„Zuckerwürfel im Ozean“
Die gutsituierte Frau mittleren Alters ist für Dr. Ruprecht-Rochus Fendius meist leichte Beute. Doch heute steht dem Handlungsreisenden in Sachen Homöopathie der Sinn nach einer echten Herausforderung. Heute will er die Herzen der einkommensschwachen Bewohner von Leipzig-Grünau erobern und seine Heilslehre in Leipzigs größte Plattenbausiedlung tragen.
Die Bärenapotheke gegenüber dem TEDi-1-Euro-Shop hat ihn zum Vortrag "Homöopathie für die Seele und Körper" bestellt. Fendius beamt das Bild eines idyllischen Sonnenuntergangs auf die Projektionswand und begrüßt 16 Frauen und 2 Männer: "Herzlich willkommen, ich bin Fachreferent für Homöopathie und Mitarbeiter der Deutschen Homöopathie-Union DHU."
Das klingt irgendwie nach einem Verband, einem Verein, einer Organisation. Tatsächlich ist die DHU ein Unternehmen, Deutschlands größter Hersteller homöopathischer Arzneimittel. Täglich entsendet die Karlsruher Firma Missionare in alle Ecken der Republik, um die Lehre von der sanften Heilkunst zu verkünden. Und, natürlich, um die Vorzüge ihrer Produkte zu preisen.
Etwa von Manuia, einem DHU-Mittel gegen innere Anspannung und Erschöpfung. "Eine ganz tolle Sache" sei das, jubelt Fendius, "wirklich super", das überzeuge sogar seine Neurologenfreunde in Berlin. Oder wie wär's mit einer der anderen rund 400 000 Zubereitungen seines Arbeitgebers? Sie haben Flugangst? Da hilft Aconitum, der Eisenhut. Stress? Greifen Sie zur Brechnuss. Wechseljahrbeschwerden? Lindert Sepia officinalis, der Gemeine Tintenfisch. Eifersucht? Man nehme das schonend getrocknete Gift der Lanzenotter, "aber, meine Damen, bitte nicht ins Essen des untreuen Gemahls!"
Nach eineinhalb Stunden fendiusschem Feuerwerk will man fast glauben, dass es nichts gibt, was ein bisschen Walfischkacke nicht heilen kann.
Und das Beste: Überdosierung ist kaum möglich. Denn die Substanzen werden beispielsweise in Wasser oder Alkohol derart verdünnt, dass die Wirkstoffe oft überhaupt nicht mehr nachweisbar sind. "Es ist wie ein Zuckerwürfel im Ozean", sagt Fendius.
Ja, auch Dr. Fendius hat das alles mal für Hokuspokus gehalten, damals, als er noch in der Pharmaforschung war. Doch dann sei er schwer erkrankt, und die Homöopathie habe ihn gerettet. In nur zehn Minuten waren seine Schmerzen wie weggeblasen und er bekehrt. Ehrlich. Fendius strahlt wie der Hustinettenbär.
Auf solche Einzelfallschilderungen spontaner Heilungen greift die Homöopathie gern zurück, aus Mangel an Beweisen. Denn in klinischen Studien, die wissenschaftlichen Standards entsprechen, konnte bislang keine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirksamkeit nachgewiesen werden. Die mit Tinktur versetzten Zuckerkügelchen sind mithin etwa so segensreich wie Liebesperlen. "Homöopathie ist Glaube, Aberglaube, Esoterik, Voodoo", schreiben Christian Weymayr und Nicole Heißmann in ihrem Buch "Die Homöopathie-Lüge". Der Mediziner Willem Betz von der Freien Universität Brüssel appelliert an den Verbraucherschutz: "Es ist nicht meine Absicht, denen ihr Lieblingsheilmittel wegzunehmen, die an magisches Wasser glauben. Wir fordern aber die Mitglieder des Europäischen Parlaments auf, darüber nachzudenken, ob es ethisch vertretbar ist, Produkte als Arzneien zu verkaufen, die durch keine Methode vom reinen Lösungsmittel, sei es Wasser oder Alkohol, oder von Zucker als Trägersubstanz zu unterscheiden ist."
Doch allem Gegenwind zum Trotz ist das Kunststück gelungen, diese Pseudowissenschaft zu einem Milliardengeschäft zu machen. Geholfen haben eine Menge Weißkittel-Tamtam, eine edle Bibliothek und die feierliche Verlegung des Weltverbandes homöopathischer Ärzte an Hahnemanns Wirkungsstätte im anhaltinischen Köthen.
