
SPIEGEL-Titel 28/2010
Foto: DER SPIEGELSeit dem 30. Juni 2012 könnte man eigentlich wissen, um wen es sich bei Claus Fritzsche handelt. Die "Süddeutsche Zeitung" veröffentlichte an diesem Tag einen Artikel unter der Überschrift "Schmutzige Methoden der sanften Medizin". Darin wird beschrieben, wie sich der "Journalist" Claus Fritzsche von Pharmafirmen finanzieren lässt und "die Kritiker ihrer Produkte namentlich an den Netz-Pranger stellt".
Seit zwei Wochen weiß ich, was mit diesen "schmutzigen Methoden" gemeint ist: Fritzsche hat ein spezielles Blog über mich eröffnet, in dem er mir jeden Tag aufs neue "Günstlingsjournalismus" vorwirft, "verzerrte Darstellung", "naive Simplifizierung" und kaum verhüllt den SPIEGEL auffordert, mich endlich zu feuern.
Bisher hatte sich Fritzsche vor allem an Edzard Ernst festgebissen, einem Medizinprofessor, der im britischen Exeter lehrt und einer der profundesten Kritiker esoterischer Medizin ist. Insofern könnte ich mich natürlich geehrt fühlen, dass nach Ernst nun ich ins Visier rücke.
Fritzsches Unmut habe ich mir vermutlich im Sommer 2010 zugezogen. Damals schrieb ich zusammen mit meiner Kollegin Veronika Hackenbroch eine SPIEGEL-Titelgeschichte über Homöopathie . Im Unterschied zu den Sowohl-als-auch-Geschichten in anderen Medien habe ich von Anfang an klar gemacht, dass ich die Homöopathie für gefährlichen Unfug halte - vor allem dann, wenn man bei ernsthaften Erkrankungen, gegen die es eine wirksame Medizin gibt, wirkstofffreie Globuli empfiehlt.
Fritzsches Projekte werden zum Teil von jenen Pharmaherstellern finanziert, die ich im SPIEGEL kritisiert habe, zum Beispiel von der "Deutschen Homöopthie-Union" (DHU), die im Jahr 100 Millionen Euro Umsatz macht und sich als "Wächter der Homöopathie" sieht. Seit dem SZ-Artikel weiß man auch, dass außer der DHU Firmen wie Staufen Pharma, WALA Heilmittel, Weleda und Hevert Fritzsches Blog finanziell unterstützen, ebenso der Verband homöopathischer Ärzte (DZVhÄ).
Dass Homöopathen mich attackieren - daran hatte ich mich gewöhnt. Doch im vergangenen Jahr schlug bei Fritzsche nun einer weiterer PR-Mann auf, über den ich in ganz anderem Zusammenhang berichtet hatte: Der Berliner Krisen-PR-Berater Prof. Wolfgang Stock. Ich hatte im SPIEGEL und auf SPIEGEL ONLINE geschrieben, wie Stock Artikel im Online-Lexikon Wikipedia zu Gunsten des Pharmariesen Sanofi-Aventis umschrieb und später von Sanofi-Aventis als PR-Berater bezahlt wurde. Stock versuchte eine Gegendarstellung und verschiedene Unterlassungen gegen meine Artikel durchzusetzen, ließ diese Ansinnen aber wieder fallen bzw. scheiterte damit vor Gericht.
Nach seiner juristische Niederlage bekam Prof. Stock jedoch in Fritzsches Homöopathie-Blog Gelegenheit, sich als Opfer meiner Berichterstattung darzustellen. Fritzsche behauptete dabei, von den "vielen Vorwürfen, Mutmaßungen und Verdächtigungen des investigativen Journalisten ist nicht viel übrig geblieben". Tatsächlich wurde in keinem meiner Artikel auch nur ein Satz zurückgenommen, lediglich eine klarstellende Formulierung zum Gründungszeitpunkt der Arbeitsstelle Wiki-Watch wurde auf Betreiben des Wiki-Watch-Mitbegründers Prof. Weberling aufgenommen, der damit eine offenbar zu vollmundige Erklärung von Prof. Stock revidierte. Das hält Fritzsche aber nicht davon ab, seit Monaten auch noch einen Teil zwei des Stock-Interviews mit neuen Vorwürfen anzukündigen.
