"Eine Handvoll Nazis"

Von Stefan Niggemeier

Ende 1996 machte Lutz Hachmeister dem SPIEGEL ein besonderes Geburtstagsgeschenk. In der "taz" veröffentlichte er eine ausführliche Darstellung darüber, wie die früheren SS-Offiziere Horst Mahnke und Georg Wolff in den fünfziger Jahren beim SPIEGEL Karriere gemacht hatten. Über dem Artikel stand: "In einer Woche, am 4. Januar 1997, wird der SPIEGEL 50 Jahre alt. Nichts hat er in dieser Zeit so wenig aufgearbeitet wie seine eigene Vergangenheit."

Lutz Hachmeister

Lutz Hachmeister

Foto: Jeannette Corbeau

Es sei schwierig gewesen, sagt Hachmeister, ein Medium zu finden, das seine Recherchen veröffentlichen wollte. Der SPIEGEL wollte nichts davon wissen: Er redete in seinen Reaktionen die Rolle von Mahnke und Wolff sowohl im NS-Regime als auch in der Redaktion klein.

Dass Hachmeister heute im SPIEGEL-Gebäude auf dem Podium saß und über seine Recherchen referierte, ist somit auch als eine Art Wiedergutmachung zu verstehen. "Verstehen Sie das bitte als Korrekturmaßnahme", sagte Hauke Janssen, der die Dokumentationsabteilung beim SPIEGEL leitet.

Es soll bei dieser Konferenz zum 50. Jahrestag der SPIEGEL-Affäre nicht nur um den Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte gehen, in dem der SPIEGEL zum "Motor einer sich selbst erfindenden modernen Gesellschaft" wird, wie es der Historiker Norbert Frei nennt. Es soll auch um die wesentlich widersprüchlichere Rolle gehen, die der SPIEGEL in den Jahren zuvor gespielt hat. Dazu gehören antisemitische Klischees in Artikeln, Ressentiments und Vorurteile der Besiegten gegen die Besatzer, ein Landser-Ton - und die Rollen von Mahnke und Wolff.

Norbert Frei

Norbert Frei

Foto: Jeannette Corbeau

Ganz ungeschönt sei die Wahrnehmung der Vergangenheit auch heute noch nicht, meinte Frei. Er zitierte aus der aktuellen Titelgeschichte: "Der SPIEGEL ist keck, forsch, oftmals schnoddrig im Ton, er enthüllt große und weniger große Skandale, er legt sich, ganz im Gegensatz zur meist staatsgetreuen Tagespresse, gern mit Politikern an" - und fügte ironisch hinzu: "Glücklich ist eine Institution, die ein so süßes Gewissen ihr eigen nennen darf."

Er stellte im SPIEGEL der fünfziger Jahre eine "irritierende Gleichzeitigkeit von Apologie und Aufklärung beim Thema Nationalsozialismus" fest. Die alten Seilschaften im jungen SPIEGEL seien damals leider alles andere als ungewöhnlich gewesen: "Die Vorstellung, dass es nach dem Krieg eine 'Stunde Null' der Presse gegeben habe, war kaum weniger eine Illusion als die Vorstellung einer 'Stunde Null' in der Gesellschaft insgesamt."

Auf Mahnke und Wolff bezogen, sagte er: "Man fragt sich, warum das Zeitgeschichts-Ressort des Hauses nicht längst den genauen Einfluss der beiden auf den Inhalt des Blattes erforscht hat." Andererseits: Zu seinem 60. Geburtstag hatte sich der SPIEGEL deutlich offensiver als noch zehn Jahre zuvor der Zwiespältigkeit der eigenen Frühgeschichte angenommen -

mit einem Interview mit Hans Detlev Becker, dem früheren Verlagsdirektor und Chefredakteur und lange wichtigstem Partner Augsteins. Lutz Hachmeister hatte sich im Rahmen seiner Habilitation über den SS-Führer Franz Alfred Six mit den Biographien von Mahnke und Wolff beschäftigt, die bei Six studiert hatten. Seine These ist, dass Augstein sie nicht in den SPIEGEL holte, "obwohl sie in der SS waren, sondern weil. Sie brachten ein Wissen mit, das die jungen SPIEGEL-Redakteure nicht hatten." Ihr Engagement sei von Augstein "durchaus strategisch" gemeint gewesen.

SPIEGEL-Dokumentar Janssen fragte Hachmeister, was SPIEGEL-Dokumentare routinemäßig fragen und fragen müssen: Gibt es dafür einen Beleg? Hachmeister sagt, es gebe ihn, nämlich in den Memoiren von Wolff, die ihm vorlägen, in denen der die damaligen Einstellungsgespräche schildere. Hachmeister hat diese unveröffentlichten Aufzeichnungen heute dem SPIEGEL-Archiv übergeben.

Daraus gehe auch hervor, dass Wolff und Mahnke beim SPIEGEL 1959 "beinahe ganz nach oben gekommen wären": Wolff habe Chefredakteur werden sollen, Mahnke Leiter des persönlichen Büros von Rudolf Augstein. Dass es dazu nicht kam, habe auch am Kampf Augsteins gegen Franz Josef Strauß gelegen, so Hachmeister: Bei einem SPIEGEL-Chefredakteur mit SS-Vergangenheit hätte Strauß alle Möglichkeiten für eine Gegenkampagne gehabt.

Einige der Behauptungen und Schlussfolgerungen Hachmeisters über die konkreten Abläufe sind auch heute noch umstritten, aber ohnehin geht es nicht nur um Fakten, sondern auch um ihre treffende Einordnung. In welchem Maß war der SPIEGEL der fünfziger Jahren ein Kind seiner Zeit, wie steht seine frühe Geschichte im Vergleich zu Verirrungen anderer Blätter in der Nachkriegszeit da, und wie sehr war der antisemitische Unterton, der sich bis Mitte der fünfziger Jahre hören lässt, überhaupt typisch für das ganze Blatt?

Hachmeister sagte, dass sich im SPIEGEL von damals neben den dunklen Stellen auch viel Hervorragendes finden lässt. Frei aber warnte vor einer "fast schon frivolen Entspanntheit" im Umgang mit dieser Geschichte. "Deren Tabuisierung ist vor zwanzig Jahren gebrochen", sagte er, "und wir kennen alle den glücklichen Ausgang im Sinne der Demokratiegeschichte. Dieser Ausgang war aber damals keinesfalls sicher."

SPIEGEL-Chefredakteur Georg Mascolo hingegen hatte zu Beginn der Konferenz ein Grundvertrauen formuliert: "Eine Handvoll Nazis hätte zu keiner Zeit das von Rudolf Augstein ins Leben gerufene Projekt Aufklärung gefährden können."

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