Sexualstrafrecht Aus Mangel an Beweisen

Demonstration für die Reform des Sexualstrafrechts im Juni 2016
Foto: imagoAls Valentina Koslowski an einem Samstagnachmittag im Mai 2011 ihren Bekannten Rico Thiele in Berlin besucht, ahnt sie nicht, dass sie keine 24 Stunden später daran zweifeln wird, die Wohnung noch mal lebend zu verlassen. Die 20-jährige Jurastudentin hatte den 36-jährigen Monteur über ihren Onkel kennengelernt. Er war für sie eine ehemalige Affäre. Für ihn war Koslowski die Frau, die er liebte.
Vor dem Fernseher fingen die beiden an zu trinken. Sie Prosecco, er Wodka. Ab und zu rauchte er Gras aus einer Bong und zog Pep, ein Amphetamin. Irgendwann schliefen die beiden nebeneinander ein, Annäherungsversuche gab es keine. So sagten es hinterher beide aus. Koslowski und Thiele heißen in Wirklichkeit anders. Um sie zu schützen, wurden ihre Namen geändert.
Was am darauffolgenden Sonntagmorgen geschah, beschreibt die Staatsanwaltschaft Berlin in der Anklageschrift vom 11. Januar 2016 so: Nach dem Aufwachen wurde Rico Thiele plötzlich wütend, weil Koslowski seine Liebe nicht erwiderte.
Er beschimpfte sie, zerrte sie ins Badezimmer und spritzte ihr mit dem Duschkopf Wasser ins Gesicht. Er drückte seinen Penis an ihren Mund. Dann schlug er ihren Kopf gegen den Spülkasten der Toilette, gegen die Badewanne und gegen die Wand. Warum andere sie anfassen dürften und er nicht, schrie er immer wieder. Weglaufen konnte sie nicht, er hatte die Wohnungstür abgesperrt und den Schlüssel versteckt.
Er schleifte sie zurück ins Wohnzimmer und schlug ihren Kopf auf die Sofalehne. Er griff nach einem Cuttermesser auf dem Schreibtisch und zwang sie, ihn am Unterarm zu ritzen. Das Blut verschmierte er in ihrem Gesicht.
Er zog ihre Jeans aus und drang in sie ein, erst mit dem Finger, dann mit dem Penis. Er werde sie totschlagen, drohte er.
So weit die Schilderung der Anklageschrift. Wie lange der Horror währte, lässt sich nicht rekonstruieren. Irgendwann hörte ein Nachbar die Schreie einer Frau und rief die Polizei. Die Beamten traten die Tür ein und fanden Valentina Koslowski apathisch, nass und in Unterwäsche. Auf dem Boden lagen ausgerissene Büschel ihrer Haare.
Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage wegen schwerer sexueller Nötigung, Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung.

Landgericht Berlin-Moabit
Foto: Dawin Meckel / OSTKREUZAm ersten Prozesstag, einem Donnerstag im September, brach Thiele sein Schweigen. Bislang hatte der unauffällige Mann mit den raspelkurzen Haaren und der Brille die Aussage verweigert. Seine Version klang ganz anders als in der Anklage, harmloser: Ja, er sei ausgerastet, erklärte Thiele stotternd, weil Koslowski Sex mit einem anderem Mann gehabt habe, ihrem neuen Freund.
"Warum?", habe er "sehr laut" geschrien, immer wieder. Frau Koslowski, so nennt er sie vor Gericht, habe keine Reaktion gezeigt. Er habe sie von Zimmer zu Zimmer geschleift und nass gespritzt. Da stehe sie doch drauf, so behandelt zu werden, habe er gebrüllt und sie dann aufgefordert, sich auszuziehen - "wenn sie Lust auf Sex hätte". Das habe sie getan. Wütend habe er ihr in den Hals gebissen und sei dann ins Bad gegangen, um sich die Zähne zu putzen. Kurz darauf habe die Polizei vor der Tür gestanden.
