Wahlwerbung Der Skandalautor und die AfD

Thor Kunkel schrieb Bestseller; sein Sex-Roman über dekadente SS-Männer sorgte vor zehn Jahren für einen Eklat. Nun ist er wieder da - als Werber für Rechtsaußen.

Kurz vor Pfingsten verschickt die Bundesgeschäftsstelle der AfD eine Mail an die wichtigsten Parteifunktionäre. Darin ein Link, über den die AfD-Leute sich die geplante Werbekampagne zur Bundestagswahl herunterladen können: Alle Plakate, alle Slogans, das gesamte Konzept der Kampagne verbirgt sich in einer 44-Megabyte-Datei, die passwortgeschützt ist. Das Kennwort lautet: "Molon labe".

Das ist altgriechisch und bedeutet so viel wie: "Komm und hol sie dir!" Mit diesem Schlachtruf soll sich der Spartanerkönig Leonidas geweigert haben, den Persern seine Waffen auszuhändigen. Es folgte die Schlacht bei den Thermopylen, an deren Ende die Spartaner bis zum letzten Mann aufgerieben wurden.

In der neurechten Szene werden die Spartaner heute als Helden gefeiert, und "Molon labe" ist auch die Parole amerikanischer Waffenfans gegen schärfere Gesetze.

Der Mann, der seine Arbeit für die AfD mit diesem Kennwort verschlüsselt, heißt Thor Kunkel. Kunkel, Werber und Schriftsteller, mag Provokationen und finstere Andeutungen.

Wer in Deutschland seriöse Kunden erreichen will, macht besser keine Werbung für rechtspopulistische Parteien. Kunkel, Chef der Schweizer Agentur Kunkelbakker ist da nicht so wählerisch: In seiner 30-jährigen Karriere habe er nur Aufträge für Waffenwerbung abgelehnt, sagt er. Jetzt soll er den deutschen Wählern eine Partei nahebringen, deren Funktionäre einen Einreisestopp für Muslime fordern und die Kanzlerin als Diktatorin schmähen.

Er ist ein Mann mit einer bewegten Vergangenheit. 1999 wurde er beim Autorenwettbewerb in Klagenfurt ausgezeichnet. Der "Guardian" nannte ihn "one of Germany's hottest young novelists". 2000 erschien Kunkels Romandebüt "Das Schwarzlicht-Terrarium", über das die "taz" schrieb: "Ein Riesenwerk, das nicht nur das Ende der Siebzigerjahre in Musik, Politik und Lebensstil kartografiert, sondern auch das Ende einer Jugend, einer Generation." Was treibt einen Mann wie Kunkel zur AfD?

Ende April sitzt der Werber im Frühstücksraum des Kölner Maritim Hotels, vor sich eine Tasse Tee. Um ihn herum wandern AfD-Delegierte zum Buffet und kehren mit schwer beladenen Tellern zurück, sie stärken sich für den bevorstehenden Bundesparteitag. Kunkel mit seinem eleganten blauen Sakko wirkt deplatziert zwischen den älteren Herren, die Krawattennadeln mit AfD-Logo tragen. Ebenso mit seiner Sprache voller Anglizismen und seiner lässigen Schlagfertigkeit.

Doch der Schein trügt. Mit den Positionen der AfD hat Kunkel keine Probleme. Wie die AfD-Funktionäre kann er sich in eine unerbittliche Rage reden über den "Zensurminister Maas" oder über die Migranten, die nur die Hand aufhielten, aber keine Regeln akzeptierten. Was Kunkel stört, ist die Ästhetik, die "Message" der AfD. Er will aus ihr ein "happy product" machen, das "der Masse ein besseres Sociopleasure bietet", so steht es in seiner Präsentation für die Parteifunktionäre. Thor Kunkel will der Fremdenfeindlichkeit ein cooles Image geben.

Dem rechten Flügel ist der Werber suspekt, weil er nicht verängstigte deutsche Frauen vor dunklen Bahnübergängen zeigen will. Seine Botschaft soll heiter daherkommen, etwa auf einem Plakat mit deutschen Frauen, die ihre Weingläser heben: "Burka? Ich steh' mehr auf Burgunder!", steht darüber. "Wieso muss bei der AfD immer alles ,Schicksalsjahr' und ,Finis Germaniae' sein?", fragt Kunkel.

In Köln treibt der Machtkampf zwischen Frauke Petry und ihren Gegnern seinem Höhepunkt entgegen, und Kunkel ist ein Spielball auf diesen Wogen. Er gilt als Petry-Mann, und tatsächlich hält er die Parteichefin für eines der größten politischen Talente der Nachkriegszeit. Sogar eine auf Petry zugeschnittene Imagekampagne, inklusive Ehemann und neuem Baby, habe Kunkel konzipiert, berichten AfD-Leute. Aber Petry wollte ihr Kind nicht politisch instrumentalisieren lassen.

