Feministin trifft Gendergegnerin trifft Erotikmodel trifft Macho-Politiker trifft Kopftuchträgerin Lass uns über Sex reden

Micaela Schäfer mit Wolfgang Kubicki
Foto: Peter Rigaud / DER SPIEGELVor fast hundert Jahren war Sex auf der Bühne ein Skandal. Der Dramatiker Arthur Schnitzler hatte ein Stück geschrieben, es ging um Sehnsüchte, Macht und Verlangen, um enttäuschte Liebe, um all das, was zwischen Männern und Frauen wichtig und missverständlich sein kann. Es waren zehn Szenen, in denen Männer und Frauen miteinander sprechen und Sex haben, ein Reigen quer durch alle Gesellschaftsschichten, die Dirne traf auf den Soldaten, der Soldat auf das Stubenmädchen, das Stubenmädchen auf den jungen Herrn. Im Vordergrund stand Sex, nicht Liebe oder Ehe, das war das Neue, Skandalöse. Die Aufregung über das Stück war so groß, dass Schnitzler schließlich selbst ein Aufführungsverbot verhängte. Es galt bis 1982.
Heute würde dieser Reigen keinen Skandal mehr auslösen, die Moral hat sich geändert. Aber wie zur Zeit des Reigens passiert wieder viel im Verhältnis der Geschlechter, etwas verschiebt sich, die gegenseitigen Ansprüche verändern sich, das Machtverhältnis zwischen Frauen und Männern und die Moral: die Idee davon, was verwerflich ist und was angemessen. Der Raum zwischen den Geschlechtern wird neu vermessen.
Zeit für einen neuen Reigen. Der SPIEGEL führte neun Frauen und Männer zusammen. Es gab neun Gespräche über Sex und Sexismus, Gleichberechtigung und Penetration, über Frauseinwollen und Mannseindürfen. Manche Paare stritten, andere flirteten und wieder andere waren sich ziemlich einig, alle setzten sich mit den Fragen der aktuellen Debatte auseinander: Wo verläuft die Grenze zwischen Flirt, Anmache und Sexismus? Wie viel Gleichberechtigung wurde erreicht oder: wie wenig? Was wollen Frauen, und was macht das mit den Männern?
Die Gespräche sind aufgebaut wie der Reigen von Schnitzler: Zwei Personen sprechen miteinander, eine der beiden geht dann in die nächste Szene und trifft dort auf die nächste Person. Das Besondere: Die Teilnehmer mussten sich auf eine Überraschung einlassen, niemand wusste vorher, mit wem er sprechen würde.
Der Reigen lässt eine Feministin auf eine Antifeministin treffen, ein Erotikmodel auf einen Politiker, der sich selbst als Macho bezeichnet, und eine Rapperin auf einen Coach, der anderen Männern hilft, sich in der neuen Welt zurechtzufinden. Nur eines ist anders als bei Schnitzler: Über Sex wurde nur geredet.
Thomas Meinecke trifft Teresa Bücker
"Die Macht zerbröselt den Männern unterm Arsch"

Thomas Meinecke, 62, ist Feminist, Schriftsteller, DJ, Musiker, er hat sieben Romane veröffentlicht und beschäftigt sich literarisch mit dem Thema Geschlechter. Meinecke ist verheiratet und hat eine Tochter.
Teresa Bücker, 34, ist Feministin, Netzaktivistin, Bloggerin und Chefredakteurin des Onlinemagazins "Edition F". Bücker hat eine Tochter.
Sie sind sich noch nie begegnet, geben sich schüchtern die Hand.
Meinecke: Sie kommen mir bekannt vor. Wer sind Sie noch mal?
SPIEGEL: Das ist Teresa Bücker, Chefredakteurin von "Edition F" und Feministin.
Meinecke: Ah. Toll.
SPIEGEL: Sie bezeichnen sich auch als Feministen. Was bedeutet das für Sie?
Meinecke: Vieles. Zum Beispiel fühle ich mich wohler unter Frauen. Mannsein bedeutet oftmals, Aggressionen auszuüben. Ich habe mich noch nie im Leben geprügelt. Ich habe einfach einen Widerwillen gegen das Kräftemessen, ich mag Männer nicht, die so platzhirschmäßig auftreten ...
Bücker: (nickt)
Meinecke: ... es sind meist Männer, die in unserer Welt Probleme schaffen. Bis heute. Deshalb sollte es auch nicht um Männer gehen, sondern um Frauen.
Bücker: In der #MeToo-Debatte gibt es nur wenige Männer, die sich einbringen. Männliche Feministen suchen wir händeringend.
Meinecke: Ich habe mich in der #MeToo-Debatte als Mann zurückgehalten, weil ich es schlimm finde, wenn Männer sich sofort einmischen müssen und immer gleich sagen: Ja, super. Finde ich auch. Als Mann gehöre ich ja zum Verursachergeschlecht dieser Problemlage, bin also Verursachergeschlechtsteilinhaber.
Bücker: (hört zu)
Meinecke: Die ganz miesen Typen gründen Männergruppen und sagen: Wir wollen auch mehr öffentlich weinen dürfen. Damit betreiben sie eine feindliche Übernahme des Feminismus und killen das Anliegen der Frauen. Wenn man die Männer da reinholt, übernehmen sie den Laden.
Bücker: Ich finde, die Männer in Deutschland verhalten sich ein wenig wie Angela Merkel: Sie sitzen #MeToo aus. Aus meiner Sicht ist das Gesprächsverweigerung. Es ist feige.
Meinecke: Was sollen die Männer denn sagen?
Bücker: Ich kann doch nicht für die Männer sprechen ...
Meinecke: Aber was wollen Sie?
Bücker: Ich sehe keine Notwendigkeit, mich an Männern abzuarbeiten. Ich würde aber gerne wissen, warum Männer es so toll finden, nur mit Männern zusammenzuarbeiten.
Meinecke: Das ist mir auch ein Rätsel, dieser ganze homosoziale Wahnsinn. Im Grunde geht es darum, Frauen von der Macht auszuschließen, sie nicht ranzulassen. Die #MeToo-Diskussion ist für die Männer eine Bedrohung. Die Macht zerbröselt ihnen unterm Arsch, um es mal vorsichtig zu sagen. Deshalb halten sie sich raus.
Bücker: Ich kann immer besser verstehen, warum Feministinnen früherer Generationen in Frauenkommunen leben wollten. Ich arbeite in einem Team mit fast nur Frauen, und es ist toll, weil so viel Bullshit nicht mehr existiert. Aber Geschlechtertrennung ist ja offensichtlich nicht die Lösung.
Meinecke: Das hängt auch mit der Andersartigkeit des weiblichen Begehrens zusammen.
Bücker: Ja, Frauen haben ein anderes Begehren. Sie wollen sich männlichen Normen nicht anpassen, und sie sollen es auch nicht. Frauen werden sich immer mehr verweigern. Sie werden sich weigern, Kinder zu bekommen, in einer Familie zu leben, in Konzerne oder die Politik reinzugehen.