Über knapp zwei Monate zog sich der Prozess. An zwölf Verhandlungstagen erzählten Rico Thiele, Valentina Koslowski, eine Tante von Koslowski und drei Polizeibeamtinnen, was sich aus ihrer Sicht in Thieles Wohnung zugetragen hatte. Koslowski betrat das Gerichtsgebäude nur, wenn sie aussagen musste. Im Zeugenstand brach sie mehrmals weinend zusammen, irgendwann wurde die Verhandlung unterbrochen und vertagt.
Fünf Jahre, fünf Monate und 18 Tage nach jenem Sonntagmorgen im Mai 2011 verurteilte das Landgericht Berlin-Moabit Rico Thiele zu zwei Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe. Als bewiesen sah es allerdings nur die Freiheitsberaubung und eine einfache Körperverletzung an. Vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung, sexuellen Nötigung und Vergewaltigung - Delikte, bei denen höhere Strafen verhängt werden können - sprach es ihn mangels Beweisen frei.
Wie schwierig es ist nachzuweisen, ob eine Vergewaltigung stattgefunden hat, wurde in den vergangenen Jahren vor allem anlässlich von Prozessen wie dem des Wettermoderators Jörg Kachelmann oder des Models Gina-Lisa Lohfink zum öffentlichen Thema. Kachelmann war 2010 von seiner früheren Geliebten Claudia D. vorgeworfen worden, sie vergewaltigt und mit einem Messer bedroht zu haben. Das Landgericht Mannheim sprach Kachelmann frei, aus Mangel an Beweisen. Ein Zivilgericht stellte später fest, dass die Frau bewusst falsch ausgesagt hätte.
Lohfink behauptete, zwei Männer hätten ihr vor einigen Jahren K.-o.-Tropfen verabreicht und sie dann vergewaltigt. Weil die Männer das Geschehen filmten und mehrere Videosequenzen verbreiteten, wurden sie von einem Gericht bestraft. Den Vorwurf der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung ließ die Staatsanwaltschaft fallen. Lohfink wurde wegen falscher Verdächtigung angeklagt und in erster Instanz zu einer Geldstrafe von 20.000 Euro verurteilt.
In den Fällen Kachelmann und Lohfink entschieden Gerichte, dass die Männer wohl fälschlicherweise beschuldigt wurden. Falschbeschuldigungen werden nicht gezählt. Schätzungen, die das bundesweite Ausmaß des Phänomens erfassen, sind deshalb kaum möglich.
Auch Rico Thiele wurde vom Vergewaltigungsvorwurf entlastet. Aber dieser Fall macht deutlich, dass ein Gericht oft nur schwer ermitteln kann, was sich wirklich zugetragen hat. Genau das ist ein wichtiger Grund dafür, warum nur bei wenigen Anzeigen wegen sexueller Gewalt tatsächlich ein Täter verurteilt wird.
Im April vergangenen Jahres begründete Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) die Verschärfung des Sexualstrafrechts in einer Rede vor dem Bundestag mit der "Verurteilungsquote von acht Prozent" bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung. Und das, obwohl nur rund zehn Prozent aller Vergewaltigungen angezeigt würden. Von 1000 Taten werden demnach nur 8 bestraft.

Laut dem Bundesamt für Justiz ist diese Zahl in zehn Jahren um die Hälfte gesunken, 2007 waren noch 18,2 Prozent aller angezeigten Vergewaltiger verurteilt worden. Können Täter heute also eher damit rechnen davonzukommen?
So leicht ist es nicht, man muss in die Statistik einsteigen, um diese Frage zu beantworten: Bei der Berechnung der Verurteilungsquote werden zwei Zahlenwerke verglichen, die unabhängig voneinander erhoben werden: die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) und die Strafverfolgungsstatistik. Die Daten sind eine Art Nachweis für Polizei und Justiz, was sie im Laufe eines Jahres bearbeitet haben.
Was mit einer Anzeige zwischen dem Eintrag in die PKS und die Verurteilungsstatistik alles passieren kann, zeigt der Fall Thiele. Die Opferzeugin Koslowski wurde viermal vernommen, dabei änderte sich der Tatbestand. Zunächst ging es um Freiheitsberaubung, häusliche Gewalt und Körperverletzung. Dann strich jemand den ursprünglichen Grund der Anzeige durch und ersetzte ihn handschriftlich durch "Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung". Wann genau das geschah, weiß nicht einmal Koslowskis Anwältin. Unklar bleibt auch, als welches Delikt die Anzeige in die PKS einging. In der Verurteilungsstatistik wird das Verfahren erst im Jahr 2016 berücksichtigt, angeklagt auch als Sexualdelikt und verurteilt nur als Körperverletzung und Freiheitsberaubung.
