Wie Kicker sich in Form bringen Pasta? Kokain!

Wie oft hat man diesen dummen Satz schon gehört? "Doping im Fußball bringt nichts." Franz Beckenbauer hat ihn gesagt, Fußballweltmeister wie Guido Buchwald auch, der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger, Trainer und Manager wie Ewald Lienen, Robin Dutt und Jürgen Klopp.
Mehmet Scholl hat noch eine Begründung für den Satz hinterhergeliefert: Fußball sei zu komplex. "Nehmen wir mal an, du nimmst was zum Muskelaufbau, darunter leidet dann die Koordination. Nimmst du was für die Kondition, wirst du langsamer. Im Fußball macht es nicht wirklich Sinn." Glaubt der Mehmet.
Aber warum dopen dann so viele Fußballspieler?
Allein im Jahr 2015 gab es weltweit 149 Dopingfälle. Nun liegen Details zu jedem einzelnen der positiven Befunde vor. Sie finden sich in einem Dokument, das dem SPIEGEL von der Hackergruppe Fancy Bears zugespielt wurde. Es handelt sich um eine Excel-Tabelle, sie ist 20 DIN-A4-Seiten lang. Ein Mitarbeiter der Wada, der Welt-Anti-Doping-Agentur, hat sie erstellt. Fein säuberlich sind die "Adverse Analytical Findings" aufgeführt - jene Tests also, bei denen in Proben von Spielern Substanzen festgestellt wurden, die auf der Dopingliste stehen.
Die Dopingfahnder ertappten Spieler in Brasilien, in England, in Spanien, in Italien, in Frankreich. Aber auch in Ländern, die zu den Fußballzwergen zählen, wie Thailand, Estland und Malta.

Auf dem Weg zur Dopingkontrolle
Foto: Imago SportAuch ein deutscher Fall taucht in der Liste auf, es geht um einen Dopingtest, den ein Spieler am 3. Mai 2015 abgegeben hat. Mitarbeiter des Instituts für Biochemie an der Sporthochschule in Köln untersuchten seinen Urin, die Probe ist gekennzeichnet mit "GER-FOOT", ihr Nummerncode lautet: "DFB6145466".
Die gefundene Substanz: Prednisolon. Ein Entzündungshemmer, der kurzfristig die Leistung steigern kann und deswegen am Wettkampftag verboten ist.
In der Wada-Tabelle stehen keine Namen von Spielern oder ihren Vereinen. Welcher Fußballer hinter den Zahlenreihen steckt, wissen nur die jeweils zuständigen Verbände. Und deren Funktionäre sind damit beschäftigt, das Problem mit Doping kleinzureden.
Dabei gab es immer wieder Skandale. 2004 kam der Teamarzt von Juventus Turin vor Gericht. Er soll Spielern über Jahre hinweg Epo gespritzt haben. Im vergangenen Jahr flog Frankreichs Nationalspieler Mamadou Sakho vom FC Liverpool mit Norcoclaurin auf, einem Mittel, das die Schlagkraft des Herzens steigert.
Dennoch verbreitet die Branche immer wieder, sie arbeite nur mit Pasta und isotonischen Getränken. Keine schwulen Spieler, keine Doper - das sind die zwei großen Lügen des Profifußballs.
Man kann davon ausgehen, dass viele Spieler, die in der Wada-Tabelle aufgeführt sind, Berufsfußballer sind. In den meisten Ländern werden vorwiegend Sportler aus Profiligen getestet. Zudem sind in der Liste die Auftraggeber der Kontrollen angegeben. Darunter sind der südamerikanische und der asiatische Verband und die Weltfußballorganisation Fifa - was bedeutet, dass viele gedopte Spieler bei Tests nach internationalen Partien erwischt wurden.
Am 4. September 2015 zum Beispiel ging im Labor in Köln die Urinprobe eines Fußballers ein, der am Vortag nach einer Uefa-Partie getestet worden war. Das Ergebnis der Analytiker: "Adverse Analytical Finding". Positiv auf Amphetamin.
