„Wie schlimm tut es weh?“
Bei der Geburt meines ersten Kindes, ich entband in einem Krankenhaus in Berlin, lernte ich viele Hebammen kennen. Zwei von ihnen bleiben mir in besonderer Erinnerung.
Die eine, Tee und ein feuchtes Läppchen in der Hand, betrat das Zimmer. Es war später Abend, hinter mir lagen zwölf Stunden Agonie.
Sie fragte: "Auf einer Skala von eins bis zehn - wie schlimm tut es weh?"
Ich sagte: "Zehn."
Das schien ihr nicht recht. So wenig tapfer durfte eine Gebärende in ihrer Schicht nicht sein.
Sie sagte: "Nein, das geht nicht. Dann sterben Sie."
Ich: "Genau."
Dann ging sie weg und kam nicht wieder.
Die Nächste, mein Gejammer zerrte wohl an ihren Nerven, erzählte mir eine Geschichte.
"In Afrika", begann sie, "da bekommen die Frauen ihre Kinder auf dem Feld."
Ich nickte.
"Aber wenige Stunden später, da binden sie sich ihr Baby um den Leib und arbeiten weiter."
In diesem Moment riss etwas in mir. Seelisch. Ich konnte den ganzen Mist von Tee und Afrika und Durchhalten nicht mehr hören. Ich schrie und schrie und hörte nicht mehr auf, bis die Hebamme weg war und mir einen Arzt holte. Und dann schrie und schrie ich, bis der Arzt weg war und mir einen Narkosearzt holte. Und dann legte mir der Narkosearzt eine Betäubung ins Rückenmark, und ich musste nicht mehr sterben. Irgendwann kam auch das Kind auf die Welt. Ich band es mir nicht um den Leib.
Ich bin damals einem großen Irrtum aufgesessen, er beschäftigte mich lange. Ich hatte beschlossen, zu glauben, was man mir erzählte: Dass die Schwangerschaft vor allem eine Zeit des Gefühls sei, des Glaubens an die Kraft des eigenen Körpers. An die Natur.
Das ist natürlich großer Unfug.
Eine Schwangere fühlt viel. Oftmals tiefer, kräftiger als je zuvor. Aber sie besitzt nach wie vor ihren Verstand. Und den über die Dauer einer Schwangerschaft zu behalten, ist wichtig.
Ich habe das Theater neun Monate lang mitgemacht. Mich gefragt, welches Hustenbonbon ich schlucken darf, wie viel Kaffee trinken, welches Meersalzspray benutzen. Einer meiner ersten Einträge in das Tagebuch, das ich in dieser Zeit geführt habe, lautete: "Hallo Baby. Magst du den Tofu, den ich ständig esse? Mir schmeckt er nicht."
Ich bin zur Akupunktur gegangen, habe allerlei Kräutertees getrunken und in der Yogastunde versucht, in meine Plazenta zu atmen.
Ich hatte damals keine wirklichen Probleme. Also verbrachte ich die Tage damit, mich auf den Tag X, die Geburt, vorzubereiten.
Die Rechnung, die man als Schwangere in dieser Zeit aufmacht, lautet: Wenn du jetzt schon wegen Kopfschmerzen jammerst, wie willst du dann ein Kind auf die Welt bringen? Und so beginnt man, nach vielen Jahren, in denen auch Paracetamol und Antibiotika durchs Leben geholfen haben, an einen Voodoo aus Tee, Ölen und Atmen zu glauben. Und setzt sich nicht mehr ins Flugzeug wegen der Strahlung. Und geht nicht öfter zum Ultraschall als nötig, wegen des Lärms für das Baby.
Und was soll einen auch davon abhalten? Ein bisschen Tee, Öle, Atmen schadet ja nicht, oder?
In meinem Geburtsvorbereitungskurs zog die Hebamme kurz eine Babypuppe durch eine Mamapuppe, damit war der medizinische Teil abgeschlossen. In den Stunden darauf ging es vor allem darum, wie wir Frauen uns während der Geburt selbst in dunklen Stunden aufrichten können, wie der Partner dabei hilft. Ziel all des Hechelns und Meditierens war: Wie vermeidet man den Arzt. Und vor allem, nur sagte das keiner: einen Kaiserschnitt.