Meinecke: Gleichberechtigung heißt nicht, dass Frauen all das machen müssen, was Männer tun. Es ist auch eine Errungenschaft, wenn sie aus der Position von Marginalisierten heraus sagen: Ich will aber gar nicht in den Krieg ziehen.
Bücker: (nickt)
Meinecke: Es wäre toll, wenn es einfach gar kein Geschlecht als solches gäbe. Eigentlich sind all die Geschlechtsunterschiede, von denen wir reden, ja sprachliche Verabredungen. Sogar die primären Geschlechtsorgane. All die Ungerechtigkeiten sind Auswirkungen von sprachlichen Schieflagen oder Regelungen.
SPIEGEL: Was wäre für Sie aus feministischer Sicht die ideale Gesellschaft?
Bücker: Da müsste ich erst mal nachdenken ...
Meinecke: Dann antworte ich mal, ich habe mich damit in den letzten Jahren viel beschäftigt. Ein Gedankenexperiment: Nehmen wir an, die Penetration der Frau durch den Mann würde aufhören.
SPIEGEL: Klingt ambitioniert.
Meinecke: Ach ja? Gibt es nur Fucker und Fuckee? Dadurch liegt ganz viel im Argen, damit lassen sich Machtverhältnisse und Kriege erklären. Gewalt geht von Männern aus. Mein Traum ist eine gewaltlose Sexualität, die nicht mehr hierarchisch wäre, sondern zärtlich.
SPIEGEL: Herr Meinecke, ist Ihnen aufgefallen, dass Sie das Gespräch ein bisschen dominiert haben?
Meinecke: Wirklich? Das wäre mir sehr unangenehm.
Teresa Bücker trifft Birgit Kelle
"Nun müssen wir schon wieder über Sexismus reden"

Birgit Kelle (r.), 43, ist Journalistin und Autorin der Bücher "Dann mach doch die Bluse zu: Ein Aufschrei gegen den Gleichheitswahn", "GenderGaga. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will" und "Muttertier: Eine Ansage". Kelle lebt in Düsseldorf, ist verheiratet und hat vier Kinder.
Bücker wollte eigentlich nicht zusammen mit Kelle auftreten. Kelle hingegen hatte beim Vorgespräch gesagt: "Hoffentlich wird's die kleine Rothaarige." Sie begrüßen sich kühl.
SPIEGEL: Frau Kelle, verschlechtert oder verbessert sich das Zusammenleben von Frauen und Männern gerade?
Kelle: Es werden neue Gräben ausgehoben. Nehmen wir die Sexismusdebatte, #MeToo. Ich habe in meinem Umfeld viele, die sagen: "Es nervt." Ich selbst empfinde diese Debatte als völlig hysterisch und aggressiv. Wir sind doch im Geschlechterdiskurs schon deutlich weiter.
Bücker: Was Sie da sagen, basiert auf Gefühlen, nicht auf Fakten.
Kelle: Die ganze #MeToo-Debatte ist doch eine Ansammlung von Gef...
Bücker: Nein, nein, nein! Das Gute an Geschlechterthemen ist, dass sie gut erforscht sind. Wir haben Zahlen, was sexualisierte Gewalt betrifft, sie hat reale Konsequenzen. Frauen verlassen wegen sexueller Belästigung ihren Beruf, wechseln in Branchen, die schlechter bezahlt werden. Es beeinträchtigt ihr Leben, ihr Fortkommen. Natürlich ist jeder Diskurs anstrengend ...
Kelle: Mir geht es nicht um anstrengend, mir geht es um die Aggression.
Bücker: Sie haben doch eine Genervtheit beschrieben, nach dem Motto: Nun müssen wir schon wieder über Sexismus reden.
Kelle: Entschuldigung, seit drei Jahren wird ein Hashtag nach dem anderen durchs Dorf gejagt.
Bücker: Weil wir nicht vorankommen.
Kelle: Möglicherweise liegt das an der Methode?
Bücker: Nein. Die Debatten werden nicht bis zum Ende ausgefochten. Wir haben eklatante Lücken in der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in Deutschland in Bezug auf Einkommen, wir haben massive Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Wir haben ein Problem, über das wir reden müssen.
Kelle: Nur geht die Differenzierung flöten. Da melden sich Frauen, denen gesagt wurde, dass sie "schön" sind, und die das einen "Schock" nennen. Sie drängen sich als Opfer in den Vordergrund.
Bücker: Die wenigsten Frauen sind daran interessiert, über einen Opferstatus Aufmerksamkeit zu bekommen.
SPIEGEL: Stellen Sie sich vor, Sie würden bei "Anne Will" als "schöne Publizistin" angekündigt. Und sonst würde nichts über Sie gesagt.
Kelle: Ja?
SPIEGEL: Würde Sie das nicht stören?
Kelle: Dass mir jemand sagt, dass ich gut aussehe? Nein.
Bücker: Wenn Sie angekündigt würden als "Frau Kelle, unser schönster Gast in der Runde"? Das wäre okay?
Kelle: Dann würde ich mich selbst vorstellen. Das ist doch möglich.
Bücker: Sie würden sich also nicht auf Ihr Äußeres reduzieren lassen?
Kelle: Die Frage ist doch, sind wir Frau genug, in so einer Situation zu reagieren? Ich war vier Jahre lang Kellnerin, natürlich habe ich Sexismus erlebt. Ich habe aber auch erlebt, dass meine Kollegen und Chefs unsere größten Beschützer waren.
Bücker: Es wäre doch schön, wenn Mädchen und Frauen nicht immer wieder die gleichen Erfahrungen machen müssten. Als ich anfing zu studieren, war ich auch gegen die Quote. Weil mir in der Schule signalisiert worden war: Dir steht die Welt offen, ihr Mädchen habt eh die besseren Noten. Mit Eintritt in die Berufswelt merkt man dann rasch, dass es Diskriminierung gibt und dass nicht alles so einfach ist.
Kelle: Mein Hauptproblem mit dem Feminismus ist, dass er mir zu eng ist. Der Feminismus hat ein Problem mit meinem Leben, das viele Jahre lang darin bestand, dass ich Kinder großgezogen habe und Hausfrau war. Ich stand nicht auf der Agenda. Niemand kämpfte für mich, die Feministinnen sogar explizit gegen mich.
Bücker: Sie haben offenbar die feministischen Debatten der letzten Jahre nicht verfolgt. Das war sehr wohl ein Thema.
Kelle: Ja, und zwar, wie man es verhindern kann. Ich habe für das Betreuungsgeld gekämpft. Man attestierte mir, dass das System mich gedrängt hätte, dass meine Sozialisation mich an den Herd schickt.
Bücker: Ich habe die Kritik am Betreuungsgeld sehr differenziert wahrgenommen.
Kelle: Ich nicht. Herdprämie, Verdummungsprämie, Schnapsgeld, alles Zitate von hochrangigen Politikerinnen, von Frauen, Begriffe, mit denen es legitim war, Mütter zu diffamieren. Damals schwieg der ganze deutsche Feminismus.