Groß angelegte Studien, die den Weg der Anzeigen von der Polizei und Staatsanwaltschaft bis zum Urteil verfolgen, gibt es nicht. Jutta Elz hält es deshalb für "nicht vertretbar", aus den Daten der beiden Statistiken Verurteilungsquoten abzuleiten. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kriminologischen Zentralstelle, einem von Bund und Ländern je zur Hälfte finanzierten Forschungsinstitut in Wiesbaden, beschäftigt sich seit Jahren mit der Strafverfolgung von Sexualdelikten.
Ein Teil der angezeigten Vergewaltigungen verschwinde wie im Fall Thiele durch "Umdefinition" aus der Verurteilungsrate. Die Polizei gehe zudem oft von einem anderen, gravierenderen Tatbestand aus, als es später die Staatsanwaltschaft oder das Gericht tun. "Wird jemand am Ende nur wegen Nötigung verurteilt, dann kann das trotzdem eine Genugtuung für das Opfer sein", so Elz.
Dass scheinbar immer weniger Vergewaltiger verurteilt werden, hängt der Wissenschaftlerin zufolge auch mit einer sich verändernden Beziehung zwischen Opfer und Täter zusammen. 1994 waren die Tatverdächtigen in knapp 38 Prozent der Fälle Fremde. In den 20 folgenden Jahren hat sich dieser Anteil fast halbiert. Opfer zeigten häufiger Bekannte oder Verwandte wegen sexueller Gewalt an, inzwischen liegt der Anteil bei fast 55 Prozent. Aber je enger das Verhältnis von Täter und Opfer, desto schwieriger die Urteilsfindung. Häufig lässt sich vom Gericht nicht zweifellos beurteilen, ob eine Frau, die in der Vergangenheit einvernehmlich mit einem Mann geschlafen hat, zur Tatzeit zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurde.
Durch das neue Sexualstrafrecht könnte die Verurteilungsquote weiter sinken. Wenn die Reform, wie erhofft, mehr Opfer ermutige, Anzeige zu erstatten, sei das laut Elz "erst mal ein gutes Zeichen". Allerdings seien Verurteilungen nicht immer einfach. Ein "Nein" zu beweisen sei schwierig, auch wenn die Strafverfolgungsbehörden vorbildlich arbeiteten. "In unserem Rechtsstaat reicht ein Tatverdacht Gott sei Dank noch nicht für eine Verurteilung aus."
Zwischen 2013 und 2015 sanken die Vergewaltigungsanzeigen in Deutschland kontinuierlich. Internationale Dunkelfeldstudien weisen darauf hin, dass auch die tatsächliche Zahl schwerer Sexualdelikte zurückgeht. "Die Zahlen steigen zumindest nicht, weder im Hellfeld noch im Dunkelfeld", sagt Elz.
2014 veröffentlichte das Kriminalistische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) eine Pressemitteilung, die es in sich hatte. Darin prangerten der damalige Direktor des KFN, Christian Pfeiffer, und Kollegen die extremen regionalen Unterschiede in Bezug auf die Strafverfolgung von Sexualdelikten an: Die Verurteilungsquote sei in einigen Bundesländern sechsmal so hoch wie in anderen. Den Ursachen wollten sie in einem groß angelegten Forschungsprojekt nachgehen, doch die Justizministerkonferenz lehnte ab. "Zu teuer", hieß es laut Pfeiffer. Er glaubt, dass etwas anderes dahintersteckte: "Einige Bundesländer fürchteten eine Blamage." Seitdem bemüht er sich um andere Forschungsgelder.
Niemand bestreitet, dass man zu wenig über die Strafverfolgung von Sexualdelikten weiß. Seit dem Vorstoß des KFN wurden mehrere Forschungsprojekte angeschoben, die klären sollen, warum viele Verfahren eingestellt werden und es immer wieder zu Freisprüchen kommt. Jutta Elz wertet dafür Akten von allen 115 Staatsanwaltschaften aus, mit Ergebnissen ist frühestens 2018 zu rechnen.
