MARILYNS LETZTES GEHEIMNIS
Der schmale Mann mit dem gewissenhaften Gesichtsausdruck öffnet die Tür zur Kühlhalle des Begräbnisinstituts "Abbott & Fast". Unter dem Arm trägt er eine Pappschachtel. Sie enthält die kostbarsten Trophäen, die dem Endfünfziger im Laufe seiner langen Karriere zufielen: blonde Locken und einen Satz fleischfarbener Gummibrüstchen, die Marilyn Monroe gehörten und die sie eigentlich auf ihrem letzten Weg hätten begleiten sollen.
Abbott assistierte bei Monroes Einbalsamierung, und er half, ihren Sarg zu tragen. Was es mit seinem Schatz auf sich hat, will er jedoch erst später erklären, vor der marmornen Mausoleumswand im Stadtteil Westwood, hinter der die mumifizierte Sexgöttin seit 1962 lagert.
In dem eisgekühlten Einbalsamierungsraum wabert beißender Geruch von Formaldehyd. Zu Alan Abbotts linker Hand steht eine wannenförmige Bahre, unter deren Laken sich die Konturen eines Menschen abzeichnen, zu seiner rechten ruht, von einer grünkarierten Decke gewärmt, ein wächserner, sehr dünner Mann Ende 20. Lächelnd hält er einen weißen Teddybären im Arm. Auf dem Tisch neben der Bahre liegt inmitten von Kämmen und Schminkutensilien ein Bündel seiner schwarzen Haare.
"Aids", sagt Alan Abbott so gemessen, daß in jedem Buchstaben ein Hauch von Beileid schwingt, "die Familie will den Sarg sparen, weshalb wir ihn für die Aufbahrung so zurechtgemacht haben, als läge er im Krankenbett. Hinterher wird er in einem Krematoriumscontainer aus Preßpappe verbrannt."
Immer mehr Leute lassen sich verbrennen statt vergraben, zum Leidwesen der Branche. Denn es braucht sechs Feuerbestattungen, bis ein Begräbnisunternehmer soviel einnimmt wie mit einer einzigen Erdbestattung. Über Jahre hinweg mußte daher, statistisch gesehen, alle drei Monate ein "Funeral Home" seine Pforten schließen.
Aids hat die hiesige Begräbnisindustrie vor dem eigenen Exitus bewahrt. Die Leute wählen zwar weiterhin massenweise die billigere Verbrennung, doch dafür gibt es jetzt in Los Angeles sechsmal mehr Begräbnisse.
"Das war unsere Rettung", sagt Alan Abbott. Nach 37 Berufsjahren als Bestatter von Stars und Normalsterblichen genießt er nun einen finanziell gut gepolsterten Halbruhestand. Zur besten Zeit umfaßte sein Imperium nicht nur das Begräbnisinstitut, sondern auch eine Leichenwagen- und Limousinenvermietung mit 35 Fahrern, eine Firma zur Produktion der von ihm erfundenen leichten Flugzeugsärge, einen landesweiten Großhandel für Begräbniszubehör, ein vielgelesenes Branchenblatt, er ließ Kombifahrzeuge in Leichentransporter umbauen - "6000 Stück weltweit verkauft!" - und führte einen Verleih von Begräbnisutensilien an Filmfirmen.
"Sex, Tod und Geld sind die essentiellen Interessen des nackten Affen", meint Gore Vidal, Hollywood-erfahrener Drehbuchautor und Schriftsteller. Alan Abbott kann diese eher theoretische Einsicht aus praktischer Erfahrung bestätigen. Denn solange er sein Geld mit dem Tod verdient, hat er die Lust an der Leiche beobachtet - und das keineswegs nur in den vielen Produktionen der Traumfabrik, an deren Herstellung er beteiligt war.
Die "Beverly Hills Body Snatcher" hatten ihren Hauptschauplatz in seinem Institut. In Robert Altmans "The Player" spielt Abbott sogar mit, ebenso in dem nekrophilen Blockbuster "Der Tod steht ihr gut" mit Bruce Willis, Goldie Hawn und Meryl Streep, den er zudem mit drei Lastern voller Begräbnisutensilien komplett ausstattete.
