Studienfinanzierung in Dänemark 820 Euro pro Monat vom Staat, einfach so
Sie ist in einer komfortablen Situation, das sagt Katrine Sønderborg selbst. In Odense, der drittgrößten Stadt Dänemarks, macht sie ihren Master in Public Policy and Welfare Studies; viel Zeit für Nebenjobs bleibt nicht, von ihren Eltern erhält sie keine finanzielle Unterstützung. Geldsorgen hat sie trotzdem nicht. Jeden Monat landen 6090 dänische Kronen (knapp 820 Euro) auf ihrem Konto, ein Geschenk vom Staat. "Das nimmt sehr viel Stress raus, ich kann mich ganz aufs Studium konzentrieren", sagt die 26-Jährige.
Die Statens Uddannelsesstøtte, kurz SU, ist das dänische Gegenstück zum deutschen Bafög. Umgerechnet knapp 820 Euro kann jeder Student im Monat vom Staat bekommen, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Der Zuschuss läuft durchschnittlich über sechs Jahre, zurückgezahlt werden muss nichts, lediglich Steuern gehen davon ab. Rund 85 Prozent der Studenten nehmen die SU in Anspruch. Zum Vergleich: Bafög beziehen in Deutschland gerade einmal 20 Prozent.
Niklas Ferch, Mitarbeiter an der Universität Gießen, hat das deutsche mit dem dänischen System verglichen. Beide seien Anfang der Siebzigerjahre mit demselben Ziel entstanden: allen jungen Menschen die gleichen Chancen auf ein Studium zu verschaffen. "Die Ausgestaltung ist aber völlig unterschiedlich", sagt Ferch. "In Deutschland springt der Staat erst ein, wenn Studierende von ihren Eltern nicht unterstützt werden können. Das ist in Dänemark ganz anders. Hier gibt es ein universelles Recht auf staatliche Förderung."

Ausgabe 2/2018
Alles auf Los
Über den Zauber des Neuanfangs
Für Emil Chemnitz ist das ein wichtiges Kriterium. Der 23-Jährige studiert Politikwissenschaft an der Universität Kopenhagen. Zwar arbeitet er ein paar Stunden pro Woche für eine Gewerkschaft. "Das mache ich aber vor allem, um Berufserfahrung zu sammeln. Die SU würde mir zum Leben reichen", sagt er. "Ich könnte mir nicht vorstellen, von meinen Eltern noch Unterstützung zu erhalten. Ich bin erwachsen, da möchte ich nicht um Geld betteln."
Viele seiner Kommilitonen verdienen sich ohnehin noch etwas hinzu. Gerade in der Hauptstadt, wo die meisten Dänen studieren, sind die Lebenshaltungskosten hoch: Ein kleines Bier oder ein Milchkaffee kosten in der Regel umgerechnet mehr als vier Euro, auch Wohnungen sind teuer. "Für Freizeitvergnügen ist der Staat natürlich nicht verantwortlich", meint Chemnitz. "Und jeder hat die Möglichkeit, in ein günstiges Wohnheim zu ziehen." Er selbst lebt mit anderen Studenten zusammen in Frederiksberg, etwas außerhalb vom Zentrum Kopenhagens. Ab und zu ins Kino oder Restaurant zu gehen sei durchaus drin.
Doch selbst wer mit der SU nicht auskommt, wird eher einen zusätzlichen Studentenkredit aufnehmen, als die Eltern um Hilfe zu bitten. Unabhängigkeit und Selbstbestimmung spielen für die Dänen eine wichtige Rolle. 96 Prozent der Studenten ziehen von zu Hause aus, nur drei Prozent ihres Budgets kommt im Schnitt von den Eltern.
In Deutschland dagegen bleibt ein Fünftel daheim; wer auszieht, finanziert die Hälfte der Lebenshaltungskosten durch familiäre Unterstützung. "In Dänemark ist ganz stark die Vorstellung verankert, dass man mit 18 Jahren ein eigenständiger Mensch ist", sagt Katharina Wrohlich vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "In Deutschland sind die Eltern für ihre Kinder verantwortlich, bis die ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Das spiegelt sich im gesamten Unterhaltsrecht wider." So zahlt der deutsche Staat Kindergeld an die Eltern, bis der Nachwuchs 25 Jahre alt ist. In Dänemark endet diese Leistung mit der Volljährigkeit.
Durchfallen, ohne dass Zeitdruck entsteht
Die Studienfinanzierung hingegen ist nicht an eine Altersgrenze gebunden. Während Erstsemester in Deutschland höchstens 30 Jahre alt sein dürfen, um Bafög zu erhalten, kann in Dänemark auch ein 40-Jähriger noch das Geld für die Regelstudienzeit beziehen. Wer innerhalb der ersten beiden Jahre nach dem Schulabschluss mit dem Studium beginnt, kann die SU für zusätzliche zwölf Monate erhalten. "Ich finde es sehr beruhigend, dass es diesen Puffer gibt", sagt Politikstudent Chemnitz. "In den Zwanzigern können so viele Dinge passieren. Da ist es gut, dass man auch mal durch eine Prüfung fallen kann, ohne dass direkt Zeitdruck entsteht."