Ist die Kooperation Fritzsche/Stock schon aufschlussreich, gesellt sich nun ein weiterer PR-Mann zu ihnen, über den ich ebenfalls berichtet habe: Jobst Spengemann. Ich habe Spengemann im Jahr 2006 an der Seite von Adel Massaad kennen gelernt, beide wollten mich dazu bringen, einen meiner Meinung nach diskreditierenden Artikel über den damaligen Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zu veröffentlichen und haben mich dabei mit falschen Informationen gefüttert. Am Ende schrieb ich keinen Artikel gegen den IQWiG-Chef, sondern eine acht Seiten lange Geschichte im "stern" über die Kampagne gegen das IQWiG und über das Wirken von Adel Massaad.
Über Massaad fand ich heraus, dass er genau zu jener Zeit, als er mich gegen den IQWiG-Chef instrumentalisieren wollte, mehr als 1 Million Euro von Pharmafirmen und PR-Agenturen kassiert hat. Mehr als 400.000 Euro hat er an seinen Partner Jobst Spengemann weiter geleitet. Massaad ging mit Hilfe renommierter Anwaltskanzleien gegen den "stern"-Artikel vor, konnte sich aber nur in zwei Nebensächlichkeiten durchsetzen, die die zentralen Aussagen des Artikels nicht berührten. Der Artikel ist noch immer im Internet abrufbar .
Massaad fiel übrigens nicht nur mir auf. Auch die "Monitor"-Kollegen Kim Otto und Sascha Adamek schildern in einem Sammelband über Lobbyisten ihre Erfahrungen mit Adel Massaad: "Auch überregionale Medien fallen häufig auf die PR-Agenten herein. ... So wunderten wir uns im Jahr 2005 über eine Meldung in verschiedenen Tageszeitungen, in der ein "Institut für Gesundheitsaufklärung" vor 160 000 Toten infolge einer Vogelgrippe-Epidemie warnte. Und natürlich folgte der eindringliche Appell an Gesundheitsbehörden, mehr von dem Anti-Grippe-Mittel Tamiflu einzulagern. ... Wir riefen damals für das ARD-Magazin MONITOR das "Institut für Gesundheitsaufklärung" an. Dort meldete sich ein gewisser Adel Massaad und erklärte sich sofort bereit, ein Interview zu geben. ... Jedenfalls wiederholte er vor der Kamera seinen dringenden Appell, mehr Tamiflu einzulagern: "Wenn die Gesundheitsministerien sich nicht am 15. August zusammensetzen und entscheiden, sich nachzubevorraten, dann wären die Ausmaße mit einer Seuche oder der Pest damals zu vergleichen. Und wenn hier die Menschen in eine trügerische Sicherheit gewogen würden, das ist ein menschenverachtender Skandal, der größte seit der Nachkriegszeit!" ... Massaad war kein unbeschriebenes Blatt: So hatte sein "Institut für Gesundheitsaufklärung" bereits zuvor eine Schreckensmeldung der anderen Art verbreitet: "Potenzprobleme verursachen in Deutschland über 60 Milliarden Euro Schaden". Potenzprobleme schränkten die Leistungsfähigkeit in der Arbeitswelt ein. Die Studie hieß Levitra-Studie, so wie das Potenzmittel des Konzerns Bayer. Und im ARD-Archiv entdeckten wir den "Experten" Massaad in einer ganz anderen Rolle wieder. So stellte er sich im SWR Nachtcafé als junger Familienvater vor, der sich das Präparat Botox gegen seine Fältchen spritzen ließ. ... Die zweite Lehre gehörte einst zum klassischen Handwerkszeug: die Person checken, ihre Motivation hinterfragen und nicht zuletzt für die feilgebotenen Fakten eine Zwei- und Drittquelle suchen und ebenfalls gegen-checken. Wenn dieses kleine Einmaleins befolgt worden wäre, hätten Leute wie Adel Massaad keine Chance."
Im Jahr 2010 tauchte Massaads Partner Jobst Spengemann wieder auf der Bildfläche auf, diesmal aber nicht als Pharma-PR-Mann, sondern als ZDF-Frontal21-Journalist, der über Pharmafirmen berichtet. Das machte mich stutzig. Spengemann stellte damals dem Chef der Krebsmittelfirma Zyo-Pharma eine Falle, die zeigte, zu welchen Methoden der Geschäftsmann greifen würde, um eigene Gegner zu verleumden (in diesem Punkt war der Frontal21-Beitrag durchaus verdienstvoll).