Ich weiß noch, dass ich damals fragte: "Was passiert bei einem Kaiserschnitt?" Die Frage wurde nicht beantwortet, denn eine andere Frau schloss mit einer wichtigeren an: Ob man sich in einem solchen Fall gegen das Abrasieren der Schamhaare wehren könne? Sie empfände das als Nötigung. Da musste selbst die Hebamme zugeben, dass Ärzte im Notfall mehr Rücksicht auf das Baby als auf die Schamhaare nehmen würden.
Sicher, Momente wie diese kamen mir seltsam vor. Aber insgesamt habe ich fest daran geglaubt, dass all dieser Hokuspokus dabei helfen könnte, eine unkomplizierte Geburt hinzulegen: Ein kurzes, großes Aua, dann der Schrei, und schon würden wir eine kleine Familie sein. Schließlich war ich jung und gesund und in der Yogastunde die Letzte, der die Puste ausging.
Natürlich kam es anders.
Die Geburt selbst erlebte ich nicht, für den Notkaiserschnitt bekam ich eine Vollnarkose. Die ersten Stunden mit dem Baby auch nicht, denn ich lag auf der Intensivstation. Das erste Mal gefüttert hat das Baby mein Mann. Es gibt ein herzzerreißendes Bild von ihm, dem Kind und einer kleinen Plastikspritze.
Alles ist gutgegangen, alle waren schnell wieder gesund, und ich singe bis heute Halleluja, dass ich in einem Krankenhaus entbunden habe, in dem wenigstens die Ärzte alle fünf Sinne beisammenhatten.
Wo genau ist das Problem? Was können Tee, Öle, Atmen dafür, dass ich am Ende doch unters Messer geriet?
Nichts. Gar nichts. Aber das Unbarmherzige an diesem diffusen Glauben an die Natur und den eigenen Körper ist, dass er einem suggeriert, man hielte sein Schicksal selbst in der Hand. Und damit wird alles, was den vermeintlich naturgegebenen Ablauf von Schwangerschaft und Geburt stört, zur eigenen Verantwortung. Noch zum Schluss, Minuten vor dem Kaiserschnitt, schien es mir reine Willenssache, mein Kind natürlich auf die Welt zu bringen.
Aber nichts hatte geklappt. Kein Atmen, keine Entspannungsübung. Schon die ersten Wehen haben mich körperlich komplett umgefegt. Die Hebammen, die vor allem das Tapfere an Müttern schätzen, behandelten mich wie ein Kind. Da war es wieder, dieses: Mütter müssen leiden können. Und jetzt fühlte ich mich als Versagerin.
Im Grunde hätte mir damals jemand zweimal fest ins Gesicht schlagen müssen. Einmal links: "Alles ist gut. Dem Baby ist nichts passiert." Einmal rechts: "Auch Madame leben noch. Schluss mit dem Gejammer."
Stattdessen saß in meiner Küche wenige Tage nach der Geburt wieder meine homöopathisch geschulte Hebamme und versuchte, mit mir über das Trauma, das dieser Kaiserschnitt ganz sicher für mich bedeutete, zu sprechen.
Ich hätte sie rauswerfen sollen.
Denn im Grunde bevormundete sie mich in einer Art, die ich mir sonst in meinem Leben nicht gefallen lasse. Woher nahm sie das Recht, so mitleidig mit mir zu tun? Weshalb redete sie mir ein schlechtes Gewissen ein, das ich gar nicht haben musste? Was war denn so schlimm an einem Kaiserschnitt? Noch dazu an einem, der zwei Leben rettete?
Auf einem Kindergeburtstag, ich war wieder schwanger, traf ich eine Ärztin, die Ähnliches erlebt hatte. Sie erzählte von der Schmach, die der erste Notkaiserschnitt für sie bedeutete. "Bei meinem zweiten Kind", sagte sie, "sollte es klappen." Es klappte nicht, die Ärzte sahen einen Herzfehler, der es riskant werden ließ, dem Kind die Geburt zuzumuten.
"Ich wollte", erzählte die Frau, "in den Wald rennen. Das Kind allein bekommen. Wirklich, das hatte ich vor." Schließlich schaffe das "jeder dumme Teenager". Das Kind wurde geholt, operiert, ist gesund.
Ich sagte: "Du bist doch Ärztin? Du musst doch wissen, dass das notwendig war?"
Sie antwortete: "Ja. Aber bei dem Thema bin ich nicht ich selbst."
Peng, da war er. Der Wunsch, wieder ich selbst zu werden.
Einige Wochen später vereinbarte ich einen Kaiserschnitttermin. Der Arzt hatte mir dazu geraten. Außerdem wollte ich es. Es war eine wunderbare Geburt. ■