Bücker: Es gibt eine recht große Bewegung in Deutschland, die sich hinter dem Begriff Care-Revolution versammelt und für eine Neubewertung und angemessene Entlohnung von Betreuungsarbeit einsetzt.
Kelle: Ah ja, wo ist denn diese gigantische Bewegung?
Bücker: Nur weil Sie sie nicht wahrgenommen haben, heißt es nicht, dass es sie nicht gibt.
Kelle: Das freut mich ja, wenn der Feminismus dazugelernt hat.
SPIEGEL: Dann sind Sie ja doch Feministin.
Kelle: Ich habe nie gesagt, dass ich nicht Feministin bin.
Birgit Kelle trifft Micaela Schäfer
"Ich finde es toll, dass die Männer gucken"

Micaela Schäfer (l.), 34, ist Model - vor allem Nacktmodel - und DJane. Sie wurde durch ihre Teilnahme an "Germany's Next Topmodel" bekannt.
Kelle und Schäfer sagen nach der Vorstellung fast zeitgleich: "Sehr gut, keine Feministin!"
SPIEGEL: Wann ist Ihnen zuletzt etwas passiert, das Sie Sexismus nennen würden?
Schäfer: Oje.
Kelle: Da muss ich wirklich intensiv nachdenken.
Ein paar Sekunden Pause.
Kelle: Nein. Mir fällt nichts ein.
Schäfer: Mir auch nicht.
SPIEGEL: Es gab in den letzten Monaten keine Situation, in der Sie sich als Frauen benachteiligt oder herabgesetzt fühlten?
Schäfer: Ich arbeite in der Erotikbranche, da werden Frauen eigentlich bevorzugt, wir verdienen mehr als die Männer ...
Kelle: ... ein Gender-Pay-Gap mal andersrum, toll!
Schäfer: Das ist in der ganzen Modelbranche so.
Kelle: Berufe, in denen Frauen mit ihrem Aussehen punkten können, lohnen sich fast immer für sie. Es ist irre, dass Feministinnen ausgerechnet diese Frauendomäne kaputt machen wollen. Nach dem Motto: Seinen Lebensunterhalt hat man als Frau gefälligst nur mit seinem Kopf zu verdienen. Charles Bukowski hat mal gesagt: "Feminismus existiert nur, um hässliche Frauen in die Gesellschaft zu integrieren." Ganz so weit gehe ich nicht. Aber dass Schönheit mit Dummheit gleichgesetzt wird, ist für mich eine Neiddebatte. Männer reagieren auf uns, das können wir Frauen doch zu unserem Vorteil nutzen.
SPIEGEL: Man könnte sagen, dass Frauen so zu Objekten werden, zu Ware.
Schäfer: Unsinn. Ich habe mir das doch selbst ausgesucht. Ich habe in der Apotheke gelernt, das hätte ich auch weitermachen können ...
SPIEGEL: Dort hätten Sie wahrscheinlich nicht so viel verdient.
Schäfer: Ich bin Geschäftsfrau, ich hätte überall viel verdient. Ich finde es in Ordnung, dass ich über mein Aussehen Geld verdiene. Keiner will wissen, ob ich die 16 Bundesländer kenne oder was Angela Merkel gerade macht. Das stört mich aber auch nicht. Ich muss trotzdem mehr sein als nur schön. Ich muss zuverlässig sein, ich muss zu den Kunden freundlich sein ...
Kelle: Vier Jahre als Bedienung: Sie glauben nicht, wie viel Trinkgeld ich gemacht habe, einfach weil ich mit den Männern ein bisschen geflirtet habe. Dadurch bin ich doch nicht gleich ein Objekt. Jede Frau, die einmal herausgefunden hat, wie unfassbar hilflos Männer auf Weiblichkeit reagieren, wird das immer für sich nutzen.
SPIEGEL: Also sind die Männer in diesem Punkt das schwächere Geschlecht?
Schäfer: Na klar, Schönheit ist Macht. Wenn ich abends weggehe, ziehe ich ein extrakurzes Kleid an und trage einen Riesenausschnitt. Ich finde es toll, dass die Männer gucken. Ich weiß, dass ich, ganz plump gesagt, an so einem Abend keinen Cent ausgeben werde.
SPIEGEL: Es muss sich also nichts ändern im Geschlechterverhältnis? Alles kann so bleiben, wie es ist?
Schäfer: Es funktioniert doch! Frauen sind übrigens genauso oberflächlich wie die Männer, sie geben es nur oft nicht so offen zu. Wenn ich weggehe, mit anderen Mädchen, stehen wir da und schauen: Wer hat Macht? Ich fahre total auf mächtige Männer ab. Da kann der Kabelträger oder der Kameramann noch so süß sein, ich steh auf den Filmproduzenten.
Kelle: Frauen suchen Stärke, Männer Schönheit. So ist das halt. Aber in der Sexismus- und der Gender-Debatte wird so getan, als könne man sich seine Sexualität oder sein Begehren aussuchen oder auch mal ausknipsen. Fakt ist: Fortpflanzung und alles, was damit zu tun hat, ist ein Trieb. Dagegen anzukämpfen ist, als würde man Hunger oder Schlaf bekämpfen. Das können wir nicht. Der Feminismus wird sich daran die Zähne ausbeißen.
Schäfer: Ich höre oft von Frauen: Das ist doch nichts mit Zukunft, was du da machst. Deine Haut wird alt - und dann? Denen sage ich: Irgendwann funktioniert dein Kopf vielleicht nicht mehr, was machst du dann? Wenn ich alt bin, habe ich genug Geld verdient, habe es schlau in Immobilien angelegt. Dann leiste ich mir einen 20-jährigen Boyfriend. Dazu brauche ich keinen Feminismus, das klappt auch so.
Micaela Schäfer trifft Wolfgang Kubicki
"Ich müsste Frau Schäfer nicht sagen, dass sie ein Dirndl ausfüllen kann, das weiß sie"

Wolfgang Kubicki, 66, ist FDP-Politiker, stellvertretender Bundestagspräsident und Anwalt für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.
Die beiden kennen sich nicht, Kubickis Büroleiter googelt Micaela Schäfer, während sie fotografiert wird. "Was ist denn eine DJane?", fragt Kubicki. Er beginnt sofort, mit ihr zu flirten.
SPIEGEL: Herr Kubicki, Sie haben einmal gesagt, Sie gehen mit einer Frau nicht mehr allein in einen Fahrstuhl, weil Ihnen das zu unsicher ist.
Kubicki: Das ist so.
SPIEGEL: Können Sie das verstehen, Frau Schäfer?
Schäfer: Absolut. Die Männer haben Angst, dass man plaudert oder, noch schlimmer: dass Dinge erfunden werden.
Kubicki: Wie will man sich gegen den Vorwurf verteidigen, man sei übergriffig geworden? Das ist eine Anschuldigung, gegen die Sie sich nicht wehren können, wenn Sie unter vier Augen gewesen sind. Aber ich möchte das gar nicht verallgemeinern, man hat auch ein gewisses Gefühl dafür, wem man trauen kann. Ich glaube, Frau Schäfer und ich könnten locker zusammen Fahrstuhl fahren.
