936 eine Tagung unter dem Thema: "Der Kampf der deutschen Rechtswissenschaft wider den jüdischen Geist". Er überbot alle Kollegen mit dem dort beschlossenen Antrag, eine gründliche Säuberung der juristischen Bibliotheken von jüdischen Autoren zu erreichen und über diese ein generelles Zitierverbot zu verlangen.
Dies lag nun freilich auf einer schon früher und auch später verfolgten Linie des großen Verbiegers und Sektierers Schmitt. Er schrieb 1938, der Staatsphilosoph Thomas Hobbes (1588 bis 1679) habe seinen eigenen Mythos vom "Leviathan" nicht richtig verstanden, so daß "jüdisches Denken" sich seiner habe bemächtigen können.
Raphael Gross vermerkt dazu im Merkur: _____" Die gesamte Anlage von Schmitts Leviathan-Buch " _____" suggeriert dem Leser, den Generalnenner für die " _____" zerstörerische Kraft "jüdischen Denkens" bis in die " _____" Gegenwart hinein gefunden zu haben. Als "jüdische" " _____" Interpretation der Weltgeschichte beschreibt Schmitt den " _____" ständigen Kampf heidnischer Völker. Symbolisiert wird " _____" diese durch das mythische Ringen " _(* Auf dem See von Rambouillet. ) des Leviathan, das sind die Seemächte, mit dem Behemoth, den Landmächten. Die Juden - so sagt Schmitt - stehen bei diesem Kampf daneben und sehen zu, wie die Völker der Erde sich gegenseitig schlachten. Da dieser Kampf für die Juden "gesetzmäßig" und "koscher" sei, "essen sie das Fleisch der getöteten Völker und leben davon".
Einen Riecher hatte Schmitt. Peter Glotz nennt ihn in der Zeitung Die Woche einen ebenso bedeutenden wie ruchlosen "Gehirnakrobaten".
Schmitts Gegner in der SS und im Amt Rosenberg, gefüttert von beruflichen Neidern, an denen er karrieregeil vorbeigezogen war, befürchteten ernstlich, er würde Staatssekretär im Reichsjustizministerium unter dem recht bequemen Relikt Franz Gürtner.
Die SS, ohnehin nicht an originellen Geistern interessiert, schlug daher zu, kurz und schmerzlos. Zwei Artikel im Schwarzen Korps, die Schmitts Privatsphäre nicht aussparten, genügten. Schmitt verlor alle seine Ämter, behielt aber seinen Lehrstuhl in Berlin und blieb, da Göring ihn in seiner Sammelwut prominenter Namen schützte, preußischer Staatsrat. Der "Dreckskerl" Schmitt und das Genie Schmitt konnten sich wieder trennen, oder vielmehr, sie wurden wie siamesische Zwillinge gewaltsam getrennt.
Aber Schmitts Sensorium reichte immer noch aus, seinem Führer vorauszueilen. Seine Schrift "Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte" erschien 1939. Adenauers Spezial-Jurist Wilhelm Grewe hält sie heute noch für Schmitts "wirkungsvollste Parole". Als ob Hitler die Augen für seinen Ostraum-Wahn durch Carl Schmitt hätten geöffnet werden müssen! Als ob Japan nicht längst in seinen Großraum-Krieg auf asiatischem Boden verstrickt gewesen wäre!
Da war es denn doch angezeigt, den kriegsentscheidenden USA per Schmitt-Dekret ein Interventionsverbot zuzustellen, da sie ja für Europa und für Asien und eigentlich auch überhaupt eine "raumfremde Macht" waren!
Welch Glück, daß 1941 eine vierte Auflage dieser Schrift erschien, damit Schmitt wieder an seine "Der Führer schützt das Recht"-These anknüpfen konnte: "Die Tat des Führers" - der "Blitzkrieg" gegen die Sowjetunion - "hat dem Gedanken unseres Reiches politische Wirklichkeit, geschichtliche Wahrheit und große völkerrechtliche Zukunft verliehen." Schade, daß dieser Bereitet-den-Weg-des-Herrn-Prophet seinem Messias nie die Hand drücken konnte.