Als die Parteichefin in Köln demontiert wird, steht auch Kunkels Karriere als AfD-Berater kurzzeitig auf der Kippe.

Am Ende darf er aber doch bleiben, und das liegt wohl auch daran, dass er viele Ansichten der AfD teilt - vor allem die Abneigung gegen den Islam. "Wenn euch die Art und Weise, wie wir in Deutschland leben, nicht passt, dann steigt bitte wieder auf eure fliegenden Teppiche und good riddance, ihr Lieben!", schreibt Kunkel. Auch die NPD warb schon mit einem Plakat, das Muslime auf einem fliegenden Teppich zeigte. Dazu die Zeile: "Guten Heimflug!" Manchmal klingt Kunkel wie ein NPD-Mann auf Speed.

Die AfD ist für Kunkel so etwas wie eine politische Heimkehr. Seine Wurzeln liegen im Frankfurter Stadtteil Gallus, wo er in den Siebzigerjahren in einer Mietskaserne aufwuchs. Heute eine Gegend mit blühender Kulturszene und teuren Lofts, war das Gallusviertel zu Kunkels Jugend ein ärmliches Industrie- und Arbeiterviertel. Als Teenager habe er mehr mit Alkohol, Drogen und Sex erlebt als manche Leute in ihrem ganzen Leben, sagt er.

In seiner Erzählung ist Kunkel ein Mann, der früh die Nachtseiten einer multikulturellen, zügellosen Gesellschaft kennenlernte. Seine alten Kumpel räumten heute Supermarktregale ein oder versauerten in öden Bürojobs, erzählte Kunkel vor ein paar Jahren in einem Interview. Er habe mehr aus seinem Leben machen wollen. Kunkel schaffte den Absprung, das Kunststudium an der renommierten Städelschule und eine Karriere als Werber in London und Amsterdam.

In seinem Erstling "Das Schwarzlicht-Terrarium" verarbeitet Kunkel die Jugend im Gallus. Er beschreibt eine Freundesclique, die ihre Jugend zwischen Disco und Drogen, Sex und krummen Geschäften verplempert. Mehr als 20 Absagen habe er für sein Manuskript kassiert, sagt Kunkel. Am Ende griff der Rowohlt Verlag zu.

Der Roman wurde ein großer Erfolg, Martin Walser schrieb anerkennend: "Der Autor scheint ein Benennungsbesessener zu sein, ein Ekelvirtuose, ein Meisteranmacher, ein Sexualfundamentalist."

Doch zwischen Porno und Disco gingen die politischen Aussagen des Buchs unter. Sie deuten eine Haltung an, die später auch zur AfD passen sollte. So ließ Kunkel eine Figur, den schwarzen G.I. Eddie, über die seltsame Fixierung der Deutschen auf den Holocaust sinnieren: "Als Gipfel des Absurden empfand Eddie die deutschen Selbstkasteiungen, das ewige Wiederkäuen der NS-Verbrechen - als ob die Nazis den Völkermord erfunden hätten."

In Kunkels Debüt sind diese Aussagen Randnotizen. In seinem Roman "Endstufe", der 2004 erschien, stehen sie im Mittelpunkt und sorgten für einen Eklat. Das Buch handelt von SS-Männern, die fernab vom Krieg heimlich Pornos drehen, um sich ihr dekadentes Leben zu finanzieren. Kunkel macht die Nazizeit zur Kulisse für eine wilde und bluttriefende Sexgeschichte. Dieses Mal tragen die Helden nicht die Rüschenblusen und weißen Sakkos der Disco-Ära, sondern schwarze SS-Uniformen und Reitstiefel aus "chromgegerbtem Rindsleder".

In dem Buch schrumpft der Holocaust zur Fußnote, während Kunkel die Verbrechen der Alliierten - die Bombenangriffe und Massenvergewaltigungen - umso detailverliebter schildert. Seiner Heldin Lotte, einer Prostituierten, legt Kunkel die Worte in den Mund: "Nicht die Gerechten haben den Krieg gewonnen, sondern die Brutalen." Ein ähnliches Zerrbild von Tätern und Opfern sollte gut zehn Jahre später der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke in seiner Dresdner Rede zeichnen.