SPIEGEL: Warum?
Kubicki: Das spüre ich einfach.
Sie sehen sich an und lachen.
SPIEGEL: Haben Sie das Gefühl, dass es generell für Männer schwieriger geworden ist, sich Frauen zu nähern?
Kubicki: Na klar. Früher war es in Ordnung, wenn man mit einer Frau geflirtet hat und sie gesagt hat: Ich will das nicht. Dann hat man es gelassen. Wenn Sie heute mit einer Frau flirten, sagt sie vielleicht nicht mehr: Ich will das nicht. Sie sagt vielleicht: Ich zeig dich an. Deshalb wird eine Reihe von Männern heute gar nicht mehr den Versuch unternehmen, eine Frau anzusprechen. Denn sie befürchten, das könne die Karriere kosten, die Existenz ruinieren, Beziehungen kaputt machen.
Schäfer: Ich stelle auch fest: Früher haben mich Kunden ganz selbstverständlich zum Essen oder auf einen Drink eingeladen, heute sind viele sehr distanziert.
Kubicki: Es ist wirklich schade, weil ich einen kleinen Flirt immer ganz angenehm finde, er entkrampft die Situation. Aber wenn ein langer Augenkontakt schon als Anmache empfunden wird, dann habe ich Kommunikationsprobleme.
Schäfer: Es wäre sehr traurig, wenn das Kompliment ausstirbt, wenn Männer Angst haben, dass eine Frau gleich zur Presse rennt, wenn man ihr sagt: Du trägst aber ein schönes Kleid.
SPIEGEL: Hören Sie manchmal von Frauen den Vorwurf: Wenn du nicht angemacht werden willst, dann zieh dich doch an?
Schäfer: Na ja, ich bin Erotikmodel. Ich stehe meist nackt vor der Kamera. Aber ich bekomme schon zu hören: Beschwer dich nicht, wenn du solche Angebote bekommst, du bist doch Erotikmodel.
Kubicki: Ich denke, Frau Schäfer wird eher deshalb weniger angemacht, weil die meisten Männer sich das gar nicht trauen. Das ist ja eine Frage des Selbstbewusstseins. Ich müsste Frau Schäfer nicht sagen, dass sie ein Dirndl ausfüllen kann, das weiß sie. Damit operiert sie auch, und das ist in Ordnung. Ich behandle sie deshalb nicht anzüglicher.
SPIEGEL: Herr Kubicki, wie geht ein nicht anzügliches Kompliment?
Kubicki: Ich finde, dass zum Beispiel Frau Schäfer nicht nur gut aussieht, sondern auch Selbstbewusstsein ausstrahlt. Ich könnte mir vorstellen, einen angenehmen Abend mit ihr zu verbringen, ohne dass das neben einem Essen und einem Drink eine Erweiterung haben muss.
Schäfer: Ich finde, das ist ein tolles Kompliment. Das hat mir noch nie ein Mann gesagt. Und ich würde das auch annehmen. Ohne irgendwelche Hintergedanken.
Wolfgang Kubicki trifft Kübra Gümüsay
"Warum werben Sie nicht um Frauen?"

Kübra Gümüsay, 30, ist Bloggerin, Netzaktivistin und Journalistin. Sie ist Muslimin und Feministin. Im Vorgespräch sagte sie, dass sie darüber, wie das zusammen geht, eigentlich nicht sprechen wolle. Gümüsay ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt in Hamburg.
Die beiden kennen sich nicht, sie begrüßen sich interessiert, kommen aber nicht ins Gespräch, bevor die erste Frage gestellt wird.
SPIEGEL: Herr Kubicki, kann man Feministin sein, wenn man ein Kopftuch trägt?
Kubicki: So oberflächlich bin ich nicht, dass ich ihr das verweigern würde.
SPIEGEL: Ein Kopftuch gilt als Symbol ...
Kubicki: ... der Unterdrückung, klar.
SPIEGEL: Hinter dem Kopftuch steht auch die Idee, dass Männer sich nicht beherrschen können.
Kubicki: Das weiß ich nicht.
Gümüsay: Das sagen Sie jetzt. Es gibt so viele Gründe, weshalb Frauen Kopftuch tragen, wie es Kopftuch tragende Frauen gibt.
Kubicki: Solange ich das Gesicht sehen kann, ist mir das relativ egal. Ich glaube nicht, dass die Einstellung etwas mit Äußerlichkeiten zu tun hat. Das ist mir zu bourgeois.
SPIEGEL: Ein kleines Experiment. Wer Feminist oder Feministin ist, hebt die Hand.
Im Raum sitzen Kubicki und Gümüsay, zwei SPIEGEL-Redakteurinnen, Kubickis Büroleiter und zwei Fotografen. Gümüsay und eine SPIEGEL-Redakteurin heben die Hand.
Gümüsay: Sie sind also kein Feminist?
Kubicki: Nein, warum sollte ich das sein?
(zu den Fotografen) Seid ihr etwa Feministen?
Unverständliches Gemurmel.
Kubicki: Ich find's ein bisschen albern, Männer zu fragen, ob sie Feministen sind.
Gümüsay: Der kanadische Premier Trudeau zum Beispiel sagt von sich, dass er Feminist ist. Und es kommt gut an. Sie könnten sich an ihm orientieren.
Kubicki: Soll er machen. Ich sehe mich eher als Macho. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin dafür, dass alle gleiche Rechte haben. Aber Männer können keine Feministen sein.
Gümüsay: Sie könnten sich dennoch dafür einsetzen, dass mehr Frauen in den Parlamenten sitzen, in den Parteien sind.
Kubicki: Sie haben falsche Vorstellungen. Wir würden die Frauen doch mit Handkuss nehmen! (zögert) Man muss ja aufpassen, was man sagt. Handkuss hört sich wieder so chauvinistisch an, also: Wir würden mit großer Begeisterung jede Frau nehmen, die sich engagiert.
Gümüsay: Ach ja?
Kubicki: Viele wollen nicht.
Gümüsay: Was ist mit der Vereinbarkeit von Politik und Familie? Damit, dass viele Sitzungen spätabends sind, dass es noch immer exklusive Männerbünde gibt?
Kubicki: Ich habe Männerbünde in dem Sinn, dass Männer zusammenhalten, um ihre Macht gegenüber Frauen zu perpetuieren, nie erlebt. Das Problem ist ein anderes. Viele Frauen scheuen die Auseinandersetzung. Die Politik lebt davon, dass man sich auseinandersetzt. Wenn Frauen in den Wettbewerb gehen, dann passiert das häufig untereinander. Es kandidiert nicht Frau gegen Mann, sondern Frau gegen Frau.
Gümüsay: Liegt das nicht daran, dass Frauen Auseinandersetzungen anders erleben als Männer? Bei Angriffen, die Frauen von Männern erfahren, geht's oft um die Kleidung, um das Aussehen, selten um das Fachliche.
