Die Macht des Heilers
Bevor Sylvia die Ärztin traf, die ihr Leben veränderte, litt sie viele Jahre lang unter Endometriose: Gebärmutterschleimhaut hatte sich im Bauchraum angesiedelt, sie litt unter starken Schmerzen, die Eierstöcke waren verklebt. Die 37-jährige Lehrerin aus Fürstenfeldbruck und ihr Mann wünschten sich ein Kind, erzählt sie, "aber ich wurde einfach nicht schwanger".
Sie nahm Hormone, ließ sich Zysten wegoperieren, versuchte es vier Jahre lang mit künstlicher Befruchtung. Migräne und depressive Verstimmung drückten Sylvia nieder, häufig fühlte sie sich von den wechselnden Gynäkologen herablassend und unsensibel behandelt, "mein seelischer Schmerz wurde immer größer, weil es einfach nicht klappte".
Schließlich empfahl ihr jemand einen Besuch bei Annemarie Schweizer-Arau, einer Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Dießen am Ammersee. Sylvia fuhr hin, obwohl sie wenig Hoffnung hatte, je wieder ein schmerzfreies Leben zu führen. Aber diese Ärztin, sagt sie, "die war so verständnisvoll und einfühlsam, da hatte ich gleich ganz viel Vertrauen".
Es ist eine Erfahrung, die viele Menschen umtreibt: Ärzte erscheinen arrogant, hören nicht aufmerksam zu, nehmen sich wenig Zeit. Viele Patienten fühlen sich wie in einer Odyssee, sind auf der Suche nach Helfern, für die sie mehr sind als nur der nächste Fall. Aber was ist das, ein guter Heiler? Was zeichnet ihn aus? Und können Ärzte das lernen?
Annemarie Schweizer-Arau, Sylvias Ärztin, strahlt Herzlichkeit und eine wache Intelligenz aus. Die Praxisräume der 58-Jährigen sind gemütlich eingerichtet, mit Bücherregalen, farbenfrohen Bildern und üppigen Blumensträußen. Sie behandelt vor allem Patientinnen, die wie Sylvia unter Endometriose oder ungewollter Kinderlosigkeit leiden.
Ihr Behandlungsansatz war anders, als Sylvia das bei anderen Ärzten erlebt hatte: Schweizer-Arau verordnete ihr chinesische Tees und eine veränderte Ernährung, vor allem aber behandelte sie ihre Patientin mit Hypnotherapie und Akupunktur. Die Ärztin hat diese Mischung aus Hypnose und Traditioneller Chinesischer Medizin selbst entwickelt und nennt sie "Systemische Autoregulationstherapie", kurz Sart. Jede Sitzung mit Sylvia dauerte rund 50 Minuten "und jede war ein wenig anders, vor allem durch die emotionalen Trance-Sitzungen", erzählt die Patientin.
Viel geweint habe sie in den Sitzungen, aber danach sei es ihr immer sehr viel bessergegangen, psychisch und zunehmend auch körperlich. "Bei dieser Ärztin war ich in so guten Händen", schwärmt die Lehrerin. Und sie ist nicht die Einzige: Ärzte aus ganz Deutschland schicken ihre Patientinnen zu Schweizer-Arau, ihre Erfolge sprechen sich herum - entsprechend lang sind die Wartezeiten.
Was also macht diese Ärztin anders als andere? Was ist ihr Geheimnis? Schon im Studium habe sie gemerkt, dass die westliche Medizin an dem vorbeigehe, was die Menschen eigentlich brauchen, erzählt Schweizer-Arau mit sanfter Stimme. "Die Einheit von Seele, Geist und Körper wird zu wenig berücksichtigt."
Auf der Suche nach dieser Einheit stieß sie auf die Hypnotherapie nach Milton Erickson und die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM). "Mir gefällt, dass in der TCM nicht nur zählt, was messbar ist, sondern auch, was der Mensch empfindet. Diese Empfindungen werden beobachtet, abgefragt, ernst genommen und vor allem nicht bewertet", erklärt sie. "Deshalb fühlen sich die Patienten so gut aufgehoben und angenommen."
Dabei lässt sich Schweizer-Arau stark von ihrer Intuition leiten. Jede Behandlung ist individuell, sie steht im intensiven Dialog mit dem Patienten: "Ich bin nur der Katalysator für den Heilungsprozess. Der Körper weiß, wie es geht. Wenn die Frauen schwanger werden, dann habe nicht ich das vollbracht, sondern der Körper meiner Patientinnen."
Das alles klingt sehr geheimnisvoll. Doch tatsächlich zeigen Untersuchungen: Weckt der Arzt Zuversicht, erzeugt er im Gehirn des Patienten physiologische Reaktionen, die wie ein Medikament wirken.
"Jeder Mensch trägt Selbstheilungskräfte in sich", sagt Winfried Rief, 54, vom Fachbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Marburg. Die Verbindung zum Arzt sei ein wichtiger Wirkfaktor, sagt Rief. "Doch die Schulmedizin macht häufig den Fehler, die Beziehung zwischen Heiler und Patient zu missachten. Das hat sie der Alternativmedizin überlassen", bedauert er.