Tags zuvor hatte die Uefa neun Qualifikationsspiele für die EM 2016 veranstaltet. Es spielten: Niederlande gegen Island, Belgien gegen Bosnien-Herzegowina, Italien gegen Malta. Die Uefa teilt nicht mit, ob die Probe bei einem dieser Spiele genommen wurde. Nur so viel: Der betroffene Fußballer leide an ADHS und habe eine Ausnahmegenehmigung für ein Stimulanzmittel vorgelegt. Deswegen: keine Sperre.
Mit was dopen Fußballer? Antwort: Mit allem, was der Pharmamarkt hergibt.
In der Wada-Liste sind Aufputschmittel wie Amphetamine aufgeführt, Medikamente zur Asthmabehandlung, Antiöstrogene und Peptidhormone. Manche Spieler wurden mit Mitteln erwischt, die Dopingsubstanzen verschleiern sollen. Andere flogen mit Kokain oder Cannabis auf.
Der moderne Fußball sei "extrem dynamisch", sagt der Dopingexperte und Biochemiker Mario Thevis von der Sporthochschule in Köln. "Die Spieler brauchen unter anderem Ausdauer, Kraftausdauer und die Fähigkeit, sich schnell erholen zu können. Alle diese Faktoren können auch im Fußball mit unlauteren Mitteln beeinflusst werden."
Stimulanzien steigern die Aggressivität und Einsatzbereitschaft der Sportler, sie werden von Fußballern direkt vor einem Spiel genommen. Steroide machen Muskeln dicker und kräftiger und helfen verletzten Profis, schnell wieder in den Wettkampfmodus zu kommen.
In der Welt des Spitzensports kamen zuletzt Medikamente in Mode, die wie Steroide wirken, aber für Dopingkontrolleure schwerer nachweisbar sind. Sie nennen sich SARM und gelten als die neue Generation des Dopings. Selbst diese Kraftmacher sind inzwischen im Fußball angekommen. In Guatemala wurden vier Spieler im Dezember 2015 mit SARM erwischt.
Laut der Fifa werden jedes Jahr rund 30.000 Dopingkontrollen im Fußball durchgeführt. Kein anderer Sport werde so gut überwacht. 2015 seien gerade mal 0,24 Prozent der Proben positiv gewesen, in 78 Fällen seien bei Fußballspielern verbotene Mittel festgestellt worden.
78? Die Wada kommt auf 149, also auf fast doppelt so viele Fälle. Wer hat sich verzählt? Die Dopingermittler der Wada wohl eher nicht. Es scheint vielmehr so, dass positiv getestete Fußballer nicht zwangsläufig gesperrt werden.
Laut der Wada-Tabelle gab es 2015 fünf Spieler, die in Uefa-Wettbewerben mit Dopingsubstanzen erwischt wurden. Bei einem Profi fanden die Analytiker Dexamethason, ein Cortisonpräparat, das im Wettkampf verboten ist, weil es die Aufmerksamkeit steigert und die Erholung beschleunigt. Konsequenzen hatte der Fund aber nicht.
Die Uefa teilt auf Anfrage mit, dass den Fußballspieler "keine Schuld" treffe, die Substanz in seinem Körper sei auf eine Spritze zurückzuführen, die er "früher in der Saison erhalten" habe. Fall erledigt.
Eine ganze Serie von positiv getesteten Spielern gab es 2015 in Mexiko. Insgesamt 33 Fälle. Bei allen Fußballern wurde Clenbuterol nachgewiesen, ein Mittel, das vor allem unter Bodybuildern beliebt ist, weil es beim Muskelaufbau hilft.
Was ist los in Mexiko?
Der dortige Fußballverband lässt alle Fragen dazu unbeantwortet. Allerdings gab es 2011 einen ähnlichen Vorfall, damals wurden fünf mexikanische Fußballer positiv auf Clenbuterol getestet. Der Verband sperrte keinen von ihnen und erklärte, dass Clenbuterol in Mexiko in der Kälbermast eingesetzt werde. Die Fußballspieler hätten wohl Fleisch gegessen, das mit dem Stoff verunreinigt gewesen sei, die Sportler treffe keine Schuld.
Was Doping ist und was nicht, dazu hat offenbar auch der englische Fußball eine eigenwillige Betrachtung. 2015 wurden auf der Insel neun Spieler positiv getestet. Zwei hatten das Asthmamittel Salbutamol genommen, einer Amphetamin, einer Ecstasy, bei einem ist das Dopingmittel unbekannt, vier Spieler hatten gekokst.