Kubicki: Das ist unter Männern auch so. Wir haben im Bundestag eine Abgeordnete mit einer schwierigen Stimme, darüber wird geredet. Wir haben aber auch einen Mann mit einer komischen Stimme, über den wird auch geredet. Die Amerikaner sagen: If you have an ugly candidate, kill him. Mann oder Frau, egal ...
Gümüsay: Warum werben Sie nicht um Frauen? Statt einfach nur zu sagen: So ist das System, kommt oder lasst es.
Kubicki: Wenn ich Feminist wäre, würde ich sagen, diese Frage ist einfach unglaublich. Sie reduziert Frauen auf zu betreuende Wesen.
Gümüsay: Sie könnten sagen: Ich trete nur noch einmal für den Bundestag an, wenn 50 Prozent der Listenplätze unserer Partei von Frauen besetzt sind.
Kubicki: Das ist Unfug.
Gümüsay: Sie könnten es probieren.
Kubicki: Das ist nicht meine Agenda, warum sollte ich das tun?
SPIEGEL: Sie haben vorhin gesagt, Sie seien ein Macho. Was heißt das?
Kubicki: Ich finde die Anwesenheit von Frauen immer noch meistens angenehmer als die Anwesenheit von Männern. Ich bin nur mit Frauen aufgewachsen, ich habe Zwillingstöchter ...
Gümüsay: Es gibt also viele Menschen, die Ihnen die Problematik näherbringen könnten ...
Kubicki: Ich bin ganz zufrieden mit mir und die Frauen um mich herum auch.
SPIEGEL: Ist es schwerer geworden, mit Frauen umzugehen?
Kubicki: Es kommt drauf an. Ich war neulich in einer Talkshow, da empörte sich eine Feministin, dass ich ihr die Tür zum Studio aufhalte. Auf dem Weg raus klemmte die Tür, und sie bekam sie nicht auf. Da stand ich daneben und dachte: Dann mach mal. Der Feminismus kann die Männer kritisieren, die Konfrontation suchen, das ist sein Recht. Aber die Frauen müssen dann auch akzeptieren, dass nicht alle das genauso sehen wie sie und dass sich Männer gelegentlich zurückziehen und sagen: Dann bleibt doch unter euch.
Kübra Gümüsay trifft Heide Pfarr
"Die meisten Frauen, die ich kenne, scheitern an Gleichberechtigung in privaten Beziehungen"

Heide Pfarr, 73, Juristin, war Vizepräsidentin der Uni Hamburg und 1991 Frauenministerin in Hessen. Sie ist seit Jahrzehnten eine Kämpferin für die Gleichstellung von Frauen. Pfarr ist verwitwet und lebt in Kassel und Berlin.
Sie begegnen sich zum ersten Mal, beim Fotografieren wirken beide recht schüchtern.
SPIEGEL: Sind die Zeiten für Frauenrechtlerinnen gerade gut oder schlecht?
Pfarr: Sie sind wunderbar, weil sich immer mehr tut. Es gibt ProQuote, es gibt #MeToo. Der Kampf ist weniger einsam als früher, eine wunderbare Entwicklung. Eine Sache bleibt aber, und sie ist ermüdend: Wir Feministinnen müssen uns immer noch verteidigen, immer erinnern und anmahnen. Uns wird Verbissenheit vorgeworfen. Es ist nicht besonders vergnüglich, dass der halbe Raum die Augen verdreht, wenn ich nur darauf bestehe, weibliche Berufsbezeichnungen zu verwenden beispielsweise.
Gümüsay: Man sucht sich nicht aus, ob man Feministin ist. Wenn man einmal verstanden hat, dass es patriarchale Strukturen gibt, die das Vorankommen von Frauen verhindern, kann man davor nicht mehr die Augen verschließen. Das ist ein bisschen, als wäre ein rosa Elefant im Raum. Ich habe ihn am Rüssel gepackt, und jetzt soll ich ihn loslassen? Aber manchmal gibt es bei mir auch Momente, in denen ich denke: Das ist anstrengend.
SPIEGEL: Was ist anstrengend?
Gümüsay: Zum Beispiel dass man sich privat nur schwer von dem abkoppeln kann, was gesellschaftlich transportiert wird.
Pfarr: Das ist eine wichtige Frage: Muss eine Feministin den Feminismus auch privat vorleben? Oder kann sie das erst, wenn die Gesellschaft endlich gleichberechtigt ist?
SPIEGEL: Was glauben Sie?
Pfarr: Die meisten Frauen, die ich kenne, scheitern an wirklicher Gleichberechtigung in privaten Beziehungen. Wie soll man mit jemandem "hart verhandeln", den man liebt? Ich bin sicher, erst wenn die Erwerbsarbeit der Frauen endlich intellektuell und finanziell wertgeschätzt wird, wird es auch privat einfacher.
Gümüsay: Es ist relativ leicht, eine gleichberechtigte Partnerschaft zu führen, solange man kein Kind hat. Mit Kind merkte ich: Oh, können wir dieses Ideal wirklich umsetzen?
Pfarr: Teilen Sie die Arbeit zu Hause 50:50 mit Ihrem Mann?
Gümüsay: Ja. Aber das ist auch nicht so leicht, wie es klingt. Was ist "die Hausarbeit"? Uns hat geholfen einzusehen, dass es nicht nur körperliche Arbeit gibt, sondern auch eine geistige Arbeit. "Mental workload" nennt man das, sich damit zu beschäftigen, dass eingekauft werden muss und was eingekauft werden muss. Irgendwann haben mein Mann und ich mal aufgeschrieben, was ich alles im Kopf habe, von unserer Ernährung bis hin zu den Fotoalben, die ich nie geschafft habe anzulegen. Ihn beschäftigen mental sehr viel weniger Dinge dieser Art. Dann haben wir gesagt: Okay, gut, es kann nicht sein, dass ich all diese Sachen immer im Kopf habe und diese mentale Arbeit zusätzlich zur normalen Hausarbeit erledige. Die mentale Arbeit muss auf die körperliche angerechnet werden.
Pfarr: Eigentlich will man ja nicht immer aufrechnen, schon gar nicht privat. Nur: Wenn man das nicht tut, arbeitet immer die Frau mehr. Und sie findet sich in einer Rolle wieder, die man als Frauenrechtlerin auch in der Gesellschaft hat: Sie gilt als jemand, die nicht mal Fünfe gerade sein lassen kann. Dabei sind wir ja gar nicht für Gleichmacherei. Nur für Gerechtigkeit.
Gümüsay: Vielleicht müssen auch wir Frauen uns von bestimmten Erwartungen an uns frei machen. Verantwortung und Arbeit im Privaten aufzuteilen bedeutet auch, dass wir Kompromisse eingehen müssen. Das ist schwer, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der tendenziell die Frau dafür verantwortlich gemacht wird, wenn in der Küche Chaos herrscht.