Studien haben in den vergangenen Jahren eindrucksvoll belegt, welch entscheidende Rolle das Arzt-Patienten-Verhältnis spielt. "Heilung ist ein komplizierter Vorgang", sagt Rief, "er findet in einem zwischenmenschlichen Kontext statt, der entweder heilungsfördernd oder heilungsstörend ist." Das Gehirn eines Patienten werde anders aktiviert, wenn er seinem Arzt vertraue, als wenn er ihm skeptisch oder gar ablehnend gegenüberstehe, sagt Rief. Inzwischen ist klar: Freundlichkeit, Zugewandtheit und Optimismus seitens des Behandlers tun der Psyche des Patienten gut und unterstützen damit seine Gesundung.
Es gibt also ein Potential, das beide Seiten nutzen können, Arzt wie Patient. Deshalb lernen Medizinstudenten während ihres Studiums Techniken der Gesprächsführung. Ob und wie sie das Gelernte später anwenden, ist eine andere Sache. Denn für ein gutes Gespräch braucht der Arzt nicht nur rhetorische Fertigkeiten, sondern eine innere Haltung.
Selbst erfahrene Ärzte, die ihre Gesprächskompetenz als hoch einschätzen, erkennen im Kommunikationstraining oft selbstkritisch, dass sie so gut wie gedacht gar nicht sind. "Wir verlieren unglaublich viele Ressourcen, um den Heilungsprozess wirksam zu unterstützen, wenn die Kommunikation nicht gut läuft", sagt Jünger.
Das bestätigt Frauke Musial, die am Nationalen Forschungszentrum für komplementäre und alternative Medizin im norwegischen Tromsö arbeitet. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen: Hat ein Patient eine zuversichtliche Erwartungshaltung, führt das nicht nur zu positiveren Gefühlen, sondern es lassen sich auch körperliche Reaktionen nachweisen. "Wenn der Arzt verspricht: ,Gleich wird es besser', werden in diesem Moment im Gehirn Areale aktiv, die Opiate freisetzen", berichtet die Biopsychologin.
Selbst wenn es um eine scheinbar rein körperliche Krankheit geht, ist die Psyche des Patienten immer beteiligt. Gute Ärzte haben das im Blick.
Auch für Annemarie Schweizer-Arau ist das ein wesentlicher Aspekt ihrer Arbeit. Wie genau ihre Behandlung wirkt, wird seit einiger Zeit untersucht, und zwar unter anderem von Karin Meissner.
Die Ärztin ist Leiterin der Arbeitsgruppe Placeboforschung am Institut für Medizinische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Neben den spezifischen Wirkfaktoren der Sart-Methode, nämlich Hypnotherapie und TCM, sind für Meissner drei Aspekte wesentlich beim genauen Blick auf Schweizer-Araus Heilerfolge. Die Ärztin kommuniziere erstens sehr einfühlsam mit ihren Patienten, zu denen auch Menschen mit Rheuma, Multipler Sklerose oder Krebs gehören. Sie schaue genau hin, höre genau zu und nutze auch körperliche Empfindungen zur Diagnose psychischer Probleme.
Zweitens schaffe sie mit der Hypnotherapie und der Akupunktur eine besondere Art des Heilrituals. Aus der Placeboforschung sei bekannt, dass Rituale für sich schon eine enorme Kraft entwickeln und Selbstheilungskräfte aktivieren könnten, vor allem, wenn sie mit starken Emotionen verbunden sind, so Meissner.
Und drittens zielt die Ärztin auf die körperliche Ebene; in ihrem Fall durch Akupunktur und andere Methoden der TCM.
Therapien, die den Körper mechanisch reizen, wie beispielsweise auch Operationen oder Spritzen, scheinen die Selbstheilungskräfte in besonderem Maße zu aktivieren. So zeigen Meissners Untersuchungen, dass Placebomethoden, die - etwa durch Scheinakupunktur - den Körper spürbar miteinbeziehen und von einem Behandler durchgeführt werden, wesentlich besser wirken als solche, bei denen die Patienten selbst eine wirkstofflose Tablette einnehmen.
In einer Stiftung wollen die erfahrene Ärztin Schweizer-Arau sowie andere interessierte Kollegen der Frage weiter nachgehen, wie sich die Selbstheilungskräfte anregen lassen.
Karin Meissner und Kollegen sitzen derzeit an der Auswertung einer Studie mit 67 Patientinnen, die unter starker Endometriose litten. Die Hälfte von ihnen wurde mit der von Schweizer-Arau entwickelten Systemischen Autoregulationstherapie behandelt, die andere Hälfte erhielt die gewohnte ärztliche Betreuung. Dabei sollen Fragebögen und Aufnahmen vom Gehirn klären, was Sart so erfolgreich macht.
Patientin Sylvia war rund zwei Jahre lang bei Schweizer-Arau in Behandlung. Ihre Zysten wurden kleiner und verschwanden schließlich, auch ihre Schmerzen wurde sie los. Sie habe sich innerliche Stärke und seelische Balance zurückerobert, sagt Sylvia. Das Schönste aber: Sie ist im sechsten Monat schwanger und überglücklich. ■