ERFOLG IN DER FREMDE
Michael Conrad
"Amerika, wow", riefen seine drei Kinder, als Michael Conrad, 51, ihnen erzählte, daß die Werbeagentur Leo Burnett ihm einen Job in Chicago angeboten habe. Und so brauchte er 1985 nur zehn Minuten, bis er zusagte, als Kreativ-Direktor in den Vorstand der weltweit tätigen Agenturgruppe einzutreten.
"Es ist einfach stimulierend", so der einstige Mitgründer der Frankfurter Agentur Lürzer / Conrad, "im Mutterland der Werbung zu arbeiten, dort, wo die Trends entwickelt werden, die die Welt begeistern."
Michael Conrad ist zur Zeit der einzige Deutsche, der im internationalen Reklamegeschäft ganz oben mitspielt. Anfang der achtziger Jahre hatten er und sein Partner die Mehrheit ihrer Agentur an die Burnett-Gruppe verkauft, Conrad blieb zunächst als Geschäftsführer in Frankfurt. Den Umzug in das Büro im 32. Stock der Firmenzentrale in Chicago hat er bis heute nicht bereut. Die bodenständigen Menschen im mittleren Westen hätten ihn warmherzig aufgenommen. In der Agentur, zu deren Kunden unter anderen der Zigarettenkonzern Philip Morris (Marlboro) und der Hackfleischbrater McDonald's gehören, komme es vor allem auf die Leistung an, alles andere sei nebensächlich.
Wie sehr die Amerikaner von diesem Prinzip durchdrungen sind, erfuhr Conrad auch am Beispiel seiner Tochter: Als sie in der Schule die ersten Erfolge hatte, klatschten ihre Mitschüler. Wow, Amerika.
Frances Schönberger
"Was für die ersten Einwanderer die Freiheitsstatue war", schrieb Thomas Gottschalk der Hollywood-Residentin Frances Schönberger zum 50. Geburtstag, "bist du für uns." Sein Amerika-Bild, gestand der Entertainer, hätten "zwei Menschen maßgeblich beeinflußt - Jerry Cotton und du".
Jerry Cotton ist ein Romanheld, Frances Schönberger hingegen "seit zwei Jahrzehnten die absolute Leitfigur für all das, was in Hollywood mit deutschen Dingen zu tun hat", resümierte das kalifornische Society-Blatt Buzz: Auslandsbeauftragte der "Export-Union des Deutschen Films", Anlaufstelle für alle Deutschen, die in Hollywood Karriere machen wollen.
In der deutschsprachigen Diaspora Hollywoods beherrscht niemand die Kunst der Kungelei so wie sie. Küßchen mit dieser PR-Dame, Blumen für jenen Film-Produzenten, Kaffeeklatsch am eigenen Pool mit Wolfgang Petersen, Lunch beim Komponisten Giorgio Moroder.
Kontaktfreudig war Frances von früher Kindheit an - als Gastwirtstochter im niederbayerischen Kollbach lernte sie schnell, mit Spezis, Säufern und Raufbolden umzugehen. Folglich war die ehemalige Privatsekretärin von Hildegard Knef gut vorbereitet, als sie vor zwei Jahrzehnten als Korrespondentin für das Teenager-Blatt Bravo nach Hollywood ging.
In den ersten Jahren war es trotzdem nicht leicht, das Vertrauen der Hollywood-Prominenz zu gewinnen. Einer, der von Anfang an zu ihren Freunden gehörte, war Arnold Schwarzenegger. Fremd in Hollywood waren sie beide. Sie sprach bayerisches Englisch, er pflegte seinen Grazer Akzent. So etwas verbindet. Arnold ist der Patenonkel der Schönberger-Tochter Daisey, und der Österreicher fragt Frances auch heute noch so manches Mal um Rat. Er weiß, warum: "Die Frances, ja mei. Das ist schon so ein Weibsbild, very loyal."
Horst-Dieter Esch
Im Programmheft zu der New Yorker Show "Pomp Duck and Circumstance" präsentiert sich Horst-Dieter Esch, 52, den Amerikanern als "Geschäftsmann mit einer Vorliebe für gutes Essen und große Kunst". Kein Wort davon, daß er in den achtziger Jahren als Baumaschinenfabrikant eine der spektakulärsten Pleiten der Republik hinlegte und aus diesem Grund mehrere Jahre im Gefängnis saß.
Esch ging anschließend nach Amerika, um "einen neuen Anfang" zu machen. Und das ist ihm in dem Land, in dem jeder eine zweite Chance bekommt, offenkundig gelungen.