Pfarr: Geschlechtergerechtigkeit ist eben nicht nur gesellschaftlich anspruchsvoll, sondern auch privat. Das ist auch das, was mich manchmal besorgt. Wenn wir das Geschlechterverhältnis seiner Machtstruktur entkleiden, haben wir eine völlig andere Gesellschaft. Wie die aussehen soll, verhandeln wir noch. Wir wissen es noch nicht. Es ist ein Prozess, und wir sind mittendrin.
SPIEGEL: Vielen Dank für das Gespr...
Gümüsay: ... halt, ich möchte noch was sagen! Ich danke Ihnen, Frau Pfarr, dass Sie das schon so lange machen. Dass Sie sich dem Feminismus gewidmet haben und ich von vielem, was Sie erkämpft haben, schon profitiere.
Pfarr: Ich danke Ihnen, dass Sie weitermachen. Es gibt viele, die sagen: Feministinnen müssen so und so aussehen, sie dürfen kein Kopftuch tragen zum Beispiel. Ich glaube, wir sollten uns nicht noch gegenseitig bekriegen.
Heide Pfarr trifft Lady Bitch Ray
"Was wir erreicht haben, ist erst die Spitze der Klitoris"

Reyhan Sahin, 37, ist promovierte Kulturwissenschaftlerin. Bekannt wurde sie unter dem Namen Lady Bitch Ray, eine Rapperin, die schon einmal bei einem Auftritt aus einer aufblasbaren Plastikvagina trat.
Sie sind einander nie begegnet und betrachten sich interessiert. Heide Pfarr schaut bei dem Fotoshooting Reyhan Sahin an: "Sie sehen toll aus", sagt sie. "Sie aber auch!", antwortet Reyhan Sahin. Sie stellen sich vor und bemerken Gemeinsamkeiten: Frau Pfarr war von 1984 bis 1986 die erste weibliche Vizepräsidentin der Universität Hamburg, Sahin hat dort eine Studie zur islamischen Religiosität in sozialen Netzwerken durchgeführt und war auch in der Lehre tätig.
SPIEGEL: Frau Sahin, Sie fordern Frauen auf, Bitches zu sein. Was ist eine Bitch?
Sahin: Eine Bitch ist eine Frau, die selbstbestimmt und kritisch handelt, sie suhlt sich nicht in ihrer Opferrolle, sie ist solidarisch mit anderen Frauen. Jede Frau kann eine Bitch sein, egal wie alt sie ist, aus welcher sozialen Schicht sie kommt oder welchen ethnischen Hintergrund sie hat. Eine Bitch ist eine verfickte Feministin.
SPIEGEL: Sind Sie eine Bitch, Frau Pfarr?
Pfarr: (schaut und zögert) Also ...
Sahin: Ich will nicht für Sie sprechen, aber für mich sind Sie eine Bitch. Wissen Sie, warum? Weil Sie Ihren Weg gegangen sind und sich für Frauen einsetzen. Weil Sie Ihr Leben eben nicht nach dem Ihres Partners richten, sondern Ihren Weg gehen. Sie sind doch Feministin.
Pfarr: Das ist alles richtig, ich bin nur über das Wort "verfickt" gestolpert.
Sahin: Entschuldigung.
Pfarr: Das finde ich nämlich nicht passend. Aber wenn eine Bitch eine starke Frau ist, die auch gegen Widerstände stark ist, dann bin ich eine Bitch, okay.
Sahin: Geil, Frau Pfarr!
SPIEGEL: Feministinnen wird oft vorgeworfen, dass sie die Männlichkeit angreifen wollen, dass sie irgendwie im Privaten rumfuhrwerken wollen und den Sex verderben. Haben Sie diesen Vorwurf mal gehört, Frau Pfarr?
Pfarr: Laufend! Also selbst wenn man auf einer Parteiversammlung für Frauenquoten eingetreten ist, hieß es, man zerstöre Liebe, Sexualität und, am schlimmsten: Familie.
Sahin: Wenn ich rappe, Songs mit sexuellen Inhalten, wird mir anzügliche Pornografie unterstellt, und man echauffiert sich darüber. Hingegen wird die von Männern gemachte chauvinistische Pornografie geduldet. Viele sagen dann zu mir: Hast du dich noch nie verliebt? Willst du nicht mal eine Familie haben und Kinder? Es wird bezweifelt, dass eine Frau wie ich in der Gesellschaft funktionieren kann, als Mutter, als Liebende. Viele Männer wollen lieber eine Ruhige, die auch äußerlich nicht so auffällt, eine Perlenohrringe tragende Esprit-Tante. Beim Sex soll sich dann die Frau bitte auch schön anpassen. Eine Frau, die sagt, ich möchte dich auch oben reiten, macht Männern Angst. Frauen, die wissen, was sie wollen, sind Männern im sexuellen Bereich total überlegen.
Pfarr: Vielleicht ist das auch der Grund für das Streben der Männer, Macht über Frauen zu haben. Weibliche Sexualität kennt kein unübersehbares Versagen. Solange Penetration als das Highlight gilt und nicht Sexualität, das ist ja nicht dasselbe, haben Männer Grund, Angst zu haben.
Sahin: Na, Penetration ist für mich auch wichtig, Frau Pfarr. Ich will ja auch auf meine Kosten kommen.
Pfarr: Das Problem ist doch, dass Männer mit Erektion Leistung verbinden. Und wenn die nicht klappt, haben sie ein Problem. Ihre Sexualität ist angstbesetzter. Während wir einfach spielen können.
Sahin: Ich bin die beste Schauspielerin!
Vier Frauen im Raum, alle lachen.
SPIEGEL: Vorhin fiel das Stichwort Mutterschaft. Haben Sie Kinder?
Pfarr: Nein.
Sahin: Nein. Aber ich würde gern welche haben.
Pfarr: Vor allem andere Frauen bewerten Frauen danach, ob sie Mutter sind oder nicht. Zum Beispiel wurde ich von Frauen, die sich selbst als Feministinnen begriffen, beschimpft, als ich sagte, ich will gar kein Kind. Sie haben gesagt, ich verzichte auf mein Wesentliches.
Sahin: Ach, von der Sorte kenne ich auch ein paar.
Pfarr: Männer hingegen denken, dass es bei meinem Beruf völlig normal ist, dass ich gefälligst kein Kind habe. Ich hätte mein Leben, meinen Beruf mit Kind so nicht leben können. Da sind wir heute weiter. Viele können inzwischen beides.
Sahin: Na ja. Ich habe keine Kinder, weil ich in der Wissenschaft arbeiten will und weiß, wenn ich ein Kind bekomme, bin ich draußen. Meine Künstlerinnenrolle als Lady Bitch Ray macht es mir schwer genug, meine Existenz als Wissenschaftlerin zu sichern. Der Feminismus ist noch gar nicht weit. Lange hat der klassische, westlich codierte Feminismus Themen wie die Gender-Frage oder Lebenswelten der "anderen" Frau, etwa die der muslimisch sozialisierten, kurdischen oder schwarzen Frau und Queers, nicht in ihre Agenda mit einbezogen und mit einer einseitigen Sichtweise Musliminnen bevormundet. Jetzt sind Themen wie Kopftuch und islamischer Feminismus zwar in vieler Munde, aber der differenzierte Blick fehlt immer noch. Die Rolle der Frau im Wissenschaftsbetrieb, das Frauenbild in der Kunst oder auch die Ausgrenzung von Müttern in unserer Gesellschaft wären Themen, die behandelt werden müssten. Was wir erreicht haben, ist erst die Spitze der Klitoris!
