Gerichtsreportage "Der Typ im Sexfilm, das bin ich"

Rapperin Schwesta Ewa soll mehrere Frauen zur Prostitution gezwungen haben und steht deshalb vor dem Frankfurter Landgericht. Eine Gelegenheit, die sich Fans nicht entgehen lassen.
Musikerin Schwesta Ewa bei Konzert in Frankfurt am Main 2015

Musikerin Schwesta Ewa bei Konzert in Frankfurt am Main 2015

Foto: dpa Picture-Alliance / Boris Roessler/ picture alliance / dpa

Donnerstag vor einer Woche, Landgericht Frankfurt. Um Punkt neun, die Sitzung ist noch nicht eröffnet, betritt eine Männergruppe den Gerichtssaal und setzt sich auf die letzten freien Sitzplätze in der linken Ecke, alle schwarz gekleidet, alle mit versteinerter Miene.

Die anderen Zuschauer, fast ausschließlich Mädchen und Jungs zwischen 15 und Mitte zwanzig, werden unruhig, sie drehen sich unauffällig nach den Männern um und tuscheln. Eigentlich sind sie wegen der Rapperin Schwesta Ewa hier. Die soll vier zum Teil minderjährige Frauen zur Prostitution gezwungen haben und ist angeklagt wegen des Verdachts auf Zuhälterei, Menschenhandel, Körperverletzung und Steuerhinterziehung. Der Prozess ist die einmalige Gelegenheit, die Künstlerin aus nächster Nähe zu sehen.

Dass jetzt auch noch ihre gesamte Crew auftaucht, ist für die Fans besser als jedes Meet and Greet.

Bei den Männern in schwarz handelt es sich um SSIO und Xatar - Rapper mit Nummer-eins-Alben und vielen Hunderttausend Facebook-Fans. Auch der Sänger Shamsedin ist gekommen, obwohl er selbst erst seit einigen Wochen raus aus dem Gefängnis ist, er raubte 2009 gemeinsam mit Xatar und anderen bei Ludwigsburg einen Goldtransporter aus. Gemeinsam flüchteten sie in den Irak und wurden später in Deutschland zu Freiheitsstrafen verurteilt. Xatar hat darüber ein Buch geschrieben, das ein Bestseller wurde.

Rapper SSIO

Rapper SSIO

Foto: Michi Reimers / picture alliance / Jazzarchiv

Dass Schwesta Ewa, die in Wirklichkeit Ewa Malanda heißt, vor Gericht steht, ist tragisch, wirkte es doch von außen so, als habe sie, die früher selbst jahrelang als Prostituierte gearbeitet hat, mit dem Rotlichtmilieu abgeschlossen.

Zwar rappt die 32-Jährige vornehmlich über Drogen und Bordelle, fiese Freier und brutale Zuhälter, doch die meisten Leute dachten, sie singe da von ihrer Vergangenheit, nicht der Gegenwart, und feierten Schwesta Ewa für ihre Authentizität, oder um es in der Sprache der Szene zu sagen: ihre Street Credibility.

Dann wurde sie am 16. November in Arnsberg verhaftet.

Nach sieben Monaten in Untersuchungshaft sieht Malanda anders aus als in ihren Musikvideos, in denen sie sich gern mit möglichst viel Schminke und möglichst wenig Stoff auf der Haut zeigt. Zum Prozessauftakt erscheint sie ungeschminkt im rosafarbenen Polohemd, ins Solarium konnte sie offenbar seit Monaten nicht gehen. Eine Freundin wird später sagen, dass ihr bei Malandas Anblick die Tränen kamen.

In den kommenden Verhandlungstagen soll geklärt werden, ob Malanda eine ausbeuterische Zuhälterin ist - oder ob ein paar Prostituierte sich einfach auf einen ziemlich schlechten Deal eingelassen haben. Denn dass sich die vier Frauen über Monate prostituiert und die Hälfte ihrer Einnahmen an Malanda abgegeben haben, bestreitet niemand. Ebenso wenig wie die Gegenleistungen, die Malanda dafür erbrachte.

Sie vereinbarte Termine beim Friseur, bei der Maniküre und zum Lippenaufspritzen. Sie fuhr mit den Frauen in andere Städte - mal nach München, Stuttgart oder Ingolstadt, mal nach Düsseldorf - und buchte die Hotelzimmer, in denen die Freier empfangen wurden. Dann schaltete sie für jede ein Dutzend Fake-Profile auf einer einschlägigen Website, auf der sich angeblich Hobbyhuren ein Taschengeld dazuverdienen. Die jungen Frauen gaben sich mal als Brasilianerin aus, mal als polnische Studentin. Damit sie mit den falschen Identitäten nicht durcheinanderkamen, gab es sogenannte Nuttenhandys, pro Onlineprofil ein Handy mit entsprechender Kennzeichnung auf der Rückseite. Die Erlöse aus diesem Geschäft gab Malanda beim Finanzamt nicht an.