Was Abbott im Laufe der Jahre selbst erlebt hat, ist erheblich bizarrer als die meisten Filme. Da ist zum Beispiel der junge Mann, dem er einen seiner ausgemusterten Leichenwagen verkaufte - an sich nichts Ungewöhnliches.
"Viele Leute, gerade junge Männer, sehen in Leichenwagen einen hohen Unterhaltungswert." In Los Angeles haben die Fans dieser rabenschwarzen Kombis einen Klub gegründet, der regelmäßig Picknick-Ausflüge auf Friedhöfe organisiert. Abbott ist Ehrenmitglied.
Unzählige Male hat er auch seine eigenen Leichenwagen für andere als die üblichen Zwecke vermietet: an Spaßvögel, die damit Freunde aus dem Krankenhaus abholten, an Ehemänner, die ihre alternden Frauen darin zum Geburtstagsabendessen ausfuhren, an Hochzeitsgesellschaften. Doch der Käufer von Abbotts altem Leichenwagen hatte andere Unterhaltung im Sinn.
Welche, erfuhr der Bestatter erst, als ihn ein nordkalifornischer Sheriff anrief: Der Junge war auf den Friedhof gefahren und hatte die Leiche seines verstorbenen Liebhabers ausgebuddelt. Die Polizei kannte nur die Autonummer, keine Adresse. Abbott konnte helfen.
Was er ein paar Tage später hörte, schockierte sogar ihn. Der Sheriff hatte die gestohlene Leiche im Haus des jungen Mannes hinter einer falschen Wand aufgestöbert - und war auf eindeutige Beweise gestoßen, daß Mumie und Dieb sich auch über den Tod hinaus in körperlicher Liebe vereinigt hatten.
Die juristischen Folgen für den Leichenschänder blieben jedoch so gering, wie es die technischen gewesen waren: Die Einbalsamierung hatte das Objekt seiner Begierde ausreichend erhalten, und Sex mit Toten ist in Kalifornien nicht strafbar.
"Man muß die Verblichenen konservieren", sagt Alan Abbott. "Nach zwei Tagen fangen sie an zu verwesen, und heute dauert es doch meist länger, bis einer unter die Erde kommt."
Der Tote mit dem Teddy hat bereits hinter sich, was der Leiche unter dem weißen Laken noch bevorsteht: An der linken Brust wird mit einem fünf Zentimeter tiefen Schnitt die Arterie geöffnet und eine Pumpe angeschlossen, die das Blut aus dem Körper und in die Wanne der Bahre pumpt. An die Stelle des Blutes tritt eine Konservierungsflüssigkeit. Dann skalpiert der Einbalsamierer den jungen Mann an der Haarlinie entlang, bricht seine Schädelplatte auf und entfernt das Gehirn. Schließlich öffnet er den Brustkorb und schneidet die inneren Organe und Gedärme heraus.
Zusammen mit einer Härtungsmasse kommt alles in eine Plastiktüte und die zurück in den Brustkorb. Nachdem der Tote wieder zugenäht ist, wird er gewaschen, angezogen, rasiert und so nachhaltig geschminkt, bis er einer properen Porzellanpuppe gleicht.
Solcher Schönheitsdienst an der Leiche scheint befremdeten Besuchern aus der Alten Welt von jeher der beste Beweis für die amerikanische Leugnung menschlicher Sterblichkeit. "Ihr erkennt den Tod nicht an", heißt es in Erich Maria Remarques Exilroman "Schatten im Paradies": "Ihr schminkt die Verstorbenen, als schliefen sie nur."
Und der Philosoph Günther Anders, der den Holocaust in einem Kostümverleih in Hollywood überlebte, beklagte die "Unterschlagung des Todes" durch die Herrichtung der Toten und ihre Beerdigung an Plätzen, die nicht düsteren Gottesackern, sondern "hübschen Ferienorten" gleichen. Durch die allgegenwärtigen bunten Reklameplakate für Friedhöfe rede man den Kunden ein, daß sie als Bewohner ihrer Gräber dereinst die landschaftlichen Reize genießen könnten - als wären sie nicht gestorben, sondern nur in eine bessere Gegend gezogen.