Pfarr: Wilder Vergleich, aber Sie haben recht: Schon die erste Frauenbewegung hatte einen bürgerlich verengten Blick und interessierte sich wenig bis gar nicht für die Probleme von Arbeiterinnen. Wir müssen mehr wahrnehmen, wie unterschiedlich Frauen von Diskriminierung betroffen sind, und ihre je eigenen widerständigen Selbstentwürfe akzeptieren. Ach, es ist noch so viel zu tun.
Lady Bitch Ray trifft John Aigner
"Alle beschäftigen sich mit Weiblichkeit, da kommt Männlichkeit total zu kurz"

John Aigner ist Coach und Mentor für Männer. Er ist unverheiratet, hat keine Kinder, lebt in Berlin und möchte sein Alter lieber nicht nennen.
Die beiden sind sich noch nie begegnet, die Stimmung ist gut, sie bieten sich sofort das Du an.
SPIEGEL: Könnten Sie sich einander vorstellen?
Sahin: Dann fang ich mal an. Ich bin Reyhan Sahin, ich bin Wissenschaftlerin, und ich habe auch Rapmusik gemacht, unter dem Namen Lady Bitch Ray. Willste auch meine Hobbys wissen?
Aigner: Klar.
Sahin: Ich lese viel, ich schreibe viel, mache Mode, und ich masturbiere regelmäßig.
Aigner: Freut mich, hallo.
Sahin: Und du so?
Aigner: Ich heiße John, und ich bin Mitbegründer der MALEvolution, einer Non-Profit-Organisation, die sich um Männlichkeit im 21. Jahrhundert kümmert, ich habe Sexualwissenschaften studiert und bin hauptberuflich Männercoach.
Sahin: Total wichtiges Thema. Alle beschäftigen sich mit Weiblichkeit, da kommt Männlichkeit total zu kurz.
Aigner: Genau. Die Frauen haben sich bewusst mit sich selbst auseinandergesetzt, sie haben eine Bewegung gestartet. Männer haben das nicht getan und sollten es nun tun.
Sahin: Aber wieso nur Männercoach? Coachst du keine Frauen oder Transmenschen?
Aigner: Ich hatte immer mehr Männer bei mir zum Tee sitzen, die sich ausgeweint haben. Irgendwann habe ich gesagt, ich muss das mal offiziell anbieten.
Sahin: Warum geweint?
Aigner: Sie hatten viele Symptome: Ich komme nicht in Kontakt mit Frauen, ich hatte noch nie Sex, ich komme nicht klar mit meiner Freundin, ich bin geschieden und habe mich noch nie wie ein Mann gefühlt. Sie haben ein Männergespräch gesucht, das ihnen hilft, sich zu orientieren.
Sahin: Was ist denn bitte ein Männergespräch?
Aigner: Das ist ein Sozialabgleich unter Geschlechtsgenossen. Die Gespräche haben etwas Brüderliches oder Väterliches ...
Sahin: Wow, wow, wow! Mo-ment! Das klingt wie eine Burschenschaft. Das ist ja wie eine heteronormative Besetzung von traditionellen Geschlechterrollen aus dem Lehrbuch. Glaubst du, deinen Job könnte eine Frau nicht machen?
Aigner: Nicht in der gleichen Art und Weise.
Sahin: Na! Ich glaube schon.
Aigner: Ja?
Sahin: Ich habe männliche Freunde, mit denen ich viel über Sex, Frauen und so weiter rede. Das ist doch etwas Menschliches, nichts Geschlechtliches.
Aigner: Und dennoch haben Männer zu Männern einen anderen Zugang.
Sahin: Du sagst, ich kann das besser, weil ich ein Mann bin ...
Aigner: Habe ich nicht gesagt.
Sahin: Sondern?
Aigner: Ich habe gesagt, Frauen können es nicht in der gleichen Art und Weise.
Sahin: Damit unterstellst du doch der Frau, dass die es nicht so gut kann.
Aigner: Nein, hör mir genau zu, bitte.
Sahin: Was du da beschreibst, ist das Patriarchat. Deswegen sind wir da, wo wir jetzt sind. Die ganze Gesellschaft ist so gestrickt, dass man sagt: Das geht nur unter Männern. So werden Jungs erzogen: Sei ein echter Mann! Solange es solche traditionellen Geschlechterkonstruktionen gibt, solange Männer lernen, dass sie eine bestimmte "Männlichkeit" vorweisen müssen, können diese Schwanzstrukturen nicht aufgebrochen werden.
Aigner: Die meisten Männer wollen längst gleichberechtigt auf Augenhöhe mit Frauen sein. Aber sie haben auch urinstinktliche Gefühle, wo sie sich mit Geschlechtsgenossen leichter identifizieren und sich so mehr verstanden fühlen. Es bringt keinen weiter, das zu leugnen.
SPIEGEL: Haben Sie Männer, die Ihnen sagen: Vor dem Feminismus war alles einfacher?
Aigner: Nein. Aber eine Sehnsucht nach Einfachheit führt dazu, dass Männer manchmal alten Geschlechterrollen nachtrauern.
Sahin: Und was sagen Sie denen dann?
Aigner: Die Welt ist nicht mehr so. Aus. Ende. Verabschiedet euch davon. Aber ich akzeptiere auch, dass sie diese Sehnsucht haben und verurteile sie nicht. Ich lege ihnen nahe, dass Bandbreite, Flexibilität und Gelassenheit die Werkzeuge für die heutige Welt sind.
Sahin: Das kann ich als Frau auch ...
Aigner: Hör mal zu ...
Sahin: Ey: was? Andauernd sagt der "Hör zu". Das ist eine Maßregelung. Ich sitze direkt vor dir, sehe dich an, und du sagst: "Hör mal zu." Das ist männlich-dominantes Verhalten, merkst du das überhaupt?
Aigner: Du hast vorhin gesagt: "Verstehst du, was ich meine?", und teilst auch sonst ganz schön aus. Das ist deiner Logik nach auch männlich-dominantes Verhalten. Aber wenn Frauen das an den Tag legen, gibt's Applaus ...
Sahin: Von wem?
Aigner: ... und wenn Männer so etwas bringen, ist sofort der Verdacht da: Der ist ein Macho oder Täter.
Sahin: Na. Du applaudierst mir ja gerade nicht.
Aigner: Alles gut, du bist super.
Sahin: Du musst mich nicht super finden.
Aigner: Ich weiß, aber ich darf dich super finden.
Sahin: Kann es sein, dass du harmoniebedürftig bist? Du musst mich nicht anschleimen!
Aigner: Ich bestehe darauf, dich super zu finden. Und ja: Frauen und Männer mag ich wirklich viel lieber harmonisch miteinander statt gegeneinander.