Mit Geld, dessen Herkunft niemand so recht erklären kann, kaufte Esch 1989 die ziemlich erfolglose New Yorker Model-Agentur Wilhelmina. Heute läuft der Laden an der Park Avenue, den später seine modebewußte Tochter Natascha (im Bild links) steuern soll. Esch hat eine Reihe neuer Firmen um das Stammgeschäft gruppiert. Zusätzlich gründete er eine Consulting-Firma, die Deutschen den Weg zum Erfolg in Amerika weisen will.
Doch Esch wäre nicht Esch, wenn er sich mit Ratschlägen begnügen würde. Zusammen mit dem Wiesbadener Starkoch Hans-Peter Wodarz (r.) gelang es ihm, dessen Dinner-Show "Pomp Duck and Circumstance" nach Amerika zu exportieren. Der US-Unterhaltungskonzern MGM Grand Hotel verpflichtete sich, zunächst ein zweijähriges Gastspiel in New York und Atlanta zu finanzieren. Danach soll das Restaurant-Theater zehn Jahre lang in Las Vegas spielen.
Der Start in New York verlief holprig, doch allmählich kommt das Eßspektakel in Schwung. An den Wochenenden ist das einstige Tanzzelt meistens voll besetzt - auch mit Deutschen, die dort von Esch und Wodarz persönlich begrüßt werden.
Jette Joop
An der Eisentür zu ihrem Loft im New Yorker Trendviertel Soho steht nur "J. J. NY". Aber das heißt nicht, daß sie am liebsten unsichtbar sein möchte. Ganz im Gegenteil: Jette Joop, 27, will berühmt werden, und ein bißchen ist sie es ja auch schon.
Natürlich hat der Name ihres Vaters Wolfgang Joop dabei geholfen. Doch das allein reicht nicht, um sich in New York ein eigenes Leben aufzubauen - auch nicht, wenn man blondes Haar und lange Beine hat.
Das in Hamburg aufgewachsene Mädchen ging schon früh seinen eigenen Weg. Nach dem Schulabschluß in Oxford studierte sie Auto-Design am renommierten Art Center College in der Nähe von Los Angeles. Als sie den Abschluß und einen Job bei Mercedes in der Tasche hatte, entdeckte sie eine neue Leidenschaft: Ketten, Klunker und Ringe.
Jette zog nach New York und arbeitete zwei Jahre bei Barry Kieselstein-Cord, einem der bekanntesten Schmuck-Designer Amerikas. Danach folgten ein kurzes Gastspiel bei Ralph Lauren und eine erste Kollektion für den Papa - bis sie beschloß, sich selbständig zu machen und unter dem Label "Jette Joop New York" zu firmieren.
Der Erfolg stellte sich schneller als erwartet ein: Ihre Pretiosen liegen, zu Preisen zwischen 200 und 20000 Mark, in den Vitrinen des New Yorker Edelausstatters Bergdorf Goodman aus, und sie werden von berühmten Models wie Nadja Auermann getragen.
Ein Leben außerhalb Amerikas kann Jette Joop sich kaum noch vorstellen. "Ich bin halb deutsch, halb amerikanisch", sagt sie. An New York gefällt ihr vor allem, daß die Stadt dem einzelnen so viel Freiraum läßt: "Jeder macht hier, was er will, alles ist möglich und erlaubt."
Hans Massaquoi
Der zierliche Mann mit der dunklen Haut und dem leicht ergrauten Haar sitzt in einem kleinen Büro, das vollgestopft ist mit Büchern, Zeitungen und Stapeln von beschriebenem Papier. Er arbeitet mit dem Rücken zum Fenster, aber wenn er sich umdreht, blickt er auf das blaugrüne Wasser des Michigansees.
Hans Massaquoi ist Leitender Redakteur von Ebony, dem größten US-Magazin für Schwarze. Im vergangenen Jahr wurde das Blatt, das in Chicago erscheint, 50 Jahre alt, und fast genauso lange ist auch der inzwischen 69jährige Journalist aus Hamburg dabei.
Hans Massaquoi ist amerikanischer Staatsbürger, aber er sagt: "Ich bin Deutscher." Sein Großvater war der liberianische Generalkonsul in Hamburg, und hätte der nicht wegen einer Mandelentzündung ins Krankenhaus gemußt, wäre sein Enkel Hans wohl nie auf die Welt gekommen. Als er nämlich, von der Krankheit genesen, zum Dank das Pflegepersonal in sein Haus einlud, lernte sein Sohn die Krankenschwester kennen, die bald darauf den kleinen Hans gebar. Der Junge mit dem Wuschelkopf sah zwar nicht deutsch aus, aber er lernte deutsche Lebensart. Oft erfreute er seinen afrikanischen Großvater und dessen Gäste mit teutonischem Liedgut wie etwa "Hänschen klein".