Kaum ein Grabstein verunziert die weitläufigen grünen Hügel der fünf Großfriedhöfe, die heute zur "Forest Lawn"-Kette gehören, dem führenden Bestattungskonzern von Los Angeles. Eine geschwungene Betonstraße führt durch katholische und evangelische, japanische, chinesische, koreanische und freimaurerische Zonen, die der religiösen und ethnischen Vielfalt von Los Angeles entsprechen. Exklusive Privatgärten und herzförmig angelegte "Babyländer", deren Gräber zu Geburts- und Feiertagen bunte Lufträder, Puppen und Stofftiere schmücken, ahmen auch die alltägliche Segmentierung in Arm und Reich, Jung und Alt nach.
Stellten die von hohen Zäunen gesicherten Kirchhöfe um europäische Gotteshäuser einst das Äquivalent zur befestigten Kleinstadt dar, deren Häuser sich um die Burg scharten, so bieten die "Memorial Parks" den Toten einen autofreundlichen letzten Ruheplatz, der dem vorstädtisch-zerstreuten und freizeitorientierten Lebensstil Südkaliforniens gleicht.
Doch im Paradies auf Erden, im La-La-Land des ewigen Frühlings, wo der durchtrainierte Körper die Stelle des Charakters als Quelle der Identität eingenommen hat - da stirbt man nicht. Körperlicher Verfall und Tod werden hier zur persönlichen Niederlage und Belastung für die Lebenden.
Die faszinierende Kombination von Sex, Tod und Geld, dieser zugleich verdrängende und fetischisierende Umgang mit dem Sterben, der die Toten wie Untote behandelt, offenbart sich besonders, wenn ein "Unsterblicher" zu Grabe getragen wird.
Dutzende von Stars hat Alan Abbott auf ihrem letzten Weg begleitet: Sänger wie Mario Lanza und Karen Carpenter; Großproduzenten wie David O. Selznick und Jack Warner; Schauspieler wie Clark Gable, Gary Cooper, Natalie Wood, Bing Crosby und, unbestrittener Höhepunkt seiner Tätigkeit, Marilyn Monroe.
Sie ruht als zweite von unten in einer vier Fächer hohen Mausoleumswand auf dem versteckten Friedhof des Stadtteils Westwood. Seit 33 Jahren stecken in der Vase an der Marmorplatte frische Blumen. Neueren Datums ist ein lippenstiftroter Kußmund, den jemand direkt neben Marilyns gravierten Namen drückte.
Lage ist bei Immobilien bekanntlich alles. Die Quadratmeter rund um die Grabstätte der Sexgöttin kosten daher am meisten. Das oberste Fach der Reihe sicherte sich die aus Deutschland vertriebene Operetten-Diva Gitta Alpar, Ex-Frau von Gustav Fröhlich, deren Ehe darüber zerbrach, daß es für den arischen Ufa-Star nach 1933 nicht mehr opportun war, mit einer Jüdin verheiratet zu sein.
Eine Etage tiefer, also im allerteuersten Fach direkt über Marilyn Monroe, befindet sich "Freddie". Vorsichtig holt Alan Abbott die falschen Bruststücke aus der Pappschachtel und lächelt dabei verschwörerisch. Auch mit Freddies letzter Ruhestellung hat es eine erotische Bewandtnis.
"Ich dürfte das nie erzählen, denn ich bin zu Stillschweigen verpflichtet worden", sagt Abbott: "Aber der Mann liegt verkehrt herum."
Freddie war steinreich und ein großer Verehrer der Monroe, weshalb ihm seine dankbare Witwe dieses teure Fach kaufte. Am Ende der Messe, als der Sarg geschlossen wurde, bat sie den Begräbnisunternehmer, den Toten herumzudrehen - "so daß er nun von Angesicht zu Angesicht über Marilyn ..." Alan Abbotts Hände streichen gedankenverloren über die falschen Brüstchen mit den ausgeprägten Nippeln. "Die ersten vier, fünf Jahre rochen sie noch stark nach ihrem Parfüm. Später hat sich das leider verloren."
