Heißer Stoff
Der feingemahlene Matcha, der würzig duftende Longjing, der vielseitige Sencha - es sind Namen, die für fernöstliche Teekultur und Weisheit stehen.
Seit vielen Jahrhunderten vertraut man in Ländern wie China und Japan auf die heilende Wirkung des grünen Tees. Dort gilt er als Lebenselixier und Schlüssel zu einem langen Leben - eine Erkenntnis, die in den neunziger Jahren auch in den Westen gelangte, als die ersten Studienergebnisse in internationalen Fachjournalen über die Wirkung des Heißgetränks publik wurden.
"Warum Grüntee-Trinken Krebs verhindern könnte": Unter diesem Titel veröffentlichten US-Forscher 1997 einen Artikel, der es in das renommierte Wissenschaftsjournal "Nature" schaffte - und auch bald in die Publikumspresse. Erstmals postulierten die Forscher einen molekularen Mechanismus, der eine krebshemmende Wirkung erklären könnte: Eine Substanz namens Epigallocatechin-3-gallat, kurz EGCG, blockiert ein wichtiges Enzym, das bei der Vermehrung von Krebszellen eine bedeutende Rolle spielt. Zwei Jahre später entdeckten Bonner Forscher eine ähnliche Wirkung des EGCG in Rattenzellen.
Die Wissenschaft war damals noch weit entfernt von klinischen Studien am Menschen, mit denen man eine krebshemmende Wirkung hätte eindeutig beweisen können. Den deutschen Verbraucher interessierte das aber nicht, er nahm die Kunde vom potenten Heilmittel freudig an: "Wellnessgetränk Grüner Tee sorgt für Marktdynamik", titelte die "Lebensmittel Zeitung" 1998. Grüntee wurde zum Renner, der Absatz vervielfachte sich.
Doch schützt Grüntee nun wirklich vor Krebs? 2009 kam die Cochrane-Collaboration nach Auswertung von 51 klinischen Studien zu einem ernüchternden Fazit: Der Beweis, dass der Konsum von Grüntee Krebserkrankungen vorbeugt, sei bisher nicht erbracht.
Gleichwohl hat sich in der EGCG- und Grüntee-Forschung in den vergangenen Jahren viel bewegt: Hunderte Studien feiern die gerösteten oder gedämpften (und damit im Gegensatz zu schwarzem Tee unfermentierten) Blätter der Camellia sinensis nahezu als Wunderwaffe gegen allerlei Krankheiten. Von Schlaganfall, Arteriosklerose, hohem Blutzucker, Alzheimer, Parkinson, Multipler Sklerose, über Karies und Virusinfektionen, Prostatakrebs, Darmkrebs, Brustkrebs und Leukämie, sogar bis hin zur Fettverbrennung: Es gibt kaum ein medizinisches Gebiet, das dem Grüntee verschlossen scheint.
Gern erzählt wird die Geschichte des Heidelberger Onkologen Werner Hunstein, der an einer seltenen, aber sehr schweren Krankheit litt: der Amyloidose. Dabei lagern sich Proteine an Organen ab und zerstören diese mit der Zeit. Da Laboruntersuchungen am Max-Delbrück-Centrum in Berlin gezeigt hatten, dass EGCG diese Eiweißverklumpung verhindern kann, erhielt Hunstein 2006 den Rat, es doch mit grünem Tee zu versuchen.
Zwar zählt diese Studie zu einer der aussagekräftigsten über Grüntee, gleichwohl lässt sie Fragen offen: Entfaltet sich die Wirkung möglicherweise nur in der japanischen Bevölkerung? Und ist EGCG allein für den Effekt verantwortlich, oder spielen Wechselwirkungen mit anderen Substanzen im Grünen Tee eine Rolle?
Um das zu klären, sind Placebo-kontrollierte Studien nötig. Genau dieses Experiment führen derzeit Mediziner um Thomas Seufferlein, Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Ulm, durch. Die Forscher wollen wissen, ob täglich zwei Kapseln Grüntee-Extrakt mit jeweils 150 Milligramm EGCG vor Dickdarmkrebs schützen, indem sie das Wachstum von Darmpolypen verhindern. Erst in einigen Jahren erwarten sie die Resultate. Doch die Hoffnungen in das nach Angaben der Wissenschaftler bisher weltweit größte Forschungsvorhaben dieser Art zu Grüntee sind groß: 2,1 Millionen Euro lässt sich die Deutsche Krebshilfe das Projekt kosten - entsprechend haben sie es auch benannt: "Miracle." ■