Später war es dann nicht mehr so lustig. Der Generalkonsul und sein Sohn gingen nach Liberia zurück, Klein Hans zog mit seiner Mutter in eine Dachwohnung im Arbeiter-Stadtteil Barmbek. Dort überlebte er das Dritte Reich, das Farbigen wie ihm den Besuch einer Oberschule verbot: Er lernte Bauschlosser und tanzte nach Feierabend mit der Hamburger Swingjugend.
Nach dem Krieg zog es ihn zu seinem Vater nach Liberia. Doch als der bei einem Autounfall ums Leben kam, mochte er nicht mehr bleiben; er setzte sich zu Verwandten nach Amerika ab.
Daß er dort studieren konnte, verdankt er außer seiner Chuzpe auch der Art der Amerikaner, jedem eine Chance einzuräumen: Sie glaubten ihm, daß sein Abiturzeugnis in den Hamburger Bombennächten verbrannt sei. So konnte er nach zwei Jahren Militärdienst an der Universität von Illinois Journalismus studieren und sein Examen machen. Kurz darauf bekam er einen Job bei Ebony, wo er es bis zum Chefredakteur brachte.
Amerika sieht er gleichwohl kritisch. Es sei ein geteiltes Land, den Weißen gehöre alles, den Schwarzen so gut wie nichts. Trotzdem werde vor allem von den Republikanern - mal offen, mal versteckt - Stimmung gegen die Schwarzen gemacht.
In Chicago schreibt Hans Massaquoi seit 1957 gegen den Rassismus an. Doch wenn er in diesem Jahr pensioniert wird, will er nach Hamburg zurück.
Detlef Schrempf
"Um zu gewinnen, brauchen wir ihn", sagt Rick King von den Seattle Supersonics. Der Basketball-Spieler meint nicht etwa einen der schwarzen Profis der Mannschaft, sondern den deutschen Blondschopf Detlef Schrempf, 33. Der Junge aus Leverkusen ist der Star der Supersonics, einer Spitzenmannschaft in der Basketball-Profi-Liga. Daß ausgerechnet Schrempf in der uramerikanischen Sportart ein Star geworden ist, verdankt er seinem Gardemaß (2,07 Meter) und seinem typisch deutschen Drang nach Perfektion. Als Kind war er lang und sehr dünn, das war die Zeit, als er den Sport der schwarzen Riesen entdeckte. Weil er mehr daraus machen wollte, wechselte er vom Gymnasium in Leverkusen auf eine High-School im Bundesstaat Washington. Dort nannten sie ihn bald "Det the Threat", Detlef den Bedrohlichen. Fortan spielte er sich in die Spitzenklasse, bis er schließlich bei den Seattle Supersonics landete. Die Stadt im Nordwesten, in der er mit seiner Frau Mary und den beiden Kindern lebt, ist seine Heimat, wenn er denn eine hat: Sein Leben ist der Court.
Horst G. Sandfort
Der Niedersachse aus Nordhorn ist ein alter Hase der Chip-Industrie. Gegenwärtig firmiert Horst G. Sandfort, 53, als Präsident der GateField Division des Elektronik-Unternehmens Zycad Corporation in Fremont nahe San Francisco.
Dieses Jahr kommt GateField, ein bislang noch kleiner Laden, mit dem neuesten Hit der Halbleiter-Branche heraus: einem Stück Silicium, auf dem die Verbindungen so gestaltet sind, daß der Kunde sie selbst ergänzen und sogar reprogrammieren kann. Sandfort: "Hier wird die Musik der nächsten zehn Jahre gespielt."
Sandfort lernte beim Chemie-Konzern Hoechst Industriekaufmann und machte dort als Marketingmann Karriere. 1969 warb ihn der Europa-Chef von Texas Instruments auf der Hannover-Messe ab, und seitdem ist Sandfort von der Computer-Manie befallen. Er verkaufte für amerikanische Firmen zunächst Kleinrechner, elektronische Uhren und später Chips der jeweils neuesten Generation. 1993 wurde er Vizepräsident bei der Silicon-Valley-Firma LSI Logic Corporation, die als erste Halbleiter vom Bildschirm aus entwarf. Bei GateField, einer weit kleineren Firma, ist Sandfort wieder auf dem Sprung zu allerneuester Technologie.
Die Europäer, sagt er, kämen oft mit viel breiterem und intensiverem Wissen daher, doch meist seien sie zu umständlich und zu langsam. Amerikaner seien kreativer. Folglich sei das Silicon Valley der neuesten Generation auch nicht in Europa, sondern nur zehn Meilen nördlich des ersten entstanden: auf der anderen Seite der Bucht von San Francisco.
Dort will Sandfort nun die nächsten Jahre arbeiten und tun, was er immer getan hat - eine kleine, feine Firma groß und mächtig machen.
