Forschung an Hochschulen Wo Uni aufhört und Audi anfängt

Werner Widuckel hat eine beachtliche Konzernkarriere hinter sich: Mitte der Achtzigerjahre heuerte er beim Betriebsrat von Volkswagen an und wechselte später als Personalvorstand in die Führungsriege der VW-Tochter Audi. Und als es dort vor sieben Jahren interne Querelen gab, musste der Topmanager nicht lange eine neue Stelle suchen: Er wurde Professor.
Zufall oder nicht: Rund ein Jahr nach seinem Ausscheiden besiegelte Widuckels ehemaliger Arbeitgeber Audi eine Zusammenarbeit mit der Universität Erlangen-Nürnberg. Fünf Jahre, so lautete die Vereinbarung, würde das Unternehmen eine Professur finanzieren. Der Schwerpunkt sollte in dem Bereich "Personalmanagement und Arbeitsorganisation technologieorientierter Unternehmen" liegen.
Wenig später erschien in der "Zeit" eine Stellenausschreibung, die exakt auf das Profil des ehemaligen Personalvorstands Widuckel passte: "Bewerber/Bewerberinnen sollen langjährige Berufserfahrung im Personalmanagement vorweisen und insbesondere Führungserfahrungen im Personalwesen technologieorientierter Unternehmen haben."
Die Universität sagt, bei der Planung des Konzepts habe die Finanzierung keine Rolle gespielt. Audi erklärt, die Professur sei das Ergebnis eines "langjährigen wissenschaftlichen Austausches" mit der Uni.
Hochschulen in Deutschland brauchen Geld, und Firmen geben es gern. Rund tausend sogenannter Stiftungsprofessuren gibt es derzeit in Deutschland. Und auch nach Ablauf der Förderung müssen sich viele keine Sorgen machen und unterschreiben einen der begehrten Hochschulverträge - unbefristet. Nur, dass nun der Staat zahlt.
Wirtschaft schiebt an, Wissenschaft profitiert
Das Modell "Wirtschaft schiebt an, Wissenschaft profitiert" birgt Chancen und Risiken: Im Idealfall unterstützt der Sponsor eine neue Forschung. Es könnte aber auch Fälle geben, in denen Geld fließt, um im Bildungsbetrieb ein Trojanisches Pferd zu integrieren: ein Professor, der vor allem im Sinne seines Gönners lehrt und forscht.

Audi-Chef Rupert Stadler
Foto: LUKAS BARTH/ REUTERSAudi scheint besonders erfolgreich zu sein, wenn es um akademische Posten und Titel geht: Bei drei von sieben amtierenden Vorstandsmitgliedern steht ein "Prof." vor dem Namen - verliehen von Universitäten, mit denen der Autobauer zusammenarbeitet.
Widuckels Vorstandsnachfolger Thomas Sigi etwa wurde 2012 mit einer Ehrenprofessur einer Hochschule in Ungarn ausgezeichnet - unter anderem für die "Kooperation zwischen Universität und Unternehmen". Sigis Vorstandskollege Hubert Waltl darf sich Honorarprofessor der TU Chemnitz nennen. Im Hörsaalgebäude steht wie ein Denkmal ein Audi Q5 - als Zeichen der Verbundenheit von Uni und Unternehmen.
Auch für Audi-Chef Rupert Stadler, zurzeit wegen der Abgasaffäre unter Druck, wurde ein Titel gefunden: Honorarprofessor der Universität St. Gallen. Auch sie steht dem Konzern nahe: Kurz nach der Ernennung verkündeten der Autobauer und die Schweizer Eliteuni eine strategische Partnerschaft. Vor zehn Jahren war Stadler eine Zeit lang Mitglied im Hochschulrat der Uni Erlangen-Nürnberg. Zur Erinnerung: dort, wo auch sein früherer Vorstandskollege Widuckel anheuerte.
Die Vernetzungen in die Wissenschaft sind so eng, dass Außenstehende oft nur schwer erkennen können, wo Hochschule aufhört und Audi anfängt. Das zeigt auch ein Beispiel an der Technischen Hochschule Ingolstadt. Dort stiftete der Autohersteller vor vier Jahren eine Professur für "Fahrzeugsicherheit und Signalverarbeitung".

Ausgabe 4/2017
Zerrissen
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Auch der neu ernannte Professor hatte sich wie zuvor Widuckel bei Audi schon Lorbeeren verdient. Seine Doktorarbeit schrieb er in Kooperation mit dem Unternehmen. Bevor er zur Hochschule wechselte, arbeitete er als Entwicklungsingenieur - bei Audi.
Bis heute läuft die Zusammenarbeit gut. Gemeinsam mit dem Stiftungsprofessor entwickelten Studenten Software für Modellautos und beteiligten sich an einem Nachwuchsforscher-Cup. Der Veranstalter: Audi.
Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft handelte die Audi-Professuren in Erlangen und Ingolstadt mit aus. Eine Hochglanzvereinigung der Wirtschaft, die sich gern als Garant für Integrität inszeniert. In einem Verhaltenskodex empfiehlt der Verband die "Freiheit von Forschung und Lehre" bei Stiftungsprofessuren zu gewährleisten. Aber ist das überhaupt möglich, wenn Professoren direkt aus den Unternehmen kommen?
Kein Kandidat ohne Zustimmung
Mitunter können die Sponsoren auf Entscheidungen überraschend viel Einfluss nehmen. In einem Fall an der Uni Bonn verlangte der Geldgeber, dass kein Kandidat ohne seine Zustimmung ernannt werden dürfte. Die Zustimmung hätte nur bei Gefährdung des Stiftungszwecks verweigert werden können, hieß es auf Nachfrage beim Stifterverband. Ganz anders die Wortwahl der Uni: Die sprach von einer Vetooption.

