„Ich kann neue Wege gehen“
ZUR PERSON
STEFAN BERG
geboren 1964 in Ost-Berlin, seit 1996 Redakteur beim SPIEGEL. Im Suhrkamp Verlag erschien in diesem Jahr seine Erzählung "Zitterpartie", in der er sich mit seiner Erkrankung auseinandersetzt.
GEORG EBERSBACH
geboren 1961 in Frankfurt am Main. Medizinstudium in Berlin. Ausbildung zum Facharzt für Neurologie an den Universitätskliniken Berlin und Innsbruck. Seit 1998 Chefarzt des Neurologischen Fachkrankenhauses für Bewegungsstörungen/Parkinson Beelitz-Heilstätten. Seit 2003 Privatdozent für Neurologie an der Charité Berlin. Vorstandsmitglied der Deutschen Parkinson Gesellschaft.
Morbus Parkinson ist eine harte Diagnose. Die Krankheit geht auf defekte Gehirnzellen zurück und schränkt die Bewegungsfähigkeit ein. Es gibt Medikamente, um die Beschwerden zu lindern, verschiedene Wirkstoffe. Und es gibt eine Art Hirnschrittmacher, der elektrische Impulse gibt und so die Bewegungsstörungen reduziert. Aber ist das alles? Was kann der Patient tun, um sich gegen die Krankheit zu stellen? Und wie kann der Arzt motivieren? Welche Potentiale stecken in dem Patienten? Reicht es, Tabletten einzunehmen? Helfen alternative, aktivierende Heilmethoden?
Über ihre Erfahrungen mit der chronischen Krankheit berichten Georg Ebersbach, Chefarzt der Parkinson-Klinik in Beelitz-Heilstätten, und Stefan Berg, einer seiner Patienten.
1. Die Diagnose
Ich begann, mich einer Totalkontrolle zu unterwerfen: Warum zuckt da etwas, wo es noch nie gezuckt hat? Und warum schaut mich da einer so seltsam an? Merkt jemand etwas?
Ich verspannte, verkrampfte. Ich war vollkommen fixiert auf die Krankheit. Unheilbar, das war ein seltsames Urteil. Heil, Unheil. Wie viel altes Leben, wie viel Normalität war mir noch erlaubt? Mir wurde erklärt, warum meine Bewegungen so seltsam wurden. Aber ich erfuhr nichts über die Unruhe in mir, in meinem Herzen, in meinen Träumen. Es gab nun keine Stunde mehr ohne Gedanken an die Krankheit. Ich erklärte Parkinson zu einem Begleiter, meinem zweiten Ich. Jetzt war die Krankheit wirklich ein Unheil.
Das Dilemma, dass das Schicksalhafte der Begegnungen zwischen Arzt und Patient immer nur Letzteren betrifft, lässt sich nicht auflösen. Was diese Begegnungen trotzdem erträglich und sinnvoll machen kann, lässt sich vielleicht am besten mit folgenden Worten beschreiben: Mitgefühl, Verantwortung, Zuwendung, Respekt, Demut. Wie schaffe ich es, Vertrauen zu wecken, mich als Helfer und Partner anzubieten - und trotzdem die professionelle Distanz zu wahren, die ein Mediziner braucht, um bestehen zu können? Wie kann es gelingen, dem Gegenüber begreiflich zu machen, was seine eigenen Aufgaben sind? Kann ich ihm helfen, eine Haltung zu finden, die trotz des Wissens, nie wieder gesund zu werden, ein lebenswertes Dasein erlaubt? Wenn ein Arzt sich sein Interesse für diese Fragen bewahrt, können es gute Begegnungen werden.
2. Die Therapie
Aber was noch wichtiger war: Der Sport war heilsam für meine Seele. Die Wackelei hatte mein Selbstbewusstsein beschädigt. Nun konnte ich etwas tun. Aktiv sein wie früher. Jeder Kilometer, den ich schaffte, zeigte mir, dass ich eben nicht nur krank bin, dass an mir noch immer mehr gesund als krank ist. Und ich war noch immer zur Geschwindigkeit fähig. Es war auch ein Versuch, die Krankheit abzuschütteln. Ich liebte es, mich selbst zu spüren. Manchmal schrie ich auf dem Rad. Ich brüllte meine Angst hinaus. Schreitherapie nannten wir das, ein guter Freund mit Multipler Sklerose und ich. Lebenszeichen. Erfolge. Und nicht nur warten müssen auf den nächsten Termin beim Arzt.
Über die Schwachpunkte des "Einstellens" habe ich viel durch die eigene Erfahrung gelernt: Schmerzen im Nacken, jede Kopfbewegung tat weh. Magenschmerzen und Müdigkeit durch Medikamente waren der Preis für kleine Schmerzpausen. Irgendwann entschloss ich mich, es mit Bewegungstherapie zu versuchen. Angeleitet durch einen guten Therapeuten entstand ein häusliches Trainingsprogramm, und nach einigen Wochen brauchte ich keine Pillen mehr.
Seit dieser Erfahrung kommt es mehr von Herzen, wenn ich meinen Patienten erzähle, dass Pillen allein nicht reichen. Aber einen Brandenburger Landwirt vom Segen regelmäßigen Trainings zu überzeugen kann trotzdem ein hartes Stück Arbeit sein. Ihn dann aber begeistert von seinen Fortschritten im Nordic Walking berichten zu hören, entschädigt für manche Mühen. Im Mittelpunkt steht, bei allen individuellen Unterschieden, die Suche nach der Erfahrung, selbst über das eigene Schicksal mitbestimmen zu können und eben nicht nur hilfloses Objekt der "Einstellung" zu sein. Diese Suche anzustoßen und zu unterstützen ist elementarer ärztlicher Auftrag, viel älter, mühsamer, zeitaufwendiger und wichtiger als die Einstellung von Medikamenten und Stromimpulsen.
3. Der Marathon
Gibt es einen Weg, krank und heil zugleich zu sein? Ich muss die Nachteile ertragen, aber suche die Vorteile der Veränderung. Kollateral-Vorteil, sagt ein Freund. Ich kann mich befreien vom Konkurrenzdenken. Ich suche eigene, neue Maßstäbe, an denen ich mich messe. In der Verlangsamung entdecke ich auch einen Gewinn: Ich kann ruhiger und intensiver leben. Ich werde die Langsamkeit nicht ertragen, ich werde sie genießen. Ich versuche es. Es ist verdammt schwer, richtig krank zu sein.
Es sind vor allem die subtileren Krankheitsfolgen, die es schwermachen, sich im gewohnten Alltag heimisch zu fühlen: nachlassende Stresstoleranz, Probleme im Umgang mit unerwarteten Situationen, Unfähigkeit zum Multitasking, Blockieren unter Zeitdruck, Zittern in sozialen Situationen. Man kann nicht mehr mithalten, tuckert viel zu langsam auf dem rechten Fahrstreifen, während das Leben der anderen auf der linken Spur in ungebremstem Tempo vorbeizieht. Vielleicht liegt in diesem Bild auch ein Ansatz für einen Ausweg, der an Sten Nadolnys Buch "Die Entdeckung der Langsamkeit" erinnert. Wer es schafft, das eigene Unvermögen zu permanentem Multitasking und Leistungsverdichtung anzunehmen, kann vieles entdecken, was sonst vom Rauschen übertönt wird. Sorgfalt und Konzentration auf einzelne Aufgaben, Achtsamkeit in menschlichen Kontakten oder Freude an Dingen, die man geneigt war auf ein "später, wenn ich mal Zeit habe" zu verschieben. Offenheit und Kommunikation sind wichtig, um am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld die Notwendigkeit der Entschleunigung verständlich und akzeptabel zu machen. Ein gutes Arztgespräch kann nicht nur dem Betroffenen, sondern auch seinem Partner, seiner Familie helfen, einen Umgang mit den veränderten Koordinaten und Eigenheiten zu finden.
Viele Betroffene geben dem ungebetenen Begleiter einen Eigennamen: "Mein Freund Parkinson", "James". Für manche ein Weg, Frieden mit einem Schicksal zu finden, das sich nicht abschütteln, aussitzen oder wegoperieren lässt. Umso besser, wenn man dann Möglichkeiten entdeckt, den Begleiter Parkinson vorübergehend vergessen zu machen, einen Abend ohne ihn auszugehen, in Urlaub zu fahren - und er muss zu Hause bleiben. Emotionen, Musik, Sport, Lachen: Es gibt viele Wege, der Krankheit ein Schnippchen zu schlagen oder, medizinischer gesagt: "endogene Dopaminreserven abzurufen". Psychische Faktoren können eine verblüffende Wirkung auf die Symptome der Erkrankung haben. Es ist sehr bewegend, wenn der eben noch leise und kaum verständlich flüsternde Musiker plötzlich einen volltönenden Tenor beim Singen eines Schubert-Liedes hören lässt oder die starrgesichtige und langsam dahinschlurfende Rentnerin beim Tanzen unerwartete Dynamik und ein strahlendes Lächeln gewinnt.
4. Der KlinikAufenthalt
Im Speisesaal herrschte Totenstille. Frühstücksbretter mit Nägeln, damit die Brotscheiben beim Schmieren nicht wegfliegen. Wer holt mich hier raus, dachte ich. Ich wollte meine Zukunft nicht sehen. Dann Tests: Wie schnell können Sie noch laufen? Kann die Hand noch ...? Noch, noch, noch. Ich sah Menschen, die total verkrampften bei diesen Untersuchungen.
Wenn die Tür aufging, drang Weiß ein, eine Armee von Spezialisten, die meine Symptome besichtigten und sich zur Beratung zurückzogen. Ich schwankte zwischen der Hoffnung auf Hilfe und der Angst, total ausgeliefert zu sein. Es war ein seltsamer Widerspruch: Ärzte, Therapeuten und Schwestern waren bemüht um mich, ich wurde wirklich bestens "eingestellt". Die Unruhe meines Körpers nahm ab, aber nicht die meiner Seele. Ich schrieb meinem Arzt. Wir haben lange darüber gesprochen.
Oft kommt es vor, dass sich in der Klinik gerade auch junge, aktive Betroffene in der Gesellschaft von viel stärker von Alter und Parkinson gezeichneten Mitpatienten überraschend wohl fühlen. Hier muss man seine Symptome nicht unterdrücken, sich nicht schämen, nicht verstecken. Was draußen unerwünschte Blicke anziehen mag, ist hier Normalität. Ein Patient mit einer schweren Krankheit fühlt sich in einer Klinik nicht als "Kunde" oder "Klient", auch wenn er im Neusprech des Gesundheitsmanagements gern so bezeichnet wird. Aber die Idee, dass ein Mensch auch als Patient ganz "unpatientige" Bedürfnisse hat, verdient mehr Beachtung: Respekt vor der Privatsphäre, Unterhaltung, Höflichkeit, Ästhetik, geistige und (warum nicht!) kulinarische Anregung dürfen keine Privilegien der für Privatpatienten reservierten "Komfortkliniken" sein.
5. Alternative Medizin
Auch wenn die klinische Forschung zu aktivierenden Therapien endlich begonnen hat Fahrt aufzunehmen, wird es noch sehr lange dauern, bis sich diese Methoden so stabil in den Behandlungsplänen etabliert haben, wie es ihrer Bedeutung entspricht. Der Weg dorthin führt über die Überzeugung von Fachgesellschaften, Politik und Kostenträgern. Und über seriöse wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit aktivierender Therapien, deren Finanzierung unendlich schwieriger ist, als dies bei Pharmaka der Fall ist. Ein wichtiger Grund, weshalb aktivierende Therapien vielleicht nie wirklich dieselbe wissenschaftliche Anerkennung erlangen werden wie die Pharmakotherapie, liegt allerdings auf der Hand: Bei der aktivierenden Therapie wird immer die menschliche Beziehung zwischen Behandler und Behandeltem eine Rolle spielen.
6. Das Verhältnis Arzt-Patient
Ebersbach: Wenn man ihren Wortsinn betrachtet, sind das eigentlich schöne Begriffe: Sprechstunde und Visite (Besuch). Aber es fällt oft schwer, den Wortsinn gegen Zeitdruck, Leistungsverdichtung und Ökonomisierung zu verteidigen. Das Sprechen wird gekürzt und der Besuch zu einer ziemlich einseitigen Angelegenheit. Parkinson passt schlecht in den Medizinbetrieb: Vieles geht so langsam, mühsam, umständlich - ein Alptraum für jeden Klinikmanager, der mit Fallpauschalen, Zeitbudgets und Leistungsziffern rechnen muss. In einem System, das minutenscharfe Begrenzungen für Arztgespräche, Toilettengang und Zähneputzen vorsieht, wird Parkinson zum Anachronismus. Gerade weil der Umgang mit Parkinson aber nicht in gängige Zeitschablonen passt, eröffnen sich mir Freiheiten, individuelle Wege zu suchen, um den Menschen gerecht zu werden, die sich mir anvertrauen. Zwei Fragen für eine Visite: "Was ist Ihr Problem?" und: "Was ist Ihr Ziel?" Nicht jedem Patienten wurden diese Fragen schon gestellt.