Wie Justus Frantz seinen Gönner verprellte Der Maestro und sein Milliardär - vorbei

Dirigent Frantz, Musiker der Philharmonie der Nationen
Foto: Olaf Malzahn / Presse Foto NordBei Justus Frantz geht es immer um etwas ganz Großes. Um Völkerverständigung. Weltfrieden. Im Wesentlichen aber geht es um Frantz selbst. So auch vorigen Samstag, als der Maestro in der Hamburger Laeiszhalle ein sogenanntes Friedenskonzert dirigierte, als Dank für die Langmut der Bürger beim soeben durchlittenen G20-Gipfel.
Gespielt wurde "Carmina Burana" sowie, als Welturaufführung, eine chinesische Komposition über den Mount Everest, die auch gut als Disney-Filmmusik einsetzbar wäre. Frantz, 73, trug einen mit rotem Satin gefütterten Frack und erklärte salbungsvoll: Alles, was die Hamburger in den vergangenen Tagen auf sich genommen hätten, sollten sie nun vergessen.
Frantz dankte Hamburg - und machte seiner Heimatstadt sich selbst zum Geschenk. Nicht dass ihn jemand darum gebeten hätte, im Gegenteil. Im offiziellen Gipfelprogramm war für ihn keine Verwendung, sosehr er sich seit Jahresbeginn bemüht hatte; auch ein Schreiben an die Kanzlerin hatte da nicht geholfen. Überzeugt von der eigenen Unverzichtbarkeit, stellte Frantz das Konzert im Eilverfahren selbst auf die Beine. Hastig engagierte er den Tölzer Knabenchor und einen Chor aus Litauen, setzte auf den letzten Drücker Proben an, sagte Termine zu und ab und trieb Mitarbeiter an den Rand des Wahnsinns. Sein Umfeld bezweifelte bis zuletzt, dass das Konzert stattfinden würde. Die Karten waren sicherheitshalber kostenlos.
Justus Frantz war mal eine große Nummer. Nicht in den Feuilletons, aber im deutschen Unterhaltungsgeschäft. Die Pose war immer wichtiger als musikalische Brillanz. Er machte Klassik populär, als Gründer und Leiter des Schleswig-Holstein Musik Festivals oder in seiner eigenen ZDF-Sendung. Mit Altkanzler Helmut Schmidt spielte er im Fernsehen Klavier. Im Ausland trat Frantz gern als Deutschlands Musikbotschafter auf.
Was er offenbar noch nie konnte: mit Geld umgehen. Mehrmals stand Frantz das Wasser bis zum Hals, doch er fand immer wieder einen, der ihm half. Meist war es Schrauben-König Reinhold Würth, 82, aus dem schwäbischen Künzelsau, der Geld nachschoss, wenn Frantz' Künstlerträume mal wieder mit dem Budget kollidierten. Doch nun hat Frantz seinen größten Gönner verprellt.

Mäzen Würth 2015
Foto: Axel Griesch / Finanzen-Verlag / LAIFWürth hatte früh einen Narren an dem rührigen Musikus gefressen. Als Frantz noch ein junger unbekannter Pianist war, chauffierte Würth ihn zu Auftritten in der schwäbischen Provinz. Seit 1995 förderte der Unternehmer die von Frantz gegründete Philharmonie der Nationen. In dem Orchester spielten Palästinenser neben Israelis, Serben neben Kroaten. Es wurde Frantz' Lebenswerk.
Jährlich gab Würth dafür eine Million. Waren Löcher zu stopfen, auch mehr. Nun hat er den Geldhahn zugedreht. Doppelt bitter für Frantz: Würth hat ein eigenes Orchester gegründet - und dafür einen Teil von Frantz' Musikern abgeworben. Während dessen einstiges Prestigeprojekt nur noch auf dem Papier existiert, haben die Würth-Philharmoniker am kommenden Freitag ihren ersten Auftritt, dirigiert von Kent Nagano.
Würth hat Frantz fallen lassen, nach fünf Jahrzehnten Männerfreundschaft. Er hatte genug von Missmanagement, Kapriolen und Ausflüchten.
Wer den Schrauben-Würth trifft, merkt schnell: Er ist das Gegenteil von Frantz, pünktlich, strukturiert, bisweilen pedantisch. Er trägt in seiner eigenen Firma vorschriftsgemäß ein Namensschild, weil er den Angestellten Vorbild sein will. Obwohl mehrfacher Milliardär, achtet er darauf, dass seine Mitarbeiter das Licht nicht unnötig brennen lassen. "Ich kämpfe an allen Fronten für Bescheidenheit und Demut", sagt Würth.
Das hält ihn nicht davon ab, eine der größten Jachten Deutschlands zu besitzen. Von dort kommt er gerade, den Urlaub hat er vorzeitig abgebrochen, seine "liebe Frau" habe darauf gedrängt, denn es stehe viel an. In der kommenden Woche wird das nach ihr benannte Carmen-Würth-Forum eröffnet, pünktlich zu ihrem 80. Geburtstag.
Der 60-Millionen-Euro-Bau wird auch Spielstätte der Würth-Philharmoniker sein. Das eigene Orchester ist für den schwerreichen Senior "ein Mosaikstein, der noch gefehlt hat". Einen Chor und eine Big Band hat er nämlich schon - sowie eine der größten privaten Kunstsammlungen Deutschlands.
Doch sosehr er die Künste liebt, am Ende entscheidet Würth immer als Geschäftsmann. Und Justus Frantz war schon lange kein lohnendes Investment mehr.
Würth will nichts Negatives über seinen Freund sagen. Nur so viel: "Der Justus ist ein begnadeter Musiker. Aber er ist nun mal kein Finanzgenie."
In Briefen an Frantz wurde Würth da schon deutlicher. Im Februar 2015 etwa verweigerte er seinem Freund die Unterstützung für ein deutsch-israelisches Festival: Die Würth-Gruppe habe schon "für die Philharmonie der Nationen unter Schmerzen weitere beachtliche Mittel freigegeben, jetzt geht es einfach nicht mehr, beim besten Willen".
Im Juli 2016, als Frantz mal wieder einen Geschäftsführer des Orchesters entlassen wollte, meldete Würth sich per Brief von seiner Jacht. Er kritisierte die "geradezu Jahrzehnte andauernde Instabilität" bei den Philharmonikern und spöttelte: "Es scheint also wieder so weit: Das Karussell der Orchestermanager dreht sich weiter."