Obwohl das KFN nicht offenlegte, wie die einzelnen Bundesländer abschnitten, wurde in Bremen damals "kolportiert", die Verurteilungsquote im Stadtstaat liege unter dem Bundesdurchschnitt. So erzählt es Arthur Hartmann, Leiter des Instituts für Polizei- und Sicherheitsforschung (Ipos). Sein Institut sollte im Auftrag des Bremer Senats herausfinden, an welchem Punkt die Verfahren scheiterten. Dafür untersuchten die Wissenschaftler 145 Anzeigen wegen sexueller Nötigung oder Vergewaltigung in Bremen aus dem Jahr 2012. In 21 untersuchten Fällen kam es zur Anklage, verurteilt wurden gerade mal 5,5 Prozent der angezeigten Täter, deutlich weniger als im Bundesschnitt.

Ipos-Leiter Hartmann
Foto: Tristan Vankann / DER SPIEGELKeine besonders hohe Zahl, das sieht auch Hartmann so. Dennoch könne es nicht sinnvoll sein, einfach mehr Tatverdächtige zu verurteilen, sagt er. "Dass 80 Prozent der Anzeigen falsch sind und deshalb eingestellt werden, glaube ich aber auch nicht."
Hartmann und sein Team werteten die Einstellungsbegründungen aus, mit überraschenden Ergebnissen. In fast einem Fünftel der Fälle zog das Opfer seine Aussage zurück oder weigerte sich, bei der Polizei auszusagen. Etwa genauso hoch war der Anteil der Anzeigen, in denen die Staatsanwälte feststellten, dass jemand etwas angezeigt hatte, was rechtlich keine Straftat darstellt.
Ein knappes Drittel der Verfahren wurde eingestellt, weil die Aussage des Opfers "zu lückenhaft", "unschlüssig" oder "widersprüchlich" war oder Aussage gegen Aussage stand. Die Forscher schlossen daraus, dass die Qualität der Aussage des Opfers entscheidend ist: Je überzeugender, desto eher wird angeklagt.
Man könnte annehmen, es liege nicht in der Macht von Ermittlern, wie gut oder schlecht eine Aussage sei. Doch nur geschulte Polizisten wissen, wie man die Vernehmung nicht beeinflusst und die Opfer für ihre Aussage unterstützt. "Bei traumatisierenden Erlebnissen kommt die Erinnerung häufig bruchstückhaft", sagt Hartmann. Im Abschlussbericht der Ipos-Studie fordert er, soweit rechtlich zulässig und in der Hauptverhandlung verwertbar, Opferaussagen auf Video aufzunehmen. "Dafür sollte der Gesetzgeber auch bei erwachsenen Opfern bessere Möglichkeiten schaffen." Nur so könne man das Gesagte "möglichst authentisch und für alle nachvollziehbar konservieren".
Bremen zeichnet die Aussagen inzwischen auf Tonband auf. Schleswig-holsteinische Ermittler sind längst weiter: Sie halten Opferaussagen standardmäßig seit mehr als 20 Jahren auf Video fest, bei jeder Anzeige wegen eines Sexualverbrechens. Jährlich werden dort laut Ulrike Stahlmann-Liebelt, Oberstaatsanwältin in Flensburg, etwa 15 Prozent aller angezeigten Sexualdelikte angeklagt. Es gebe vergleichsweise selten Freisprüche, weil durch die hohe Qualität der Aussagen Fehleinschätzungen vermieden werden könnten. "Aber selbst die besten Ermittlungsmethoden und das qualifizierteste Personal bei der Polizei können nichts ausrichten, wenn die Straftat nicht nachweisbar ist."
Rico Thiele wurde letztendlich bestraft. Aber der Ablauf des Verfahrens macht deutlich, wie leicht eine Verurteilung scheitern kann, wenn die Ermittlungen nicht optimal verlaufen.