Circa zwei Milliarden Euro werden weltweit mit homöopathischen Arzneimitteln umgesetzt, über eine Milliarde davon in Europa. Laut dem europäische Lobbyverband Echamp - dem seit Juli die DHU-Abteilungsleiterin Gesine Klein vorsitzt - nutzen über hundert Millionen EU-Bürger homöopathische und anthroposophische Mittel. Allein die Deutschen gaben vergangenes Jahr über 450 Millionen Euro für Heilmittel von Firmen wie DHU und Heel, Arcana und Hevert, Wala oder Weleda aus.
Schuld am Erfolg der Zuckerkugelei ist wohl vor allem die Schulmedizin. Seit Patienten im Minutentakt durch die Arztpraxen gejagt werden, steigt die Sehnsucht nach einer Behandlung, die den ganzen Menschen betrachtet statt nur seine laufende Nase. Bei einer homöopathischen Erst-Anamnese widmet sich der Therapeut etwa eine Stunde seinem Patienten - und das zeigt offenbar Wirkung: "Patienten, die sich homöopathisch behandeln lassen, weisen klinisch relevante Verbesserungen auf", schreibt der deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte. "Die Therapieeffekte sind hierbei für die Homöopathie ähnlich gut wie in der konventionellen Medizin." Deshalb könne aus Sicht der Versorgungsforschung von einem Nutzen der Homöopathie für das Gesundheitssystem ausgegangen werden.
Der Erfolg der Homöopathie ist aber auch das Ergebnis brillanten Marketings. In der Außendarstellung wird dem Kunden eine gänseblümchenheile Welt ohne Chemie und voller guter Absichten vermittelt. Tatsächlich aber nutzen die Unternehmen die gleichen rabiaten und auch anrüchigen Praktiken wie ihre Gegenspieler von der traditionellen Pharmaindustrie.
So suchen Heerscharen von Vertretern Ärzte und Apotheker heim, um homöopathische Produkte in den Markt zu drücken. Das medizinische Personal wird kostenlos mit Fachliteratur, Broschüren, Postern, Praxisbedarf beliefert. Sie werden zu Tagungen und Seminaren geladen und für Vorträge bezahlt, in denen sie bestimmte Produkte loben. Die Firmen finanzieren Sonderveröffentlichungen in Zeitschriften, Kongresse, Infotage, öffentliche Vorträge wie den von Fendius. Lobbyisten beeinflussen Politiker, um günstige gesetzliche Rahmenbedingungen zu schaffen - wie beispielsweise weniger aufwendige Prüfverfahren bei der Zulassung von Arzneimitteln.
Der große Durchbruch gelang den sanften Riesen 2005. Nach jahrelangem Kampf hatte die Krankenkasse Securvita vor dem Bundessozialgericht ein Urteil erwirkt, wonach alternative Heilbehandlungen wie die Homöopathie von den Kassen erstattet werden dürfen.
Mittlerweile übernehmen Dutzende Kassen homöopathische Behandlungen. "Uns ist sehr wohl bewusst, dass der Nutzen diskutiert wird", sagt ein Sprecher der Techniker Krankenkasse. Doch eine Kundenbefragung habe ergeben, dass die Beitragszahler sich das wünschen, als Ergänzung zur Schulmedizin. Die Nachfrage sei groß.
Die Barmer Ersatzkasse, die homöopathische Behandlungen seit dem 1. Januar 2010 im Programm hat, erklärt: "Derweilen spricht nichts dagegen, vielversprechende Neuerungen und nachgefragte Leistungen anzubieten. Das Sozialgesetzbuch und höchstrichterliche Entscheidungen unterstreichen die Rolle alternativer Heilmethoden in Ergänzung zur evidenzbasierten Medizin. Insofern verstehen wir Zusatzleistungen auch als Innovationsraum der Gesetzlichen Krankenversicherung."
Wahr ist sicher auch: Keine Kasse kann es sich leisten, die gutverdienenden Beitragszahler zu verlieren, die die Hauptklientel der Homöopathen ausmachen. Und wenn die besorgte Mutter die ständigen Kinderkrankheiten ihrer Nachkommen lieber mit billigen Zuckerkügelchen behandelt als mit teuren klassischen Arzneien, kann das den Kassen auch nur recht sein.
Falsche Anreize nennt man so etwas in der Wirtschaft.