Jürgen Bartels
Schon mit 16 hatte er davon geträumt, eine ganz große Nummer im Hotelgewerbe zu werden.
Jürgen Bartels, 55, verzichtete auf die sogenannte höhere Bildung und lernte im Bremer Park Hotel, wie es in Bar und Restaurant zugeht.
1972 fand er sich als Vize-Chef von Holiday Inn of Canada wieder und heiratete eine frankokanadische Arzttochter. Sieben Jahre später war er, gerade 39 Jahre alt, Präsident der Ramada-Gruppe in Phoenix/Arizona; er herrschte damit über 610 Hotels. 1983 ließ Bartels sich von dem einstigen Seifenverkäufer Curtis LeRoy Carlson aus Minneapolis in Minnesota abwerben. Der heutige Milliardär besaß damals 23 Hotels mit dem obskuren Namen Radisson. Bartels sollte damit in die Internationale der Hilton, Holiday Inn, Hyatt, Marriott, Ramada und Sheraton vorstoßen, bei denen es jeweils um mehrere hundert Häuser ging.
Der Deutsche schaffte es in gerade mal zehn Jahren. Da war aus dem winzigen Radisson, nun Carlson Hospitality Group genannt, ein Koloß mit 351 Häusern und gut 80000 Zimmern geworden - die zehntgrößte Hotelgruppe der Welt.
Seitdem gilt Jürgen Bartels als Nummer eins in der Branche, und mehr geht nun eben nicht. Deshalb ließ sich Bartels vergangenes Jahr von der angesehenen New Yorker Investment-Bank Goldman Sachs als Partner abwerben.
Die Bank organisierte gerade den Rückkauf der 65 Jahre alten Fünf-Sterne-Hotelgruppe Westin aus japanischer Hand. Sie brauchte dort einen wie Bartels als Chairman und Chief Executive Officer (CEO).
Jeden Monat soll nun irgendwo auf der Welt ein neues Westin eröffnen. So etwas und eine Karriere wie die seine, glaubt Bartels, gehe nur in Amerika: "Hier sind Größe und Erfolg nichts Böses, hier herrscht ein positives Geschäftsklima."
Helmut Jahn
Der Mann, der das Büro im dritten Stock des Art-deco-Gebäudes am East Wacker Drive betritt, wirkt wie ein lebendes Gesamtkunstwerk. Sein schmaler Körper ist in einen schwarzen Paletot gehüllt, den Kopf krönt ein riesiger schwarzer Hut. Darunter: schwarzes Hemd und schwarze Hose, schwarzer Schlips und schwarze Stiefel.
Auftritt für Helmut Jahn, den deutschen Star-Architekten in Chicago.
Für die Amerikaner ist der durchgestylte Baumeister das "teutonische Wunderkind", der "Baron High-Tech" oder auch der "schnellste Colt im ganzen Westen". In Deutschland wird er "Turmvater Jahn" genannt.
Der in Nürnberg geborene Architekt, der nach dem Examen an der TH München nach Chicago ging, hat - selbst für amerikanische Verhältnisse - eine beispiellose Karriere gemacht. Er begann 1967 in dem Architekturbüro C. F. Murphy, 1973 war er Vizepräsident, zehn Jahre darauf Alleininhaber des Büros, das seitdem als Murphy/Jahn firmiert.
Jahn baut Wolkenkratzer auf der ganzen Welt, aber auch Flughäfen, Hotels und Kongreßhallen. Seine Bauwerke wurden mit Preisen überhäuft - von der metallgetäfelten Kemper Arena in Kansas City bis zum bulettenförmigen State of Illinois Center in Chicago.
Zu Beginn seiner Laufbahn orientierte der Deutsche sich an der Bauhaus-Strenge seines Vorbildes Mies van der Rohe, der bis 1959 am Illinois Institute of Technology in Chicago lehrte. Dann aber entwickelte er einen Stil, den er selber als Mischung aus "Neogotik, Jugendstil, Expressionismus und Art deco" bezeichnet.
Der gefällige Mix kommt auch in seiner Heimat an. 1992 gewann Jahn den Wettbewerb für das Sony-Center am Potsdamer Platz in Berlin, in München baute er das Kempinski-Hotel am neuen Flughafen, in Frankfurt den 256 Meter hohen Messeturm.
Doch die Arbeit in Deutschland bringt ihm wenig Spaß. Die Bundesbürger sind ihm zu ängstlich und zu kleinmütig. Sein Land ist Amerika: effizient und produktiv. Erfolg wird anerkannt, Leistung belohnt. Der Turmbauer, der nach 30 Jahren in den USA Deutsch mit amerikanischem Akzent spricht, möchte nie mehr woanders als in Chicago leben.