Zusammen mit meinem Kollegen Martin U. Müller schrieb ich im SPIEGEL nach der ZDF-Sendung einen kleinen Bericht über die Doppelrolle Spengemanns: "Mal Reporter, mal PR-Agent". Spengemann hat sich danach den für seine Aggressivität bekannten Berliner Medienanwalt Johannes "Johnny" Eisenberg genommen und klagt seitdem gegen den SPIEGEL und mich persönlich vor den Berliner Gerichten. Weil auch Massaad in unserem Bericht erwähnt wurde, klagt auch er mit Hilfe von Eisenberg erneut gegen mich und den SPIEGEL.
Worum geht es in dieser bis heute dauernden Auseinandersetzung? Es geht nicht um die Kernaussage unseres Berichts, dass der Rollenwechsel des bisherigen Pharma-PR-Mannes Spengemann zum investigativen Pharmajournalisten Fragen zur Integrität von Journalisten aufwirft. Vielmehr geht es darum, ob einzelne Formulierungen zulässig sind oder sie in einer Weise verstanden werden können oder gar müssen, die Spengemann und Massaad in ihren Rechten verletzten. Insbesondere geht es dabei um die Zulässigkeit eines Vergleichs zwischen einem früheren Versuch Spengemanns und Massaads, Journalisten für Zwecke einer Kampagne im Interesse der Pharmaindustrie einzuspannen, und Versuchen, Journalisten zu instrumentalisieren, wie es - mit gänzlich anderen Mitteln - auch im Fall Zyo-Pharma in Rede stand. Die Landgerichte in Berlin und - im Fall Massaad - Hamburg haben die von uns gewählte Formulierung als Meinungsäußerung für zulässig gehalten, das Berliner Kammergericht als Berufungsgericht im Fall Spengemann neigt nach dem Verlauf der Verhandlung dazu, sein im Verfügungsverfahren ausgesprochenes Verbot der fraglichen Formulierung zu bestätigen. Zweitens geht es darum, ob durch eine von uns gewählte Formulierung der Verdacht erweckt wird, dass Spengemann zu seinem kritischen Beitrag über Zyo-Pharma durch unlautere Motive veranlasst war - davon, dass ein solcher Verdacht erweckt wird, gehen die Gerichte bislang aus - oder ob - was allein unsere Absicht war - lediglich offen die Frage nach einem möglichen Zusammenwirken von Massaad und Spengemann bei der Aufklärung des Zyo-Pharma-Falls gestellt wurde. Dass Massaad seinerseits in den Fall Zyo-Pharma involviert war, ist dabei völlig unstrittig. Massaad und Spengemann bestreiten lediglich, dass Massaad der Informant war, der Spengemann die Aufdeckungen der Machenschaften von Zyo-Pharma ermöglicht hat.
Spengemann und Fritzsche jedenfalls nutzen die Berliner Gerichtsentscheidung nun dazu, einen Popanz aufzubauen: Das sei für den SPIEGEL und Grill "nicht irgendein Prozess", schreibt Fritzsche in seinem Blog, sondern werde "ein Fiasko mit Schockwellen".
Was folgt für mich daraus? Juristische Einschüchterungen gehören für investigative Journalisten zum Berufsalltag. Die unangenehmsten Wadenbeisser sind aber kleine PR-Agenten, die, mit reichlich Geld ausgestattet, aggressive Anwälte anheuern und Journalisten über Jahre mit Prozessen verfolgen. Und neuerdings eben im Internet einen Pranger aufstellen, in der Hoffnung, dass irgendjemand die Vorwürfe übernimmt. In seinem SZ-Artikel über die schmutzigen Methoden von Claus Fritzsche hat Jens Lubbadeh Sinn und Zweck dieser Attacken zutreffend zusammengefasst:
"Der Google-Pranger funktioniert ganz einfach: Man setzt eine professionell wirkende Webseite auf, in der die Glaubwürdigkeit einer Person untergraben wird. Dann wird der Name der anzuprangernden Person möglichst oft im Text genannt. Die Seite wird nun automatisch unter den oberen Treffern rangieren, wenn jemand nach der Person sucht. Für Menschen, deren Glaubwürdigkeit ihr Kapital ist, beispielsweise Journalisten und Wissenschaftler, ist dieser digitale Rufmord besonders verheerend."