Sahin: Übrigens auch interessant, wie wir hier alle sitzen, oder?
Alle schauen sich um, niemandem fällt auf den ersten Blick etwas auf.
Sahin: Alle drei Frauen im Raum sitzen brav mit übereinandergeschlagenen Beinen und machen sich klein. Und du sitzt da so breitbeinig.
Alle schauen sich nun gegenseitig an: Sie hat recht.
Sahin: Als ob die Welt dir gehört, schön immer viel Platz einnehmen ... Das spiegelt übrigens auch dein Verhalten wider.
Aigner: Ich kann gut damit leben, dass du mir Absichten unterstellst, die ich nicht habe. Jedenfalls sehe ich hier keine Frauen sitzen, die sich klein machen. Im Gegenteil.
John Aigner trifft Thomas Meinecke
"Als ob wir alle Vergewaltiger wären"

Die beiden kennen sich nicht. Sie kommen nicht miteinander ins Gespräch, sondern warten auf die Eingangsfrage.
SPIEGEL: Wolfgang Kubicki erzählte, dass eine Frau nicht wollte, dass er ihr die Tür aufhält. Später habe die gleiche Tür geklemmt - er habe dann danebengestanden und nicht geholfen.
Meinecke: Ach, das ist doch so ein dummer Stammtischwitz. Höhö, an die Tür, da hätte ein Mann rangemusst. Jemand, der so was rumerzählt, ist ein Arsch. Niemand ist dafür, dass in der Gesellschaft funktionierende Muster komplett aufgekündigt werden, natürlich kann man jemandem, der eine Tür nicht aufkriegt, helfen. Aber dann daran festmachen zu wollen, dass das Leben nun ein Kampf sei, ist genau die Art von Männlichkeit, die ich ablehne.
Aigner: Es wird kein Patentrezept für den Umgang zwischen Mann und Frau geben, ich glaube, das will auch keiner. Ich frage inzwischen einfach: Darf ich Ihnen die Tür aufhalten? Darf ich dir helfen? Ist doch alles nicht so kompliziert.
SPIEGEL: Ist die Welt für Männer nicht komplizierter als vor 20 Jahren?
Aigner: Doch, natürlich. Ich gehöre tendenziell zu den Gentlemen der alten Schule, kenne viele Frauen, die es lieben, auf Händen getragen zu werden. Ich nehme jetzt wahr, dass das für manche Situationen nicht mehr stimmig ist, und lasse es dann einfach. Andere Männer fühlen sich schon fast hexenverfolgt in ihrem gut gemeinten "Ich möchte ihr ja eigentlich nur ein Kompliment machen". Das finde ich schade und unnötig.
Meinecke: Es schadet uns doch nicht, es nach Tausenden Jahren Patriarchat mal anders zu machen. Ich habe ein Buch geschrieben, in dem ich auf das Wort "man" komplett verzichtet habe. Ein Experiment. Später sagte mir die Feministin Silvia Bovenschen, ich sei übers Ziel hinausgeschossen. Dann bin ich das eben. Der Mann hat die privilegierte Position in dieser Welt. Wir können uns also die Zeit nehmen, mal nachzudenken. Aber vier Fünftel unserer Geschlechtsgenossen wollen lieber das bequeme Konstrukt verteidigen. Ich fände es okay, wenn man jetzt 200 Jahre lang Professorinnen statt Professoren sagt, nachdem es 200 Jahre lang andersrum war.
Aigner: Ich glaube, dass die dogmatische Bestimmung von Sprache eine Katastrophe ist. Mit zu vielen Sternchen, Schrägstrichen und zu vielen "Oh, das darf man aber so nicht sagen" macht man höchstens die Leute verrückt und erreicht als Reaktion das Gegenteil von Toleranz. Das muss organisch aus der Gesellschaft heraus wachsen und nicht mit Political Correctness erzwungen werden.
Meinecke: Klar ist das eine ziemliche Zumutung für viele Leute, aber man kann auch die Gunst der Stunde nutzen, dass es jetzt überhaupt eine Sensibilisierung gibt. Manche Typen werden dann irgendwo abzweigen, ist schon klar. Die bleiben in ihrem Neandertal ...
Aigner: Höhlenmenschen, bleibt in euren Höhlen, oder wie?
Meinecke: Das klingt polemisch, aber ich meine es auch so. Ich habe mal gesagt, dass das Wort "Mann" ein Schimpfwort für mich ist. Das ist etwas plakativ, aber im Grunde bleibe ich dabei.
Aigner: Das halte ich für fatal. Die Hälfte der Bevölkerung sind Männer. Wenn das Wort "Mann" ein Schimpfwort wird, werden sich Männer zu Recht in die Ecke gestellt fühlen und nichts mehr zur Verständigung von Männern und Frauen beitragen.
Meinecke: Haben sie bislang auch kaum.
Aigner: Als ob wir alle Vergewaltiger wären oder Typen, die Frauen kleinhalten wollen. Ich bin dafür, dass wieder mehr über Männer berichtet wird, die absolut großartig sind. Die fantastische Väter sind, die sich den Arsch aufreißen für ihre Frauen, Familien und die Gesellschaft. Das ist in meiner Wahrnehmung die große Mehrzahl der heutigen Männer. Ich bin ja bei Ihnen: Die Welt hat sich geändert, muss sich weiter ändern, gut so. Aber zu sagen, alle Männer sind Neandertaler, finde ich arrogant und kontraproduktiv.
Meinecke: Denen geht es ja nicht schlecht in ihrem Neandertal. Ich werde sie ja nicht dort einknasten ...
SPIEGEL: Um was beneiden Sie Frauen?
Aigner: Neid ist nicht ganz das richtige Wort. Ich würde aus Neugier sehr, sehr gerne ein paar Tage eine Frau sein, vielleicht auch neun Monate, um zu erleben, wie es ist, ein Kind auszutragen.
Meinecke: Bei Neid fällt einem natürlich gleich Penisneid ein, insofern finde ich es gut, den Mann zu fragen, worum er die Frauen beneidet. Ich bin Einzelkind und hatte bei meiner eigenen Tochter erstmals die Chance mitzukriegen, wie das ist, eine Mädchenexistenz. Mädchen wachsen freier auf als Jungs, sie sind meist unbeleckt von Gewaltszenarien und dem Druck, der Stärkste sein zu müssen.
SPIEGEL: Wenn Sie wählen müssten: Würden Sie lieber in einer Welt voller Frauen oder in einer Welt voller Männer leben?
Meinecke: Da brauche ich gar nicht nachzudenken: Frauen.
Aigner: Ganz klar: Männer.
SPIEGEL: Dann würden Sie beide in ganz verschiedenen Welten leben.
Meinecke: In gewisser Weise tun wir das ja auch jetzt.
Im Video: SPIEGEL-Redakteurin Christiane Hoffmann über die große Entfernung zwischen den Geschlechtern, die Auswahl der Gesprächspartner und die Grundidee der "Reigen"-Interviews