Die Fehler begannen schon am Tag der Tat. Obwohl Valentina Koslowski kaum bekleidet aufgefunden wurde, fragte laut Protokoll niemand nach sexuellen Übergriffen. Koslowski stand unter Schock und sagte nichts. Im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte: Prellungen am Kopf, Rippenprellungen, eine Trommelfellverletzung, ein Wirbelsäulen- und ein Schädelhirntrauma, blaue Flecke. Einen Vaginalabstrich, bei dem man womöglich DNA von Thiele hätte sicherstellen können, machte keiner.
Die erste Vernehmungsbeamtin kam aus der Abteilung Körperverletzung. Während Koslowski aussagte, schrieb sie am Computer mit. Nach sexuellen Handlungen befragt, sagte Koslowski, Thiele habe sie nur über dem Slip angefasst. Doch die Beamtin habe "so ein Bauchgefühl" gehabt, dass Koslowski nicht alles erzähle, sagte die Beamtin später vor Gericht. "Das war 'ne reine Schamgeschichte." Wie man missbrauchte Frauen ermutigt, über unangenehme Dinge zu sprechen, ohne sie in eine Richtung zu drängen, dazu war die Polizistin nicht ausgebildet.
Innerhalb von 19 Monaten befragten drei unterschiedliche Beamtinnen Koslowski. Die Ermittlungen zogen sich hin, weil die Zeugin immer wieder absagte: Sie sei psychisch zu labil. Ein Attest ließ sich die Kripobeamtin nicht vorlegen. Vor Gericht sagte sie später aus, es sei wegen der hohen Arbeitsbelastung eine "Erleichterung", wenn eine Zeugin nicht erscheine.
Das Problem: Im Laufe der Zeit wurden Koslowskis Anschuldigungen schwerwiegender. Bei der zweiten Vernehmung hatte Thiele seinen Finger in sie eingeführt, beim nächsten Mal war er auch mit dem Penis eingedrungen. Nach diesen Aussagen passierte jahrelang nichts.
Thieles Anwältin rechnete schon gar nicht mehr mit einer Verhandlung, als die Staatsanwaltschaft nach drei Jahren überraschend Anklage erhob. Im Prozess wurde die Verzögerung mit "genereller Arbeitsüberlastung der Staatsanwaltschaft" begründet. Verfahren, in denen jemand in Untersuchungshaft sitze, hätten Vorrang.
Von der Tat bis zur Verurteilung macht das fünf Jahre im Schwebezustand, eine Zumutung für beide Seiten. Koslowski brach in dieser Zeit ihr Studium ab, zog für eine Ausbildung mehrere Hundert Kilometer weit weg und wurde zwischenzeitlich psychiatrisch behandelt. Thiele stand jahrelang im Verdacht, ein Vergewaltiger zu sein.
Was wirklich in seiner Wohnung geschehen ist, konnte das Gericht nicht aufklären. Bei der Urteilsverkündung Mitte November hob der Vorsitzende Richter zu einer Entschuldigung an. Es sei kein Vorwurf, aber leider habe Koslowski keine stringenten Angaben gemacht. Schämte sie sich zu sehr? Stand sie unter Schock? Wollte sie dem Tatverdächtigen "immer mehr reindrücken"? Das seien Vermutungen, "wir wissen es nicht", so der Richter. In das Urteil zu schreiben, es sei zu einer Vergewaltigung gekommen, "wäre Willkür" gewesen. Für ihn sei aber unumstritten, dass dieses Martyrium das Leben Koslowskis zerstört habe, deshalb sei auch das "ziemlich hohe Strafmaß" für eine einfache Körperverletzung und Freiheitsberaubung gerechtfertigt.
Nur Tage nachdem sie vor Gericht gegen Thiele ausgesagt hatte, wies Valentina Koslowski sich selbst in eine Psychiatrie ein. Die Anwältin lässt ausrichten, ihre Mandantin sei enttäuscht vom Urteil. Rico Thieles Anwältin hat Revision eingelegt.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version wurde fälschlicherweise behauptet, der Bundesgerichtshof habe das Urteil des Landgerichts Mannheim bestätigt. Tatsächlich hatten Nebenklägerin und Staatsanwaltschaft des LG Mannheim zunächst Revision eingelegt, diese dann aber zurückgenommen, sodass das Urteil rechtskräftig wurde.