Laut dem englischen Fußballverband FA wurden 2015 drei Fußballspieler wegen Dopings verwarnt, Sperren gab es keine. Zu den anderen sechs Fällen aus der Wada-Liste äußert sich die FA nicht.
Fest steht: In Englands Fußball gelten Koks und Haschisch als "Social Drugs", als Gesellschaftsdrogen. Wenn sich die Profis damit nicht gerade am Spieltag erwischen lassen, haben sie nicht zwingend etwas zu befürchten. So wurde einer der Spieler, die 2015 positiv auf Kokain getestet wurden, nicht bestraft. Er soll die Droge nach einem Todesfall in der Familie konsumiert haben, die FA sah darin offenbar mildernde Umstände.
Die Spitzenfußballer der englischen Premier League sind hohen Belastungen ausgesetzt. Sie spielen für ihren Verein in der nationalen Liga, in zwei Pokalwettbewerben, in der Champions League, dazu kommen Einsätze in ihren Nationalmannschaften. Auch die Topstars der Bundesliga kommen auf 60 bis 70 Partien pro Saison.
Im Vergleich zu Leichtathleten oder Schwimmern müssen sich Fußballprofis überdies in fast jedem Training gegen ihre Teamkameraden behaupten, um am Wochenende aufgestellt zu werden. Geht das alles überhaupt ohne Hilfsmittel?
In der Bundesliga gab es in den letzten Jahren keinen Dopingfall. Allerdings wird auch noch nicht so lange intensiv getestet. Bis vor zwei Jahren wurden die Spieler nach den Partien noch vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) kontrolliert. Erst seit dem Saisonstart 2015 werden sämtliche Tests nach den Spielen und im Training von der Nationalen Anti-Doping-Agentur, der Nada, durchgeführt.
Generell ist es nicht ganz einfach, als Bundesligaprofi zu dopen. Der Sport steht unter Dauerbeobachtung durch Fans und Medien. In den Teams gibt es eine hohe Personalfluktuation. Spitzensportler in Deutschland müssen jederzeit für einen möglichen Test zur Verfügung stehen und der Nada jeden Ortswechsel, jedes Trainingslager, jeden Kinobesuch melden.
Die Fahnder der Nada versuchen, Fußballer so oft wie möglich auch abseits des Stadions oder des Vereinsgeländes zu testen. Im Herbst 2014 wollten die Kontrolleure Thiago Alcántara für einen unangemeldeten Dopingtest besuchen. Der Spanier vom FC Bayern war damals verletzt. Sein Klub gab an, dass er sich in einer Klinik in Barcelona befinde. Die Kontrolleure trafen den Profi jedoch nicht an, sie zogen unverrichteter Dinge wieder ab.
Ein Bundesligaprofi sagt dem SPIEGEL, dass er einmal bereits 48 Stunden im Voraus gewusst habe, dass ein Dopingkontrolleur bei ihm auftauchen werde. Die Nada will den Fall "mangels Detailkenntnis" nicht kommentieren.
Man kann an manchen Indizien erkennen, ob es eine Sportart mit dem Kampf gegen Doping wenigstens ernst meint - oder eher nicht. Blutproben zum Beispiel sind unerlässlich, da manche Mittel wie Wachstumshormone und einige Epo-Derivate nur im Blut nachgewiesen werden können.
Die Wada empfiehlt allen Verbänden, in zehn Prozent der Tests das Blut der Athleten untersuchen zu lassen. Der DFB macht das inzwischen. Damit ist der Verband allerdings die Ausnahme, selbst die Fifa kam 2015 innerhalb ihrer Wettbewerbe auf gerade mal 3,8 Prozent Bluttests. Auch alle positiven Befunde in der Wada-Tabelle sind auf Urinproben zurückzuführen, die Liste erzählt also wohl nicht die ganze Wahrheit über das Leistungstuning im Fußball.
Auch der deutsche Dopingfall in der Wada-Liste endete ohne Konsequenzen. Nach einer mündlichen Verhandlung sei das Verfahren gegen den Spieler von Rot-Weiß Oberhausen eingestellt worden, teilt der DFB mit. Die juristische Überprüfung habe ergeben, dass "keine verbotene Behandlungsmethode vorlag".