Privatuniversität Witten-Herdecke
Foto: Bernd Thissen/ picture alliance / dpaWenn das also der Goldstandard der Wissenschaftskooperationen sein soll - was ist dann noch alles möglich? Eine Ahnung davon vermittelt ein Fall, den die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" aufgedeckt hat und der an der Privatuniversität Witten/Herdecke spielt.
Vor zwei Jahren verkündete die Hochschule stolz eine neue Professur für "Literatur und Kommunikation in China". Dekan Dirk Baecker fand für den neuen Dozenten Martin Woesler nur wohlwollende Worte: "Wir freuen uns, dass wir uns mit seiner Berufung seiner wachen Beobachtungen und seines Engagements in Forschung und Lehre vergewissern konnten." Und verschwieg, dass der Bochumer Verein European Science and Scholarship Association die halbe Stelle mitfinanziert.
Je intensiver man sich mit dem Sponsor beschäftigt, desto obskurer wird er. Gefördert hat der Verein nämlich seit der Gründung im Jahr 2007 offenbar vor allem eine Person: Martin Woesler - den neuen Dozenten. Er will nach eigenen Angaben von der Vereinigung mehrere Zehntausend Euro als Unterstützung für seine Arbeit erhalten haben.
Woher das viele Geld stammt, ist unklar. Im Gründungsprotokoll heißt es vieldeutig: Ein Euro Mitgliedsbeitrag pro Jahr sollten zunächst genügen - "aufgrund einer im Vorhinein mündlich gegebenen Spendenzusage". Ein Beteiligter von damals sagt, er könne sich nicht erinnern, dass der Name des Geldgebers gefallen sei. Auffällig ist dagegen, wer sich unter den Vereinsgründern tummelt: unter anderem Woeslers Vater, ein emeritierter Literaturprofessor, und Woeslers damalige Frau.
Schon zwei Wochen nach Gründung beschließt eine außerordentliche Mitgliederversammlung einstimmig, einen mit 10.000 Euro dotierten Vereinspreis "Desideratum 2007" zu vergeben - an Martin Woesler. Damit sollte Woeslers Beitrag zur Übersetzung eines chinesischen Romans als außergewöhnliches Verdienst für die Wissenschaft gewürdigt werden.
Unter Sinologen ist Woeslers Romanübersetzung hingegen umstritten. Eine Berliner Doktorandin attestierte ihr "eine Reihe von Fehlern". Der Übersetzer, dessen Arbeiten Woesler fortgeführt hatte, beklagte sich später über nicht abgesprochene Änderungen.
Ein um sich selbst kreisender Kosmos
Beobachter sprechen von einem um sich selbst kreisenden Kosmos, der den Eindruck von Wissenschaftlichkeit vortäuschen soll: ein Woesler seltsam gewogener Verein mit unklarer Finanzierung, der Fördermittel für Publikationen an Woesler ausschüttet, mit denen er unter anderem Publikationen im Eigenverlag veröffentlicht.
Der Kölner Sinologieprofessor Stefan Kramer fertigte ein Gutachten im Auftrag der "WAZ" an und kommt zu dem Schluss: Woesler bringt nicht die Voraussetzungen mit, um auf einen Posten als Professor berufen zu werden; eine Habilitation, gewöhnlich die Eintrittskarte für die obere Hochschullaufbahn, hat er nie geschrieben, seine Veröffentlichungen im Eigenverlag spielten im Fach keine nennenswerte Rolle.
Der Fall erscheint so dubios, dass es zu einem Eklat in der Berufungskommission kam. Der Vorsitzende soll zurückgetreten sein, weil er nicht mit seinem Namen dafür einstehen wollte, Woesler zu berufen, hieß es.
Bleibt die Frage: Warum verzichtete die Uni darauf, die Professur öffentlich auszuschreiben - obwohl das nordrhein-westfälische Hochschulgesetz und die Wittener Uni-Satzung das verlangen und Posten nur in Ausnahmefällen anders vergeben werden dürfen? Aus Rücksicht auf den Verein, der das Geld gab? Um dem Sponsor einen Gefallen zu tun, lästige Konkurrenz auszuschalten? Die Bewerbungskommission hatte jedenfalls nur einen Kandidaten zum Gespräch eingeladen: Woesler.
Zu den Hintergründen äußert sich die Hochschule nicht: Das sei vertraulich. Und versichert, man habe die Professur "entsprechend den gesetzlichen Regelungen" besetzt und den Verein "vorab auf seine Seriosität" geprüft.
Bedenken gegenüber der European Science and Scholarship Association kamen dagegen von ganz unerwarteter Seite: vom Bochumer Amtsgericht. Ein Sachbearbeiter stutzte, als die Wissenschaftsförderer ihren Verein anmelden wollten. Europäisch? Er bat um einen Nachweis, dass der Zusammenschluss mit dem so klangvollen Namen tatsächlich "überregionale Bedeutung" habe.
Flugs ging beim Gericht ein Unterstützungsschreiben vom "Europäischen Universitätsverlag" ein, angeblich aus der Londoner Dependance des Unternehmens. In einem Sechszeiler attestiert sie dem Verein eine "europaweite Bedeutung".
Der Hauptsitz des Verlags liegt in Dülmen, einer Kleinstadt im Münsterland, unter der Adresse von Woeslers Vater. Den Brief aus London hat die damalige Verlagsgeschäftsführerin unterschrieben: Woeslers Frau. Und der Inhaber des "Europäischen Universitätsverlags" heißt, wen wundert es: Martin Woesler.