In "Endstufe" sind die Nazis nur die Vorstufe der Weltmacht USA, die mit Wall- Street-Dollar und biotechnologischer Hybris die Völker der Erde kulturell unterwerfen will. Der Roman war ein Tabubruch, eine revisionistische Grenzüberschreitung. Der Rowohlt Verlag, der das Buch in der Verlagsankündigung noch als "packendes, minutiös recherchiertes Porträt der morbiden Nazi- Gesellschaft" gepriesen hatte, lehnte die Veröffentlichung ab. Verleger Alexander Fest ging öffentlich auf Distanz zu Kunkel, griff ihn scharf an. Schließlich druckte der Eichborn Verlag das Buch, aber der Skandal war perfekt - und Kunkel als Autor erledigt.

"Meine Arbeit als Schriftsteller hat nichts mit meiner Arbeit für die AfD zu tun", sagt Kunkel heute. Aber viele Leitmotive aus dem Roman "Endstufe", der Antiamerikanismus oder die Mahnung vor der staatlich gesteuerten Auflösung der Völker, tauchen nun bei der AfD auf.

Und wie viele AfD-Anhänger sieht auch Kunkel sich als Opfer eines linken Meinungskartells. Der Streit um den Roman liegt über 13 Jahre zurück, aber in Kunkel nagt es immer noch. Anfang Juni schrieb er in seinem Blog: "Im Rückblick betrachtet unterscheidet sich die Vorgehensweise des Betriebs gegen mich nicht sonderlich von der Art und Weise, wie unerwünschte Schriftsteller von den Nazis in die Emigration gedrängt wurden - mit dem Unterschied natürlich, dass ich nachts nicht abgeholt wurde, sondern dass die Verantwortlichen die stalinistische Methode bevorzugten, das heißt, die unerwünschte Person wird ins soziale Nichts deportiert."

Das AfD-Mandat ist für Kunkel deshalb mehr als ein geschäftliches Projekt. Würde die Partei dank seiner Slogans und Plakate über die "Altparteien" triumphieren, dann wäre es auch ein Triumph des Autors über das deutsche Establishment, von dem er sich so ins Abseits gestellt fühlt.

Im Jahr 2011 zog Kunkel mit seiner Frau in die Schweiz und gründete seine eigene Werbeagentur. Bücher schrieb er weiter; im selben Jahr erscheint der Roman "Subs". In ihm sucht ein reiches Ehepaar per Annonce eine "Sklavin" für seine Villa im Berliner Grunewald. Was als Witz gemeint ist, lockt bald immer mehr Arbeitslose, Vagabunden und Asylbewerber an, die sich bereitwillig nur für Essen und ein Dach über dem Kopf verdingen und auf dem Grundstück ihr Zeltlager aufschlagen.

Am Ende steht der Kontrollverlust; die dekadenten Bewohner treten den Rückzug aus der Villa an. Kunkel will "Subs" als sozialkritische Satire gegen die Amoral der Eliten und die Ausbeutung der Armen verstanden wissen. Doch zwischen den Zeilen schwingt eine Botschaft mit, die auch die AfD propagiert: Wer die Fremden ins Land lässt, wird am Ende von ihnen beherrscht.

Die deutsche Flüchtlingspolitik hält Kunkel für eine groteske Übertreibung grüner Ideologie. Deutschland fehle die "Kulturtechnik", um Krisen maßvoll zu lösen, sagt er. Dabei verliert er selbst oft jedes Maß.

Etwa in einem Beitrag über die Kölner Silvesternacht 2015: Die zahllosen Übergriffe auf Frauen seien der "Fehdehandschuh der Einwanderer" gewesen, heißt es da. Die "verhausschweinten" deutschen Männer hätten den nordafrikanischen "Kolonisatoren" nichts entgegenzusetzen.

Solche Aussagen, die für Kunkel bloß die Wiedergabe der Realität sind, findet er auch bei der AfD. Nur weiß der Werber, dass eine Partei wie jedes Produkt auf dem Markt "anschlussfähig" sein muss. Wie Kunkel sich erfolgreiches "konservatives Politmarketing" vorstellt, trug er Mitte 2015 in der Berliner "Bibliothek des Konservatismus" vor und später auch den AfD-Funktionären. Die Partei müsse sich inszenieren wie der "Silver Surfer", ein extraterrestrischer Superheld, der dem Volk verspricht: "Ich befreie euch" von Multikulti und politischer Korrektheit. Die Markenbotschaft der AfD fasste er so zusammen: "Das wird man doch wohl sagen dürfen." Beim Thema Meinungsfreiheit schließt sich der Kreis zwischen dem Werber und der AfD.

Kunkels Ideen fließen nun in die Plakate zur Bundestagswahl. Die AfD wirbt mit einer lächelnden Schwangeren auf einer Blumenwiese. Dazu der Satz: "Neue Deutsche? Machen wir selber!" Oder mit fröhlichen Frauen in Trachtenkleidern: "Bunte Vielfalt? Haben wir schon!"

Zu sehen sind: lässige Rassisten.

DER SPIEGEL
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten