Wenn alles schwingt
Warum ruft denn keiner einen Arzt? Da redet jemand von Kontaktaufnahme mit der verstorbenen Mutter, von Halbedelsteinen, die das Gedächtnis ihrer Vorbesitzer bewahren, und von der Fähigkeit, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Alles in einem Tonfall, als wären das Selbstverständlichkeiten. Und niemand tippt sich an die Stirn oder bringt die weißen Kittel.
Vielleicht liegt es daran, dass der Mann selbst Arzt ist, Kittel trägt und keineswegs verwirrt erscheint. Im Gegenteil. Dr. med. Lothar Hollerbach führt seit 31 Jahren eine gutgehende Praxis für Allgemein- und Alternativmedizin und ist Verfasser des Szene-Bestsellers "Der Quanten-Code - Heilung und Selbstheilung durch die Ur-Energie". Die Fortsetzung "Es gibt keinen Tod" läuft bisher nicht so gut, trotz des nicht unattraktiven Untertitels "Warum wir unsterblich sind".
Aber ist es nicht so? Wir alle werden durch unsere "Sicht auf die Welt von vielen Irrtümern und Gedankenmustern abgelenkt, von Matrixinformationen, die uns unwissend und damit unmündig halten". So steht es im "Quanten-Code", also darf es nicht verwundern, Lothar Hollerbachs Zentrum für Ganzheitsmedizin in einem biederen Mehrfamilienhaus zu finden, weißverputzt mit Satteldach, kaum anders als die andere Bausparvertragsarchitektur in Handschuhsheim am Stadtrand von Heidelberg.
Das Wartezimmer ist gut gefüllt an diesem Mittwochmorgen, es riecht leicht ayurvedisch, eine Assistentin trägt eilig ein Tablett mit rotem Verband und einen Blutbehälter vorbei. Für Garderobe werde nicht gehaftet.
"Manche Patienten sagen, ich hätte ein höheres Bewusstsein. Das behaupte ich nicht. Mit dem Wort Guru kann ich nichts anfangen. Ebenso wenig mit der selbsternannten Heilerszene. Das ist mir zu unwissenschaftlich. Sagen Sie einfach: Doktor Hollerbach."
Der Mann spricht leise, er ist von wenig imposanter Gestalt, mit einer hervorspringenden Nase und auffallenden braunen Augen, einnehmenden Goethe-Augen. Wenn es in seinem Leben Katastrophen gegeben hat, dann haben sie in diesem Gesicht keine Spuren hinterlassen.
Im "Oberon"-Behandlungszimmer sitzt seit einer halben Stunde schon eine Patientin, die hier Ingeborg P. heißen soll. Sie ist 67 Jahre alt und war in Hollerbachs Praxis vor vielen Jahren erstmals zur Behandlung. Damals hatten sie die Zeichnungen ihrer Tochter so erschüttert, dass sie ihr Bett nicht mehr verließ. Auf den Bildern immer das gleiche Motiv: Mama tot im Sarg.
Ingeborg P. trägt einen "Photonentrigger" auf dem Kopf. Eine Art Kopfhörer mit zylinderförmigem Aufsatz, der an einen Computer und per USB-Kabel an einen Flaschenhalter angeschlossen ist, in dem eine kleine Phiole steht.
"Die Oberon-Diagnostik wurde im Rahmen der russischen Weltraumtechnik entwickelt", sagt Hollerbach und schaltet einen Beamer an. Offenbar geht es um Strömungen und "Grade von Unordnung", die abgebildet werden könnten.
"Herr Doktor Hollerbach, auf dieser Seite ist so ein Rupfen, so 'n komisches Stechen hier am Hals und da", Frau P. deutet vorn auf ihren Pullover.
An der Wand leuchtet, bunt und glänzend, das Bild einer Herzklappe auf. Darauf verteilt geometrische Figuren in diversen Farben. Die Herzklappe ist ein Datensatz in der Software, die bunten Quadrate und Dreiecke müssen irgendetwas mit dem Photonentrigger zu tun haben, den Ingeborg P. immer noch auf dem Kopf trägt.
"Da kann ich jetzt in die Molekularstruktur gehen", sagt Hollerbach. Er sitzt im Halbdunkel hinter der Patientin und bedient eine Maus. "Oder in die Mitochondrien-Membran." An der Wand erscheinen Zahlenreihen, "Nord- und Südspin", zwei Kurven und ein Band von Spektralfarben, das begleitet von angenehmen Plopp-Klängen hin und her flackert.
"Mein Mann ist so ein Problem", sagt sie. Offenbar verbringt er seine Abende vor dem Computer, auf der Suche nach Krankheiten, die er haben könnte. Die Oberon-Software baut jetzt lange Listen von Schädlichkeiten auf, Elektrosmog, Antibiotika, "Ischämische H-Krankheit", "Aqua solis". "Wassermoleküle können bis zu 10¹³ mal pro Sekunde schwingen. Dabei kann Wasser sehr viel Informationen aufnehmen."
Eine Assistentin schaut kurz herein: "Die Frau Schmidt hätt' gern noch was für ihre trockenen Augen." Hollerbach nennt, ohne den Tonfall zu wechseln, ein paar Homöopathika und fährt fort: Alles im Kosmos bestehe aus Schwingungen, die Schulmedizin liefere leider nur teilweise die passenden Schwingungen, zu häufig dagegen Störschwingungen.
Ingeborg P. unterdrückt ein Gähnen. Sie kommt alle sechs bis acht Wochen in die Praxis. Sie weiß natürlich, dass man Trinkwasser nicht neben ein Radio stellen darf. "Das mache ich gar nicht mehr, Herr Doktor." "Gut. Mit einer kleinen Meditation vor dem Trinken können Sie den Spin der Elektronen des Wassers verändern."
Das Oberon-System hat inzwischen herausgefunden, dass Belladonna und Kamille indiziert sein könnten. Die schwarzen Quadrate da über den Herzkranzgefäßen seien, erklärt Hollerbach, nur "Körpererinnerungen. Da haben wir aber schon eine kompensatorische Reaktion von 58 Prozent".
"Da bin ich beruhigt", sagt P., sie habe schon einen Schreck bekommen. Hollerbach empfiehlt Spaziergänge, um mehr Sauerstoff ins Herz zu bekommen. "Nehmen Sie auch Ihren Heilstein mit, den Turmalin, und zweimal täglich fünf Tropfen Cactus magnesium." Ingeborg P. setzt den Photonentrigger ab und bedankt sich: "Den Stein habe ich mir schon besorgt. In Schwarz."
Eigentlich war Hollerbach schon auf dem Weg, Herzchirurg zu werden, als er durch einen Selbstversuch zur alternativen Medizin kam: "Ich hatte eine Infektanfälligkeit, probierte einige Male homöopathische Mittel und merkte: Ups, das funktioniert."
Inzwischen hat er Patienten aus dem ganzen Bundesgebiet, im Schnitt zwei pro Stunde, zwischen 9 und 15 Uhr. Manche kommen schon in der zweiten Generation. Vielleicht liegt es daran, dass die Praxis einen One-stop-Service bietet. Es gibt quasi alles. Neben Oberon und klassischer Allgemeinmedizin auch "Mitochondrientherapie" und "Cellsymbiose", "Körpertambura", "Megafrequenztherapie", außerdem "biologische Krebstherapie" und natürlich die "Quantentherapie Dr. Hollerbach".
Es ist die komplette Palette der Alternativmedizin von "Akupunktur" bis "Zellulärer Matrix-Revitalisierung". Ein Rundum-Angebot, dessen Breite umso mehr beeindruckt, als jede einzelne Therapie den Anspruch auf Ganzheitlichkeit erhebt.
Wozu dann die ganze Auswahl? Hollerbach räumt ein, dass dies auf den Laien befremdlich wirken kann: "Aber jeder Mensch hat seine eigene Krankheit und leidet in seiner ganz besonderen Weise. Für jeden muss ein eigener Weg gefunden werden."
Er sehe sich durchaus in der Tradition der anerkannten "Heidelberger Schule" von Viktor von Weizsäcker, von Richard Siebeck, von Ludolf von Krehl. Allesamt Schulmediziner, die erkennen mussten, dass die Naturwissenschaft nur ein blasses Fundament für die eigentliche, die subjektive Heilkunst sein könnte.
Die Quantentheorie ist heilkundlich ein dankbares Terrain. Sie verlockt dazu, als ziemlich einziger Teil der Grundlagenphysik, kuriose, ja hanebüchene Aussagen anzustellen, ohne die Aura des Naturwissenschaftlichen aufzugeben.
Hollerbach distanziert sich von all den Heilern und Freizeitschamanen der Szene. Er trägt den weißen Kittel des Wissenschaftlers, keine wallenden Batikgewänder.
"Ich kann zur Heilung verhelfen", sagt er jedem neuen Patienten. "Versprechen kann ich sie nicht." Wenn der Erfolg ausbleibt, kann es auch am Bewusstsein des Patienten liegen. Das ist Quantentheorie.
Es spricht für ihn, dass Hollerbach sich klassischen Therapien nicht in den Weg stellt. Wenn ein Kind einen Tumor hat, muss es Chemotherapie bekommen. Alles Sanfte kann da nur begleitend helfen, mehr nicht.
Für Kassenpatienten bekommt er 35 Euro im Quartal, die Privatpatienten zahlen 120 Euro pro Visite. Sie kommen dennoch. Schon rührend, wie sie vor seinem Schreibtisch sitzen, die Hände gefaltet und zu Sätzen nicken wie: "Ich versuche jetzt, die Gegeninformation aufzulösen." Angela, die übergewichtige Krankenschwester, der es im Rücken zwickt. Frau N., die eigentlich ihren Frieden mit dem Dahindämmern ihrer 92-jährigen Mutter gemacht hat, aber jetzt, "als ich die Urne mit Muttis Asche sah, bin ich doch aus der Bahn geworfen".
"Sie sehen, wie wenig wir sind, unser Körper besteht zu 70 bis 90 Prozent aus Wasser. Davon ist ein milliardstel Teil Masse, der Rest nur Vakuum. Im Moment des Todes löst sich der Lebenskörper vom physischen Körper. Dabei merken 80 Prozent der Gestorbenen ja gar nicht, dass sie tot sind."
"Ach, Herr Dr. Hollerbach."
Steiner, Buddha, Heisenberg, Schrödingers Katze und das Matthäus-Evangelium, Akasha-Chronik, Jesus und Max Planck. Allem und jedem kann der Naturmediziner etwas abgewinnen. "Unordnung ist die Möglichkeit, Ordnung herzustellen und Heilung in Gang zu setzen." Es ist ein sanfter, angenehmer, ununterbrochener Strom von Sätzen, der dem Arzt scheinbar mühelos entspringt, irgendwie einleuchtende Sentenzen, Küchen-Weisheiten, Glaubenssätze, zugleich zeitlos ewig und mit ziemlich kurzer Halbwertszeit, jedenfalls unter rationaler Betrachtung - aber darum geht es ja nicht. Hier spricht jemand, der irgendwie mehr weiß, als in der "Apotheken-Umschau" steht.
Hollerbach kann zuhören und reden, und er trägt den weißen Kittel des Arztes. Er gibt seinen Patienten Bilder und Begriffe, mit denen sie sich zu sich selbst verhalten können, etwas, um sich gegen die Technizität der Schulmedizin besser behaupten zu können. Aber vielleicht kommen die Leute aus einem anderen Grund zu ihm.
Dieser Mann glaubt wirklich, was er sagt. ■