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Ungewöhnliche Stellenanzeige Warum ein Unternehmer nach "unmotivierten Taugenichtsen" sucht

Mehr als zwei Jahre suchte Jochen Kalz Mitarbeiter für seinen Betrieb - mit konventionellen Anzeigen und bescheidenem Ergebnis. Dann hatte er eine andere Idee.
Jochen Kalz und Mitarbeiterin Barbara Baumer mit ihrer Stellenanzeige

Jochen Kalz und Mitarbeiterin Barbara Baumer mit ihrer Stellenanzeige

Foto: Petra Schlierf / PNP

Die persönliche Revolte von Jochen Kalz, Inhaber und Geschäftsführer von "Kalz Brandschutz und Elektrotechnik", begann an einem Sonntag im Februar nach einem ausgiebigen Frühstück, als Kalz sich in seine Firma aufmachte, voller Wut.

Kalz, eigentlich ein besonnener Mann, hatte sich am Frühstückstisch in Rage geredet, seine einzige Zuhörerin war Barbara Baumer, seine Partnerin und, wie Kalz es beschreibt, "meine kaufmännische Assistenz im Betrieb".

Barbara Baumer saß ihm gegenüber, während Kalz sich heißredete. Er sprach darüber, dass er täglich zehn, zwölf Stunden in seiner Firma arbeite, dass der letzte Urlaub über zwei Jahre zurückliege, dass er einen Gutteil seiner Tage damit verbringe, Kunden zu erklären, warum er ihre Aufträge verschieben musste, um Tage, um Wochen, um Monate. Es war immer derselbe Grund: Ihm fehlten Mitarbeiter.

"Es war eine zutiefst unbefriedigende Situation", sagt Kalz nun am Telefon und deutlich ruhiger. So hatte er sich sein Leben nicht vorgestellt. Es musste sich etwas ändern, dringend.

Seit mehr als zwei Jahren suchte Kalz Mitarbeiter für seinen Betrieb. Meister, Bachelor-Absolventen aus der Fachrichtung Elektrotechnik, Facharbeiter, Metallhandwerker, Kundendiensttechniker und Helfer. Kalz hatte in der Lokalzeitung inseriert, in der "Passauer Neuen Presse", im "Vilstalboten", einem Anzeigenblatt. Er war bei der Agentur für Arbeit, hatte die Beamten um Bewerber gebeten, und auch auf Facebook hatte er es versucht: "Um unserem Wachstum gerecht zu werden, suchen wir ...", es folgte Kalz' lange Liste.

"Das Ergebnis war bescheiden", fasst Kalz seine Erfahrungen aus diesen zwei Jahren zusammen. Vorruheständler seien bei ihm erschienen, pleitegegangene Gastwirte hätten vor seiner Tür gestanden, nutzlose Männer ohne Führerschein. "Niemand war qualifiziert, niemand schien verlässlich."

Kalz ist Teil des deutschen Mittelstands. Menschen wie er, so hört er Politiker immer wieder sagen, seien die Garanten für Wohlstand, Innovation und Beschäftigung. Firmen wie seine seien der Motor der Wirtschaft. Es gab mal eine Zeit, da freute sich Kalz über solches Lob, sah es als Ansporn, heute hält er diese Sätze für Phrasen.

Kalz fühlt sich schon lange nicht mehr als Innovator, nicht wertgeschätzt von der Politik, er fühlt sich "übervorteilt".

Der demografische Wandel macht ihn fertig, und "die Industrie gewinnt zu oft im Konkurrenzkampf um potenzielle Mitarbeiter. Da haben wir keine Chance". BMW produziert nicht weit weg in München, Audi in Ingolstadt, auch die Wacker-Chemie sei in der Nähe. "Bei denen landen die Mitarbeiter, die es noch gibt auf dem süddeutschen Stellenmarkt."

Kalz musste seine Lage verbessern, er brauchte einen Wettbewerbsvorteil, er brauchte etwas, was seinen Betrieb einzigartig machte. Deshalb saß er an diesem Sonntag im Februar in seiner Firma und googelte verbissen nach einer Lösung für sein Problem.

Kalz kann nicht mehr genau sagen, wie er auf die Idee kam, er kann nur sagen, dass die Idee plötzlich da war.

Sie passt in einen knappen Satz: Humor ist Mangelware in der Wirtschaft. Das war Kalz' zentrale Einsicht. Alle Firmen konkurrieren um Aufträge, um Mitarbeiter, sie kämpfen um die besten Margen, um mehr Umsatz, mehr Gewinn. Es ist kalt da draußen, unbarmherzig, nicht lustig.

Kalz wollte es wagen, lustig zu sein, selbstironisch sogar. Er würde sich kleinmachen, um sich von allen anderen zu unterscheiden, um endlich neue, fähige Mitarbeiter zu finden. Kalz gefiel die Idee der Selbstironie, einerseits.

Andererseits beunruhigte sie ihn aber auch, immerhin verkauft er als "Vollsortimenter im präventiven Brandschutz" Sicherheit, Verlässlichkeit und Korrektheit.

Kalz lebt und arbeitet in Eggenfelden, einer Kleinstadt mit knapp 15.000 Einwohnern. Er fragte sich, ob seine Idee wirklich gut war oder ob sie seinen Ruf vielleicht doch ruinieren würde. Aber Kalz fiel nichts anderes ein, also setzte er seine Idee um. Man kann es den Mut der Verzweiflung nennen.

Gut eine Woche später erschien Kalz' neue Stellenanzeige in der Lokalzeitung. Er beschrieb seine Firma nicht mehr wie üblich als "überregional tätiger Dienstleister im Bereich des vorbeugendes Brandschutzes", sondern als "Möchtegernunternehmen", den Chef als "inkompetent und planlos", gesucht wurden "unmotivierte Taugenichtse". Außendienstlern wurde ein Bobbycar versprochen, dem Rest ein "17er für's Freibier".

Die Anzeige erschien an einem Samstag. Gegen 8.30 Uhr rief der erste Bewerber an, und bis Mitte der kommenden Woche saß Kalz vor allem am Telefon. Mehr Bewerber riefen an, der Entwicklungschef einer großen Automobilfirma, ein paar Psychologen, Freunde, Bekannte, Nachbarn. Von ein paar Uneinsichtigen abgesehen, gratulierten alle Kalz zu dem mutigen Entschluss, sich selbst mal nicht so ernst zu nehmen. Das sei sehr angenehm, sehr undeutsch und sehr nötig. Es sei nur gerecht, dass er dafür belohnt werde.

Am Ende lagen die Unterlagen von 25 Bewerbern vor ihm, manche fachfremd, andere überqualifiziert wie die Ingenieure von Siemens und Osram, deren Papiere Kalz gleich zur Seite schob. Kalz stellte einen Deutschen ein, der im Vertrieb arbeiten wird, und einen Techniker, der aus Syrien stammt.

"Das war 'ne gute Aktion", sagt Kalz am Telefon. Er plant auch schon etwas Neues.

Was denn?

"Betriebsgeheimnis."

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