In einer seltsamen Verkennung seiner Existenz vergleicht er sein selbstgewähltes Exil im Sauerland mit dem Geschick des Machiavelli, der aus seiner Stadt Florenz verbannt wurde, ja, er nennt Plettenberg des öfteren sein San Casciano.
Aber der Florentiner war nicht wegen seiner Reden und Handlungen gefoltert und verabschiedet worden, sondern weil die Medici zurückgekehrt waren und eine Verschwörung vermuteten. Er gehörte schlicht der vorigen, der "falschen" Regierung an. Im ständigen Unruhestand schrieb er seine Werke.
Carl Schmitt hingegen bekommt nach langem Warten seine Ruhestandsbezüge, aber natürlich erhielt er seinen Lehrstuhl nicht zurück, was er nie verstehen wird. Auch seine Förderer und Widersacher, soweit sie nicht gehenkt wurden, sahen ihre Wirkungskreise nie wieder.
Nur in ihrem brennenden Ehrgeiz, wieder reaktiviert zu werden, sind der Florentiner und Carl Schmitt Brüder über die Jahrhunderte.
Daß er 1949 nicht in die neugegründete Vereinigung der Staatsrechtslehrer aufgenommen worden war, hat ihn erbittert und ihn in der selbststilisierten Sündenbock-Rolle bestärkt. "Arme Schächer" nannte er die Nazi-Auftraggeber von ehedem, Hitler eingeschlossen. Aber wo Schächer sind, da ist auch ein Gekreuzigter, den Schächern "unendlich überlegen". Katholisch wird er begraben.
Man hat ihm seine Bibliothek genommen (und spät erst zurückgegeben), gut, das ist schmerzlich für einen Lehrer seines Ranges. Aber wer einer Großraum-Ordnung das Wort redet, muß Verluste mit Gleichmut hinnehmen. Obwohl im Ausland der meistzitierte deutsche Staatsrechtslehrer, muß er sich Ruhm und Nachruhm durch das Arkanum seiner Persönlichkeit selbst zuschreiben. Er wird kein Klassiker.
Viele kleinere Geister pilgerten nach Plettenberg. Auch ich war, 30 Jahre alt, bei ihm zum Mittagessen. Zwischen 1.30 und 2.00 Uhr, so wurde einem bedeutet, würde der Professor am Tisch für eine halbe Stunde einnicken. Da solle man sich nicht drum scheren, sondern sich einfach weiter unterhalten.
Er schickte mir das Vorwort zu einem Buch der Autorin Lilian Winstanley, "Hamlet - Sohn der Maria Stuart". Auf die Seemächte war er immer noch nicht gut zu sprechen. Wie ich aus Paul Noacks Buch erfahre, habe ich ihn nach der SPIEGEL-Affäre um seine Einschätzung gebeten, ob wir mit einer Verfassungsbeschwerde beim BVG Erfolg hätten. Mag sein, liegt wohl bei mir im Keller.
Aber warum diese Schmitt-Renaissance gerade jetzt? Das läßt sich durch diese Biographie nur zum Teil erklären. Mir scheint, in Zeiten großer Umbrüche suchen die Menschen verschüttete Eingänge zu einer großen und erlösenden Erkenntnis. November 1947, so ziemlich am Ende seiner bedeutenden Schriften, hat er das Diktum von sich gegeben: "Das Miserable an Machiavelli ist die Halbheit, die darin besteht, die Macht zum Gegenstand des Geredes zu machen . . . Die Macht ist und bleibt Geheimnis."
Hier würde wohl der Ostafrika-General Paul von Lettow-Vorbeck, der ja damals noch lebte, gekichert und nachgefragt haben: "Sir, meinen Sie Seemacht oder Landmacht?" Y
Sein Sensorium reichte aus, seinem Führer vorauszueilen
Auf die Seemächte war er nicht gut zu sprechen