Die Staatsanwaltschaft glaubt, Malanda habe die Frauen, allesamt Bewunderinnen der Künstlerin, emotional von sich abhängig gemacht und ihnen Geld für Klamotten und Luxusartikel vorgestreckt, das die Mädchen abarbeiten mussten. Die Verteidigung bestreitet das. Malanda habe sich um die Logistik gekümmert und dafür ihren Anteil kassiert, alles legal und ohne Zwang.

Die Verhandlung läuft noch keine 90 Minuten, die Nebenklagevertreterin hat zwei Anträge gestellt und die Staatsanwältin die Anklage verlesen, da wird es schon wieder unruhig im Raum. Die Angeklagte soll jetzt aussagen, eigentlich das Spannendste in einem Gerichtsprozess. Da stehen rund 20 Zuschauer gleichzeitig auf - Klappsitze schnappen mit lautem Knall zusammen - und verlassen wortlos den Raum. Es ist die Riege der Gangsta-Rapper, außerdem mehrere Unbekannte, entweder vom Typ Rapper oder Typ zwielichtiger Gebrauchtwagenhändler; ein paar Frauen, zum Teil mit aufgespritzten Lippen, und ein Mann im "Straight Outta Frankfurt"-Pullover, der sich später als Exfreund des Models Gina-Lisa Lohfink vorstellen wird: "Der Typ in ihrem ersten Sexfilm, das bin ich."

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Eine der Frauen ist Malandas Cousine, auf ihrer Handyhülle steht #4EWA. Sie ist für den Prozess mit dem Nachtbus quer durch Deutschland gereist. Wieso sind sie alle rausgegangen? "Ewa wollte es so", sagt sie. Und warum wollte Ewa das? Die Frau zuckt die Achseln und schaut zur Seite.

Auch sonst will niemand über Malanda reden. Xatar schüttelt den Kopf und sagt kein Wort. Nach einiger Zeit verschwinden er, SSIO und Shamsedin. Eine sehr blonde Frau aus der Gruppe will frühstücken und danach ihren Sohn aus der Kita abholen.

Ein paar Leute beschließen, spazieren zu gehen, darunter eine enge Freundin Malandas, die schon mit ihr auf Konzerttour, auf Ibiza und auf Gran Canaria war. Sie soll hier Miri heißen. Auch dabei ist ein Rapper, sein Name tut nichts zur Sache, der mit seinen drei Kumpels, die immer in seiner Nähe sind, die vorige Nacht in einer Shisha-Bar in Düsseldorf durchgemacht hat. Für den Prozess hat er sich extra einen schwarzen Anzug angezogen.

Woher er Malanda kennt? "Unter Rappern kennt man sich halt", sagt er und fragt dann: "Was krieg ich dafür, wenn ich was sage? Ein Blowjob, dann erzähl ich, was du willst." Miri pflichtet ihm bei: "Ja genau, trau dich. Ich mach vor, du machst nach." Dann lacht sie laut.

Zu sechst spazieren sie durch die Innenstadt und fragen den Luftballonkünstler, ob er aus einem Luftballon einen Penis formen kann, sie überlegen, ob sie sich für zehn Euro in zehn Minuten zeichnen lassen sollten, einer lässt sich sein Profil von einem Scherenschnittkünstler ausschneiden. Alle paar Minuten nähern sich Jugendliche und bitten den Rapper um ein gemeinsames Selfie. Der grinst jedes Mal, dann macht er für das Foto einen coolen Gesichtsausdruck, manchmal hebt er die Hand zum Peace-Zeichen. Routine.