Um wissenschaftliche Anerkennung bemüht, drängen die Globuli-Dreher auch in den Universitätsbetrieb. Die in Baden-Baden ansässige Firma Heel Biologische Heilmittel, bekannt durch Produkte wie Traumeel oder Angin-Heel, finanziert eine Stiftungsprofessur für Forschungsmethodik in komplementärer Medizin und Heilkunde am Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.
Leiter des Instituts und Inhaber der mit jährlich 100 000 Euro gesponserten Stelle ist Harald Walach. Der Psychologe hat die "generalisierte Quantentheorie" beschrieben, mit der er scheint's unerklärbare Phänomene zu erklären versucht - darunter unkonventionelle Therapien wie beispielsweise die Homöopathie.
Heel bekräftigt, keinerlei Einfluss auf die Lehrinhalte zu nehmen.
Was offenbar auch gar nicht nottut. Eine Teilnehmerin an einem berufsbegleitenden Master-Studiengang an Walachs Institut beschreibt, dass in einem Praxismodul Tipps für Mittel gegeben wurden, deren Namen überdurchschnittlich häufig auf "-eel" endeten. Ihr Erfahrungsbericht erschien in den Mezis-Nachrichten 2/2013, der Publikation der Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte. Während der Theorieteil an der Viadrina absolut produktfrei gewesen sei, habe das zweiwöchige Praxisseminar auf einer griechischen Insel eher einer Dauerparty geglichen, auf der Apotheker und Ärzte in lockerem Rahmen mit Pharmareferenten besprachen, wie man "diese großartigen Heilweisen am besten deutschlandweit bewerben" könne. Die Veranstaltung sei steuerlich absetzbar und als Fortbildung zertifiziert.
Tatsächlich wird dieses Seminar nicht von der Universität selbst, sondern von einem Kooperationspartner durchgeführt, der "Internationalen Gesellschaft für Homöopathie und Homotoxikologie" (IGHH). Ziel der Gesellschaft ist die Förderung von Forschung und Ausbildung im Bereich Naturheilverfahren und Homöopathie. Nach Durchsicht der Vorwürfe im Mezis-Artikel erklärt die Universität, dass die Dozenten des kritisierten Praxismoduls praktisch tätige Ärzte seien, die in die Weiterbildung auch ihre eigenen Erfahrungen einbringen sollen: "Dazu können auch Erfahrungen mit einzelnen Arzneimitteln gehören."
Der Firma Heel war der Artikel zu unspezifisch, um sich äußern zu können. Bemerkenswert sind aber die Querverbindungen: Hans-Heinrich Reckeweg, der verstorbene Gründer der Firma Heel und Erfinder der Lehre von der Homotoxikologie, war auch der Gründer der IGHH.
Mit Kritik tut sich die Verdünnungsbranche oft schwer. Wird sie angegriffen, schlägt sie auf eine Weise zurück, die man sonst eher von Kirchen oder Sekten kennt.
Die "Süddeutsche Zeitung" ("SZ") berichtete im Juni 2012 von der Website CAM Media.Watch, auf der Homöopathiekritiker persönlich angegriffen und boulevardesk verunglimpft werden - auch Kollegen von SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE. Eine Art Internetpranger, damals mit insgesamt 41 000 Euro pro Jahr ganz offen finanziert von den Firmen DHU, Heel, Staufen Pharma, Wala Heilmittel, Weleda und Hevert. Von der "SZ" befragt, teilten die Firmen mit, dass sie die vom Journalisten Claus Fritzsche geführte Website nicht diffamierend fänden; sie verwiesen darauf, dass es rechtens sei, Journalisten zu finanzieren, sofern dies transparent sei.
Nach dem Artikel jedoch zog sich Weleda vorzeitig aus der Finanzierung zurück. "Wir sind am echten Austausch und Feedback interessiert", begründete Weleda seine Entscheidung, "das bisherige Blogsponsoring werden wir in diesem Falle sofort stoppen."
Zum Dezember 2012 kündigten auch die fünf verbliebenen Firmen fristgemäß den Sponsorenvertrag mit CAM Media.Watch. Zeitgleich trennte sich der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte von Fritzsche, der als freier Mitarbeiter den vereinseigenen Blog moderiert hatte. Ohne die Finanzierung der Firmen betreibt Fritschze seine CAM Media.Watch nach eigenen Angaben nunmehr als Privatprojekt.
Auf jeden Fall bleibt er ein getreuer Mitstreiter im Kampf gegen all die gemeinen Globuli-Gegner da draußen. ■