Seine Firma wurde damals, im August 1962, von den Eigentümern des Friedhofs um Hilfe gebeten. Als Abbott eintraf, versuchten bereits Dutzende von Reportern, zu der Leiche vorzudringen. Abbott sorgte dafür, daß uniformierte und bewaffnete Pinkerton-Detektive engagiert wurden, die das Gelände sicherten. Dann betrat er den Einbalsamierungsraum. "Was mich fürchterlich schockierte, war die Tatsache, daß ich sie beim besten Willen nicht erkennen konnte." Marilyn Monroe war, anders als die meisten Menschen, nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Bauch liegend gestorben. Sobald der Kreislauf stillsteht, folgt jedoch alles Blut der Schwerkraft, Gesicht und Hals waren daher von dunkelvioletten Flecken übersät. Hinzu kamen die Folgen der Autopsie, bei der ein Y-förmiger Einschnitt von jeder Achselhöhle zum Brustbein und hinunter zum Nabel vorgenommen worden war.
Marilyn war nicht, was die Wiener eine "schöne Leiche" nennen. "Von ihren berühmten Brüsten war praktisch nichts übrig."
Der Einbalsamierer und Alan Abbott präservierten Gehirn und innere Organe wie üblich. Zusätzlich schnitten sie ein Stück des geschwollenen Halses weg. Dann sichteten sie die Kleidungsstücke, die von der Familie gebracht worden waren. "Ein Schlüpfer war nicht dabei, weil sie ja keine trug. Auch kein BH. Dafür aber dieses Paar falscher Gummibrüste."
Er betrachtet die fleischfarbenen "falsies" wie Hamlet den Totenschädel. "Die sind von Hand angefertigt, die Nähte lassen daran keinen Zweifel. Wer weiß, vielleicht war es Marilyn selbst?"
Abbott und der Präparator steckten die Einsätze damals dorthin, wo Füllung nötig war, ins Oberteil des hautengen, chartreusefarbenen Pucci-Kleides, in dem die Tote aufgebahrt wurde. Doch die "falsies" waren bei weitem zu klein, um den Autopsie-Schaden wettzumachen. Mit der Bemerkung: "Die ist ja flach wie''n Brett, das ist nicht die Marilyn, die ich kenne", zog eine führende Angestellte des Friedhofs sie wieder heraus, warf sie in den Mülleimer und bastelte statt dessen üppige Brüste aus Baumwollfetzen. Das Rätsel um die geringe Größe des Kunstbusens lösten schließlich der Make-up-Mann und der Friseur, die das Studio schickte und die mit viel Schminke, Lippenstift und einer Perücke aus der fleckigen Leiche eine perfekte Marilyn machten.
"Sie hatte diese fürchterliche Angst, ohne BH herumzulaufen, weil ihre Brüste dadurch zu hängen anfangen könnten", erzählt Alan Abbott. "Die ,falsies'' mit den starken Nippeln trug sie nicht unter, sondern über dem BH, um es so aussehen zu lassen, als ob unter ihren engen Sweatern nichts als die reine Natur säße ..."
Als der Leichnam hergerichtet war, holte Abbott die Gummibrüste zusammen mit den Haarbüscheln aus dem Mülleimer und nahm sie mit nach Hause zu seiner Frau, die eine Verehrerin der Sexgöttin war.
"Das wurde ihr kostbarster Besitz, und sie zeigte ihn jedem. Diese Andenken waren für sie so wertvoll wie ihr eigenes Leben, bis ..." Alan Abbott schluckt. In seine Augen schießen Tränen. "... bis sie selbst starb", würgt er hervor, "einfach so, an einer Gehirnblutung, auf dem Boden der Sporthalle, in der wir zusammen trainierten ..."
Er wendet sich ab und bückt sich zu seiner Pappschachtel auf der Bank vor Marilyns Grab. "Meine Frau liegt auf Forest Lawn Hollywood Hills. Auf mich wartet das Grab daneben."
Alan Abbott plaziert die beiden falschen Brüste sorgsam neben die in Plexiglas verpackte blonde Locke und neben die getrocknete Nelke, die er als einer der Sargträger bei Marilyns Beerdigung trug. Dann schließt er den Deckel so vorsichtig, als wäre die Schachtel ein Sarkophag.