Ewa Malanda beim Prozessauftakt im Gerichtssaal des Landgerichts in Frankfurt am Main

Ewa Malanda beim Prozessauftakt im Gerichtssaal des Landgerichts in Frankfurt am Main

Foto: Arne Dedert/ dpa

Im Gerichtssaal kann man hören, wie es klingt, wenn Malanda richtig wütend ist: "Dir ist alles scheißegal, du verfickte Dreckshure", schreit sie eine junge Prostituierte an, die eins ihrer Dutzend Handys zu Hause liegen gelassen hat. Ein Handy, auf dem in dieser Sekunde womöglich ein Freier anruft, weil er einen Termin will - verlorenes Geld. "Seit 30 Stunden fickst du meinen Kopf, Hartz-IV-Drogen-Nutte, elende, Alter." Das Mädchen weint, sagt etwas Unverständliches, Angst klingt aus seiner Stimme. So geht es eine Zeit lang weiter mit den Beschimpfungen, dann sagt Malanda: "Ich hab dir mit der flachen Hand auf den Kopf gehauen. Ich hab dir nicht mal in die Fresse gehauen. Warum heulst du nicht, weil du dumm bist?"

Das Gespräch hat die Polizei aufgezeichnet. Eine Frau hatte Malanda angezeigt, weil ihre minderjährige Tochter nach Frankfurt abgehauen war, um sich mithilfe von Malanda zu prostituieren. Das Mädchen wurde gefunden und zurück zu seiner Mutter gebracht. Nachdem eine der Prostituierten Anzeige gegen Malanda wegen Körperverletzung erstattet hatte, beschloss die Polizei, Malandas Auto zu verwanzen und ihre Telefonate abzuhören.

Während die Aufnahmen von ihren Ausrastern vorgespielt werden, dreht Malanda den Kopf vom Richter weg, die Augen verdeckt sie mit ihrer linken Hand. Jedes Mal, wenn sie sich selbst auf Band schreien hört, sinkt sie ein Stück tiefer in sich zusammen. Manchmal schüttelt sie den Kopf.

Gegen Mittag stehen Miri, der Rapper und seine Gefolgschaft wieder vor dem Gerichtssaal. Sie sind ratlos, reingehen oder warten? Da kommen zwei Jungs raus, höchstens 15 Jahre alt. Jemand fragt, ob Ewa immer noch aussagt. "Die erzählt ihre ganze Biografie: Kindheit, Kiel, dies, das." Für einen Moment stockt die Unterhaltung, dann schaut einer der beiden den Rapper an: "Kann ich ein Selfie haben?"

Miri sitzt genervt und breitbeinig auf einem Stuhl neben der Tür, durch die Risse in ihrer Hose erkennt man die Tattoos auf ihren Beinen. Als sich drei junge Frauen nähern, blafft sie: "Warum guckt ihr euch das an? Ewa hat darum gebeten, dass ihr draußen bleibt." Die drei sind ganz verdattert, so redet sonst niemand mit ihnen. Die Sitzung sei doch öffentlich, stammelt eine. Verunsichert drängen sie in den Gerichtssaal, ein Begleiter des Rappers zischt: "Gaffer!" Miri ist empört: "Nur damit die hinterher erzählen können, sie waren bei Ewas Prozess."

Miri ist sich sicher, dass ihre Freundin Ewa bald freikommt. Diese angeblichen Opfer hätten darum gebettelt, Ewas Organisationsstrukturen zu nutzen, um sich zu prostituieren. 50/50 sei keine Ausbeutung, "so läuft das halt". Die Schläge, die Malanda währenddessen drinnen einräumt, erwähnt sie nicht. Für sie spielt das Urteil keine Rolle: "Selbst wenn Ewa wegen Mord angeklagt wäre, würde sie weiter zu uns gehören."

In den darauffolgenden Verhandlungstagen werden tatsächlich drei der mutmaßlichen Opfer Ewa Malandas übereinstimmend aussagen, sich freiwillig für Malanda prostituiert zu haben. Mit ihrer Hilfe hätten sie besser verdient. Eine Zeugin wird ihre Aussage abbrechen. Ein Steuerfahnder wird zu Protokoll geben, dass Malanda die hinterzogenen Steuern bereits zurückgezahlt habe. Malandas Verteidiger wird daraufhin Haftaussetzung beantragen, die das Gericht mit der Begründung zurückweisen wird, es stünden ja immerhin noch die Körperverletzungsdelikte im Raum. Außerdem falle das Urteil wohl schon in der kommenden Woche, eine Woche U-Haft mehr sei durchaus "verhältnismäßig".

Das alles weiß Xatar noch nicht, als er am Donnerstag ein Foto von sich, SSIO, Shamsedin und einem weiteren Mann auf Facebook postet. Darauf stehen die vier mit ernsten Gesichtern vor einem Gebäude gleich neben dem Landgericht, auf der Hauswand hinter ihnen ist in mannshohen Lettern zu lesen: "Niemand muss Bulle sein." Unter dem Foto steht: "Ach Justizia."

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