Carmen-Würth-Forum: "Ein Mosaikstein, der noch gefehlt hat"
Foto: Marijan Murat/ dpaWer mit Justus Frantz zusammenarbeiten will, muss darauf gefasst sein, dass der heute dies will, morgen jenes und übermorgen wieder das Gegenteil. An Ideen mangelt es Frantz nicht, jedoch am Gespür für deren Machbarkeit. Langfristige Planung ist bei ihm, der Gäste auch mal im Morgenmantel empfängt, nicht vorgesehen.
Hinzu kommt: Die Zeiten sind vorbei, als allein sein Name auf Plakaten die Massen herbeiströmen ließ. Jüngere Zuschauer fehlen ganz. Der selbst nicht mehr so jugendliche Frantz ist deshalb der Meinung, das Orchester müsse "jünger und attraktiver werden - auch optisch", so trug er es voriges Jahr in einer Gesellschafterversammlung vor. All das soll dazu geführt haben, dass Tourneen geplant und so kurzfristig wieder abgeblasen wurden, dass hohe Stornokosten für Hallen und Hotels anfielen.
In diesem Chaos konnte sich ein Mann wie Catalin Desaga entfalten. Er war erster Geiger und Konzertmeister der Philharmonie der Nationen. Lange genoss er ein Höchstmaß an Freiheit und Vertrauen. Gagen für die Musiker wurden an ihn überwiesen, er zahlte sie nach den Auftritten in bar aus. Selbst über Frantz' Kreditkarte hat er angeblich verfügt.
Desaga soll das ausgenutzt haben. Von eigenmächtigen Tankfüllungen und Hotelbuchungen war in Frantz' Umfeld die Rede. Bei Musikern, denen er ein Engagement vermittelte, soll Desaga schon mal die Hand aufgehalten haben. Externe Prüfer konnten die Vorwürfe offenbar nicht erhärten. Er selbst will sich dazu im Detail nicht äußern, seine finanzielle Situation sei "eine private Angelegenheit". Sogenannte Kick-back-Zahlungen habe es bei der Philharmonie der Nationen nicht gegeben.
Im Bewusstsein, dass der entscheidende Mann nicht Frantz war, sondern Würth, suchte Desaga die Nähe des langjährigen Sponsors. Er schickte SMS-Nachrichten zum Geburtstag, meldete sich zu Weihnachten. So erfuhr er früh, dass Würth sich als Frantz' Finanzier zurückziehen und ein eigenes Orchester gründen wollte.
Mehrmals beklagte Desaga sich im Namen der Musiker bei Würth über den unberechenbaren Frantz. Im Frühjahr 2016 schließlich ging wieder ein Beschwerdebrief bei Würth ein. Der Inhalt soll diesen so erbost haben, dass er endgültig die Lust am Sponsoring verlor. Frantz bekam Wind davon. Bei der nächsten Gesellschafterversammlung der Philharmonie war dies das Top-Thema.
Elf der Musiker haben nun in Würths Orchester eine neue Heimat gefunden. Würth sagt, bei den Philharmonikern habe es "enorme Fliehkräfte" gegeben, weg von Frantz. Auch Desaga ist jetzt bei ihm unter Vertrag, wieder als Konzertmeister. Vor wenigen Wochen ist er nach Künzelsau gezogen.
Desagas Fahnenflucht verlief auch deshalb so reibungslos, weil auf der Würth-Seite ein alter Vertrauter die Strippen zog: Harald Unkelbach leitet die Würth-Stiftung, in der das kulturelle Engagement des Unternehmens gebündelt ist. Er hat das neue Orchester mit aufgebaut. Zugleich ist er Mitgesellschafter der Philharmonie der Nationen, für die er jedoch keine Zukunft mehr sieht. Jetzt drängt er auf eine schnelle Abwicklung.
Justus Frantz will über all das nicht reden. Schriftliche Fragen lässt er unbeantwortet, Interviewtermine muss seine Sekretärin kurzfristig absagen. Per Brief teilt er mit, er sei "mit neuen Aufgaben überfüllt" und freue sich, "sie so weit wie möglich perfekt zu machen". Er brauche "Konzentration und einen total geordneten Tagesablauf".
Ob es ihn trifft, dass Würth sich von ihm abgewendet hat, ist nicht zu erfahren. Würth beteuert, er und Frantz seien immer noch befreundet. "Ich würde nie zulassen, dass der Justus hungern muss."
Frantz hat 2016 ein neues Orchester gegründet: das World Peace Philharmonia of the Nations. Inspiriert hätten ihn dazu zwei inzwischen verstorbene Wegbegleiter, die Musiklegenden Leonard Bernstein und Yehudi Menuhin. Dieselbe Entstehungsgeschichte verbreitete er allerdings schon vor 22 Jahren bei der Gründung der Philharmonie der Nationen.
Auch neue finanzkräftige Freunde scheint er gefunden zu haben. Sein Friedenskonzert in Hamburg wurde ermöglicht von einem Spielzeughersteller aus China. Dort ist sein Ruf noch tadellos.