Tatsächlich haben die Dänen es mit dem Studieren nicht eilig. Mehr als ein Drittel der 25- bis 29-Jährigen studiert noch, im OECD-Vergleich sind nur Australier und Finnen ähnlich lange eingeschrieben. Bei aller Großzügigkeit: Das ist in den Augen der Regierung nun doch zu lange. Das Geld sporne die Studenten geradezu dazu an, länger zu studieren als notwendig, befand die Politik vor Kurzem. Kürzungen seien deshalb angebracht.
Doch das stößt im Land auf Widerstand. Immer wieder gibt es in den Uni-Städten öffentliche Proteste. In Kopenhagen versammelten sich Ende des vergangenen Jahres zahlreiche Gegner der Sparpläne auf dem zentralen Nytorv-Platz. Mit bunten Luftballons und Musik machten sie auf sich aufmerksam, dazu hielten sie Plakate in die Höhe: "Studenten sind Dänemarks Zukunft", stand darauf, und "Erhaltet die SU".

Dänische Flagge
Foto: Daniel Reinhardt/ picture alliance / dpaDie Dänen sind empfindlich, wenn es um die Kürzung sozialer Leistungen geht. Sie betrachten den Wohlfahrtsstaat als Errungenschaft. Die hohen Steuern, die dafür nötig sind, werden allgemein akzeptiert, auch die Parteien unterstützen das System. "Ein solches Maß an Umverteilung ist in Deutschland gar nicht vorstellbar", sagt DIW-Ökonomin Wrohlich. Dänemark sei nämlich nicht nur deutlich kleiner; die Einkommens- und Vermögensunterschiede seien auch wesentlich geringer. "Und je kleiner und homogener ein Land ist, desto größer auch die Bereitschaft, zur Umverteilung etwas beizutragen."
Dass die auf diese Art finanzierte Studentenunterstützung wirklich zu Chancengleichheit führt, ist allerdings eine Illusion. Zwar beginnen in Dänemark mehr junge Menschen ein Studium - nämlich mehr als 70 Prozent eines Jahrgangs, in Deutschland sind es nur 56 Prozent. Der Anteil derer, die aus weniger reichen und weniger gebildeten Elternhäusern kommen, ist aber auch hier gering.
"Die SU kann die soziale Herkunft nicht ausgleichen", sagt Karl Fritjof Krassel, der an der Universität Aarhus die Wohlfahrtseffekte des dänischen Fördersystems untersucht hat. Um Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten zum Studieren zu ermutigen, müsse die Unterstützung viel früher anfangen.
Ohnehin sei es nicht mehr zeitgemäß, das Geld nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen. Krassel arbeitet mittlerweile für das grönländische Bildungsministerium. "Hier macht es Sinn, Studenten aller Fachrichtungen zu fördern", sagt der Däne. "Grönland befindet sich noch auf der Entwicklungsstufe des 'Nation Building' und braucht jeden Akademiker, egal, was der studiert hat." In Dänemark hingegen gebe es in einigen Fächern zu viele Absolventen. Deshalb plädiert er für eine Umgestaltung der SU: "Gefördert werden sollten die Studenten aus Bereichen, in denen es einen Mangel an Fachkräften gibt."
Auch EU-Bürger können die SU bekommen
In Deutschland wird es auf absehbare Zeit wohl zu keiner grundlegenden Reform kommen. Einzige Befürworterin eines SU-ähnlichen Systems ist ausgerechnet die FDP.
Wer trotzdem in den Genuss elternunabhängiger Förderung kommen möchte, kann zum Studium nach Dänemark gehen. Denn auch EU-Bürger können die SU bekommen. Mehr als 3000 deutsche Studenten zieht es jedes Jahr in das nordische Nachbarland, die Zahl hat sich laut Unesco seit 2009 mehr als verdoppelt.
Einer von ihnen ist Felix Schilling. Nach dem Bachelor in Heidelberg wechselte er für einen Economics-Master nach Kopenhagen. Anders als seine dänischen Kommilitonen bekommt er die SU nicht ganz bedingungslos. Er muss dafür mindestens zehn Stunden pro Woche arbeiten.
Grund ist das EU-Regelwerk: Sozialleistungen in anderen Mitgliedsländern erhalten nur die Bürger, die eine besondere Bindung zum Aufnahmestaat nachweisen können oder als Arbeitnehmer gelten. Felix Schilling hat deshalb im ersten Jahr in Dänemark nicht von der Unterstützung profitiert. "Für ausländische Studenten ist es nicht einfach, einen Job zu finden", sagt der 25-Jährige. Für viele Tätigkeiten müsse man fließend Dänisch sprechen. Mittlerweile arbeitet er bei einem Onlineversandhandel; er kümmert sich in der Geschäftsentwicklung um die Akquise neuer Lieferanten, das passt sogar zu seinem Studium.
Im Vergleich zu Deutschland bewundert er vor allem eines: wie unkompliziert das dänische System ist. "Nachdem der Antrag gestellt ist, dauert es nur zwei Wochen, bis das Geld auf dem Konto liegt", sagt Schilling. "Jeglicher Papierkram fällt weg." Alle Angaben würden über ein Onlineportal an den Staat übermittelt; Gehaltsnachweise brauche es nicht, und auf Steuerdaten könnten die Behörden automatisch zugreifen. "Im Vergleich zum Bafög ist die dänische Bürokratie ein Witz", sagt er. Oder vielmehr: ein Geschenk.